Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2221: Schwergewicht - Kanonade trifft auf Raffinesse (SB)



Wilder holt ausgefallene Titelverteidigung gegen Ortiz nach

Aller Voraussicht nach wird Deontay Wilder den WBC-Titel im Schwergewicht am 3. März im Barclays Center in Brooklyn gegen Luis Ortiz verteidigen. In diesem Kampf, den der Sender Showtime überträgt, treffen zwei ungeschlagene Akteure aufeinander: Während der 32 Jahre alte US-Amerikaner aus Tuscaloosa in Alabama bereits 39 Gegnern das Nachsehen gegeben hat, stehen für den in Florida lebenden Kubaner 28 Siege zu Buche. Die beiden holen ihr ursprünglich für den 4. November geplantes Duell nach, das wegen eines positiven Dopingbefunds des 38jährigen Herausforderers im Vorfeld abgesagt wurde. Wilder trat daraufhin gegen den Pflichtherausforderer Bermane Stiverne an, der bereits in der ersten Runde die Segel streichen mußte. Unterdessen hat der Verband WBC die Erklärung des Kubaners akzeptiert, die monierten Substanzen seien auf die Einnahme von Medikamenten zurückzuführen, die er wegen zu hohen Blutdrucks verwendet habe, so daß er seine Karriere ohne Sperre fortsetzen kann. Er wird nun in der WBC-Rangliste an Nummer drei geführt.

Das Boxpublikum muß sich allerdings zwischen diesem Titelkampf und einer Veranstaltung unter der Regie des Senders HBO entscheiden, die am selben Abend ebenfalls in New York im Madison Square Garden über die Bühne geht. Dabei trifft der WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht, Sergej Kowaljow, auf den wenig bekannten Igor Michalkin, während es im attraktiveren Vorprogramm WBA-Champion Dmitri Biwol mit dem gefährlichen Herausforderer Sullivan Barrera zu tun bekommt. Wenngleich der Schwergewichtskampf hochwertiger einzuschätzen ist als Kowaljows Auftritt gegen einen relativ schwachen Kontrahenten, dürfte Wilder doch aufgrund der Konkurrenz um die Gunst der Zuschauer keine allzu gute Quote einfahren.

Luis Ortiz hat am 8. Dezember den Aufbaugegner Daniel Martin bereits in der zweiten Runde besiegt und dabei für einen Boxer seines Alters, der nach einer einjährigen Pause in den Ring zurückkehrt, eine ansehnliche Leistung geboten. Hinterher stieg Wilder zu ihm hinauf, worauf die beiden nach einem längeren Wortwechsel vereinbarten, ihren ausgefallenen Kampf nachzuholen. Wenngleich dies bereits der dritte Fall gewesen war, in dem ein Herausforderer aufgrund eines positiven Dopingtests kurzfristig ersetzt werden mußte, zügelte der Weltmeister seinen verständlichen Ärger, dem er einige Zeit zuvor noch freien Lauf gelassen hatte. Wilder wäre sogar im November gegen Ortiz angetreten, was der Verband jedoch nicht zuließ. [1]

Zieht man in Betracht, wie heftig der Champion über Bermane Stiverne hergefallen ist, dürfte Ortiz enorme Probleme bekommen, sich der Angriffe Wilders zu erwehren. Der Kubaner mußte zu Beginn seines Kampfs gegen Martz diverse Treffer einstecken, die ihm allerdings nichts anhaben konnten. Derartige Lücken in seiner Deckung darf er sich bei der Herausforderung des WBC-Weltmeisters nicht erlauben, der mit erheblich größerer Wirkung zuschlagen kann. Kursierenden Gerüchten zufolge ist Ortiz wesentlich älter als offiziell angegeben, wobei sich die Mutmaßungen über die weite Spanne zwischen 40 und 50 Lebensjahren erstrecken. Öffentlich zugängliche Belege dafür gibt es keine, und der Kubaner verweist solche Annahmen ins Reich der Fabeln.

Jedenfalls erweckt Luis Ortiz den Eindruck, als sei er in letzter Zeit erheblich langsamer und unbeweglicher geworden. Der Rechtsausleger ist ein erstklassig ausgebildeter Schwergewichtler, der auf eine erfolgreiche Amateurlaufbahn zurückblicken kann. Im Profilager mußte er sich keinem Gegner geschlagen geben und gab beispielsweise bei seinem vorzeitigen Erfolg im Kampf mit Lateef Kayode im September 2014 eine hervorragende Vorstellung. Sein größter Erfolg war ein K.o.-Sieg über Bryant Jennings im Jahr 2015, bei dem er das gesamte Repertoire seines Könnens ausspielte. Nachdem er mit diesem überzeugenden Auftritt seinen Anspruch unterstrichen hatte, sich mit einem der Weltmeister zu messen, und sich auch im folgenden Kampf gegen Tony Thompson noch recht gut gehalten hatte, machte er anschließend gegen Malik Scott und David Allen eine deutlich schlechtere Figur, wenngleich er auch diese Auftritte für sich entscheiden konnte.

Vor seinem Kampf gegen Scott am 12. November 2016 stand Ortiz im Fokus der Branche, da man eine weitere glänzende Vorstellung erwartete. Der Kubaner hatte jedoch große Mühe, nach Punkten die Oberhand zu behalten, und verspielte damit im Grunde das gewachsene Interesse des Publikums wieder. Noch schlechter sah er dann am 10. Dezember 2016 gegen den weithin unbekannten Briten David Allen aus, den er zwar in der siebten Runde besiegte, dabei aber eine relativ schwache Vorstellung gab. Zwangsläufig machten daraufhin Spekulationen die Runde, Ortiz baue körperlich ab. Wenngleich er in seiner Profikarriere, die 2010 begann, nie ein besonders schnell schlagender Schwergewichtler war, boxte er doch technisch brillant und sehr variabel, was ihn in Verbindung mit seiner massiven Statur zu einem der gefährlichsten Kandidaten in der Königsklasse machte, dem sämtliche namhaften Rivalen tunlichst aus dem Weg gingen. Im Grunde haben erst seine mutmaßlichen Abbauerscheinungen dazu geführt, daß er am Ende doch noch eine Chance bekommt, Weltmeister zu werden.

Der ehemalige Titelaspirant Gerald Washington rechnet mit einem attraktiven und hochklassigen Kampf zwischen Wilder und Ortiz, wenngleich auch ihn Zweifel beschleichen, ob der Kubaner nicht inzwischen zu langsam geworden ist, um mithalten zu können. Der WBC-Champion warte mit einer gewaltigen Schlagwirkung auf, doch sei Ortiz für technische Raffinesse, geschickte Manöver und gefährliche Konter bekannt. Höchst interessant sei diese Konfrontation allemal, wobei sich eben herausstellen müsse, wie es um die Schnelligkeit und Kondition des Herausforderers bestellt ist.

Der 35 Jahre alte Washington hatte im Februar mit Deontay Wilder im Ring gestanden und dabei in den ersten vier Runden eine überraschend gute Figur gemacht. Allerdings schien sich der WBC-Champion bei seinem ersten Auftritt nach der Operation an der rechten Hand und am Bizeps anfangs zurückzuhalten, als wolle er zunächst prüfen, ob er wieder uneingeschränkt zur Sache gehen könne. Als er dann in der fünften Runde plötzlich die Kanonade mit seiner Rechten eröffnete, lag Washington alsbald auf den Brettern. Der Herausforderer kam zwar rechtzeitig wieder die Beine, wurde aber vom Ringrichter zu seinem eigenen Schutz aus dem Kampf genommen, da er noch immer angeschlagen wirkte. So gesehen kann Gerald Washington also einschätzen, was auf einen Herausforderer zukommt, wenn Deontay Wilder Ernst macht. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/12/deontay-wilder-vs-luis-ortiz-boxing/#more-251141

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/12/gerald-washington-questions-ortizs-quickness-wilder-fight/#more-251558

30. Dezember 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang