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MELDUNG/2196: Ausgleichende Gerechtigkeit braucht Nachhilfe (SB)



Erneute Titelchance für ehemaligen Champion Sergej Kowaljow

Der überraschende Rücktritt Andre Wards hat die Situation an der Spitze des Halbschwergewichts gehörig durcheinandergewirbelt. Vom Gürtel des WBC abgesehen, den der Kanadier Adonis Stevenson wohl nie wieder hergeben wird, harren alle übrigen Trophäen einer Neuvergabe. Davon profitieren wollen die beiden Russen Sergej Kowaljow und Wjatscheslaw Schabranskyj, die am 25. November im New Yorker Madison Square Garden zum Kampf um den vakanten WBO-Titel aufeinandertreffen. Während für den 34jährigen Kowaljow 30 Siege, zwei Niederlagen und zwei Unentschieden zu Buche stehen, hat der vier Jahre jüngere Schabranskyj 19 Auftritte gewonnen und einen verloren. Im Vorprogramm der vom Sender HBO übertragenen Kämpfe steigen unter anderem in derselben Gewichtsklasse mit Sullivan Barrera und Felix Valera zwei weitere namhafte Kandidaten in den Ring.

Promoterin Kathy Duva von Main Events, unter deren Regie die Veranstaltung über die Bühne geht, dürfte es eine Genugtuung sein, daß Sergej Kowaljow so schnell die Gelegenheit bekommt, wieder Weltmeister zu werden. Der Russe galt mit seinen drei Titeln als führender Akteur im Halbschwergewicht, bis er zweimal unter fragwürdigen Umständen gegen Andre Ward den kürzeren zog und vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere zu stehen schien. Bei der Revanche im Mandalay Bay Hotel and Casino in Las Vegas am 17. Juni, die nach drei Tiefschlägen Wards, die der Ringrichter nicht geahndet hatte, mit einem vorzeitigen Abbruch endete, übte Duva harsche Kritik an dem Sieger und der umstrittenen Entscheidung. Kowaljow war bei Pressekonferenz nach der erneuten Niederlage am Boden zerstört, worauf das Wort die Runde machte, er sei am Ende. [1]

Offensichtlich hat Kathy Duva alle Hebel in Bewegung gesetzt und den Verband WBO bekniet, bis dieser grünes Licht für einen möglichen Wiederaufstieg Kowaljows gab. Da er in beiden Kämpfen gegen Ward klammheimlich bis offen benachteiligt wurde, wobei antirussische Ressentiments keine unbedeutende Rolle gespielt haben dürften, könnte man von ausgleichender Gerechtigkeit sprechen, sofern man zu schicksalsträchtigen Sichtweisen auf die herrschenden Verhältnisse neigt. Ohne Andre Wards ganz spezielles Können in Abrede zu stellen und seine Maxime, daß im Ring alles erlaubt sei, was nicht geahndet wird, unbesehen zu verwerfen, ist es Kowaljow doch zu gönnen, daß die vermeintlich vollendeten Tatsachen seines zweifachen Scheiterns so rasch brüchig geworden sind.

Andererseits ist es nicht gerade üblich, daß ein entthronter Weltmeister nach zwei Niederlagen in Folge sofort wieder um einen Titel kämpfen darf. Das wäre zumindest in seinem besonderen Fall nicht tragisch, bekommt aber durch die Wahl des Gegners doch einen seltsamen Beigeschmack. Wjatscheslaw Schabranskyj wird in der WBO-Rangliste erst an Nummer zehn geführt, was die Frage aufwirft, warum nicht wesentlich besser plazierte Kandidaten den Vorzug bekommen haben. An der Spitze steht derzeit der Ukrainer Oleksandr Hwosdyk, gefolgt von Sergej Kowaljow und Sullivan Barrera, wobei der 35jährige Kubaner auch von der WBA ignoriert worden ist. Dieser Verband beförderte den russischen Interimschampion Dmitri Biwol kampflos zum Weltmeister, nachdem der Titel vakant geworden war.

Da Barrera genau wie Kowaljow bei Main Events unter Vertrag steht, dürfte sein Auftritt im Vorprogramm signalisieren, daß ihm ein Kampf gegen seinen russischen Teamkollegen in Aussicht steht, sofern dieser im Madison Square Garden die Oberhand behält. Das dürfte allerdings nicht so einfach sein, da Kowaljow in den beiden Duellen mit Ward auch unübersehbare Mängel erkennen ließ. Er hatte in der Nahdistanz große Probleme, war offen für Körpertreffer, wovon Ward weidlich Gebrauch machte, und ließ mit wachsender Rundenzahl konditionell nach. Daß ihm nach der Hälfte des Kampfs die Luft auszugehen droht, hatte sich bereits am 11. Juli 2016 gezeigt, als Kowaljow vor heimischem Publikum in Rußland im Kampf gegen Isaac Chilemba die Puste ausging, so daß es ihn beträchtliche Mühe kostete, statt des angekündigten K.o.-Siegs nur einen Erfolg nach Punkten einzufahren. Hingegen machte der Ranglistenerste Oleksandr Hwosdyk eine deutlich bessere Figur, als er Chilemba am 19. November 2016 in der achten Runde besiegte.

Schabranskyj wird das Videomaterial gründlich studiert haben und Kowaljow massiv am Körper angreifen. Und da er härter als Ward und Chilemba zuschlagen kann, muß sich sein prominenter Landsmann vorsehen. Sergej Kowaljow wird inzwischen von Abror Tursunpulatow trainiert, nicht jedoch von dem prominenten US-Coach Virgil Hunter, der auch Ward betreut und dem Russen die Zusammenarbeit angeboten hatte. Hunter stellte unter anderem in Aussicht, Kowaljows Probleme mit Körpertreffern in den Griff zu bekommen. [2] Warum es dann doch nicht zu dieser Kooperation gekommen ist, wurde nicht öffentlich kommuniziert. Jedenfalls ist Sergej Kowaljows erneute Titelchance keinesfalls ein Selbstgänger, sondern ein durchaus anspruchsvoller Prüfstein. Für den ehemaligen Champion geht es insbesondere darum, die wetterwendische Kritikerschar, die massenhaft zu Andre Ward übergelaufen war, eines Besseren zu belehren und seine Reputation wiederherzustellen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/10/kovalev-vs-shabransky-msg-torch/#more-245899

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/10/kovalev-faces-shabranskyy-vacant-wbo-175lb-title/#more-245877

27. Oktober 2017


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