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MELDUNG/2203: Zwei alte Schlitzohren sollen es richten (SB)



Fangemeinde wünscht sich Shannon Briggs als Gegner Tyson Furys

Tyson Fury war nie ein Sympathieträger, doch gerade wegen seiner Widersprüchlichkeit und eines exaltiert trampelnden und nicht selten jedes Niveau unterschreitenden Temperaments mitunter ein erfrischender Kontrast zum artigen Wohlverhalten eines Anthony Joshua oder zu der steifen Tugendhaftigkeit Wladimir Klitschkos. Jetzt plant er nach langer Pause seine Rückkehr in den Ring und obgleich er bislang weder eine Boxlizenz, noch grünes Licht von der britischen Antidopingagentur bekommen hat, diskutiert er bereits mit seinen Fans darüber, wer sein nächstes Opfer sein soll. Ohne daß ein Termin feststünde oder auch nur annähernd geklärt wäre, zu welchem Zeitpunkt das 29jährige Schwergewicht wieder in der körperlichen Verfassung sein könnte, einen Kampf zu bestreiten, hat der "Gypsy King" per Umfrage eine Rangfolge möglicher Gegner ermitteln lassen.

Das Rennen machte nicht ganz überraschend Shannon Briggs (43 Prozent), gefolgt von dem Briten David Price (40 Prozent), dem Russen Alexander Powetkin (14 Prozent) sowie dem Sieger des Kampfs zwischen Manuel Charr und Alexander Ustinow (3 Prozent). Die Weltmeister Anthony Joshua (WBA/IBF), Deontay Wilder (WBC) und Joseph Parker (WBO) hatten nicht auf Furys Vorschlagsliste gestanden. Wenngleich dieser natürlich nicht an das Votum der Fangemeinde gebunden ist, dürfte damit schon ein gewisse Vorauswahl getroffen sein. Bezeichnenderweise liegen mit Briggs und Price jene zwei Kandidaten in Front, die sich erst kürzlich selber für diese Option ins Gespräch gebracht haben.

Der bereits 45 Jahre alte Shannon Briggs ist zweifellos unterhaltsamer als David Price, zumal er es versteht, im Vorfeld und Umfeld mit brachialen Auftritten und provozierenden Szenen pressewirksam Werbung zu machen. Als ein Veteran mit 60 Siegen, sechs Niederlagen sowie einem Unentschieden verfügt der US-Amerikaner noch immer über eine beachtliche Schlagwirkung, die er vorzugsweise mit Körpertreffern überträgt. Seit einigen Jahren versucht er gar nicht erst, seinen jüngeren und zumeist agileren Gegnern nachzulaufen, um sie am Kopf zu erwischen. Er schlägt vielmehr mit beiden Händen wuchtig zum Körper, den ihm der Kontrahent nicht so leicht entziehen kann. Dank dieser Spezialität hat Briggs zeitweise schnelle Erfolge in Serie erzielt und sich damit ins Gespräch gebracht.

Vor allem aber hat er verstanden, daß er unmöglich auf den üblichen Wegen noch einmal in den Ranglisten weit genug aufrücken kann, um bedeutende Auftritte oder gar einen Titelkampf zu bekommen. Deshalb setzt er sich seit geraumer Zeit auch außerhalb des Rings in Szene, womit er zeitweise in Deutschland, zuletzt aber vor allem in England recht erfolgreich war, wie die aktuelle Umfrage zeigt. Da Tyson Fury in seiner gesamten Karriere nur einmal einem Kontrahenten mit ausgeprägter Schlagwirkung gegenübergestanden hat, wäre ein Kampf gegen Briggs durchaus riskant für den Briten. Wladimir Klitschko kam 2015 nicht an den mit 2,06 m deutlich größeren Fury heran, mit dessen ständigen Ausweich- und Fluchtmanövern er nichts anfangen konnte. Wie paralysiert vermied er es zwölf Runden lang, Fury energisch anzugreifen, als fürchte er dessen Konter.

Diesen Kardinalfehler würde sich Shannon Briggs sicher nicht leisten. Furys weit entfernter Kopf wäre ohnehin nicht sein vordringliches Angriffsziel, wohl aber der ungedeckte Körper des riesigen Briten, zumal sich dieser gern zurückbeugt, um sein Gesicht aus der Reichweite kleinerer Gegner zu bringen. Der US-Amerikaner lockt mit den Worten, daß dieses Duell, von einem Titelkampf abgesehen, die günstigste Option für beide wäre. Fury habe zwar Angst vor ihm, doch wenn er einen Aufbaugegner suche, wäre "ein 45.000 Jahre alter Mann" doch sicher nicht die schlechteste Wahl. Briggs hat nach seiner Dopingsperre inzwischen wieder grünes Licht, die Karriere fortzusetzen, während Fury diesbezüglich noch einer Entscheidung harrt. [1]

Dessen Laufbahn gleicht einer Achterbahnfahrt, deren Gipfelpunkt am 28. November 2015 erreicht war, als er Wladimir Klitschko sensationell nach Punkten besiegte und die lange Ära des Ukrainers als Weltmeister und Maß aller Dinge im Schwergewicht beendete. Die vorherrschende Meinung vor dem Kampf, daß der imposante, aber schwach schlagende Brite im Grunde gar nicht gewinnen könne, weil ihn der Titelverteidiger früher oder später entscheidend treffen werde, erwies sich als eklatante Fehleinschätzung. Fury setzte durchgängig auf die Strategie, sich einfach nicht treffen zu lassen, indem er Klitschko auf Abstand hielt und seinen Kopf außer Reichweite brachte.

Das konnte nur funktionieren, weil der Ukrainer wie ein bloßer Schatten besserer Tage tatenlos herumstand. Hätte er sich dazu durchgerungen, häufiger anzugreifen und wenigstens ab und an zu punkten, wäre der Sieg wohl an ihn gegangen. Tyson Fury wurde gefeiert, weil er gegen alle Erwartungen die Oberhand behalten hatte. Das trug insbesondere in Kreisen britischer Kommentatoren zu einer maßlosen Überhöhung und Verklärung seines Auftritts bei, der bei nüchterner Einschätzung fast so desaströs wie der Klitschkos war, nur eben nicht ganz so schwach. Wenngleich man keineswegs die verbreitete Auffassung teilen muß, daß insbesondere im Schwergewicht ein guter Kampf zwangsläufig mit einem Niederschlag oder dessen unmittelbaren Folgen zu enden habe, schießt doch weit übers Ziel hinaus, wer Tyson Fury bemerkenswerte technische Qualitäten attestiert. [2]

Für einen Boxer seiner massiven Statur schlägt der Brite ungewöhnlich schwach, wedelt häufig mit dem Jab in der Luft herum und hat offenbar ein Glaskinn. Jedenfalls gelang es dem aus dem Cruisergewicht aufgestiegenen und körperlich klar unterlegenen Steve Cunningham seinerzeit, Fury bei dessen Debüt in den USA mit einem Volltreffer auf die Bretter zu schicken. Der Brite rettete sich in der Folge dank seines Erfolgsrezepts, mit gefährlichen Gegnern keinesfalls zu boxen, sondern sie klammernd, schiebend und herunterdrückend zu schwächen, bis er sie dank seiner Masse niederwälzen konnte. Das würde bei dem hochgewachsenen und athletischen Klitschko nicht funktionieren, dessen Schläge Fury fürchten mußte. Also verlegte er sich aufs Weglaufen, Ausweichen und Pendeln, das ihm allerdings gut gelang. Wünscht man sich aber allen Ernstes einen Weltmeister, dessen Qualitäten sich in den genannten Praktiken erschöpfen?

Dessen ungeachtet ist ihm ein erfolgreiches Comeback zu wünschen, das vermutlich nicht so sehr im Ring begeistern, doch um so mehr auf dem Vorwege den verbalen Abtausch in den sozialen Netzwerken und bei Medienauftritten mit groben Klötzen munitionieren würde. Shannon Briggs wäre dabei zweifellos ein kongenialer Partner und Konkurrent, der die beiderseitigen Ein- und Ausfälle im Wechselspiel anstacheln könnte. Sollte es Tyson Fury darüber hinaus gelingen, sich nicht von seinen Dämonen jagen zu lassen, sondern ihnen die Stirn zu bieten, könnte man wohl von einem Sieg sprechen, der jeden Triumph im Ring zur Banalität verblassen ließe.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/shannon-briggs-wins-tyson-fury-poll/#more-247583

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/11/tyson-fury-can-dominate-world-heavyweight-boxing/#more-247571

19. November 2017


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