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MELDUNG/2192: Eddie Hearn überläßt nichts dem Zufall (SB)



Für den verletzten Kubrat Pulew springt Carlos Takam ein

Anthony Joshua verteidigt die Titel der Verbände WBA und IBF im Schwergewicht am 28. Oktober in Cardiff nicht wie geplant gegen Kubrat Pulew, der aufgrund einer Schulterverletzung ausfällt. Der in 19 Kämpfen ungeschlagene Brite trifft statt dessen auf den Franzosen Carlos Takam, für den 35 Siege, drei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen. Laut Joshuas Promoter Eddie Hearn geht in einem solchen Fall der Rang des Pflichtherausforderers gemäß den Statuten der IBF auf den nächsten Kandidaten in der Rangliste über. Daher habe er vorsichtshalber mit Takams Team ausgehandelt, daß der Franzose ebenfalls ein Trainingslager absolvieren und für den Notfall bereitstehen solle, der nun eingetreten sei. Es sei eine schwierige Umstellung für Anthony, der sich intensiv auf den Stil und die Körpergröße Pulews vorbereitet habe. Nun bekomme er es mit einem ganz anderen Gegner zu tun. Dessen ungeachtet setze er zuversichtlich darauf, daß der Champion für jede Herausforderung bereit sei. Dank dieses Arrangements ist der Titelkampf im Principality Stadium gesichert, für den bereits über 70.000 Eintrittskarten verkauft worden sind. [1]

Für den 36jährigen Kubrat Pulew aus dem Team Sauerland ist das eine bitte Pille, da er sowohl den lukrativen Kampf gegen Joshua, der ihm 5 Millionen Dollar einbringen sollte, als auch den Status des Pflichtherausforderers verloren hat. Nach der Niederlage in seinem ersten Titelkampf gegen Wladimir Klitschko am 15. November 2014 kostete es den Bulgaren drei Jahre, um sich wieder nach oben zu arbeiten. Zuletzt hatte er in einem Ausscheidungskampf der IBF relativ leichtes Spiel mit Dereck Chisora, da der Brite kleiner als er ist und wilde Schwinger schlägt. Dies erlaubte es Pulew, vor allem mit seinem vorzüglichen Jab einen sicheren Punktsieg herauszuboxen. Möglicherweise gewährt ihm der Verband einen erneuten Qualifikationskampf gegen einen der nächstplazierten Anwärter. Sollte die Wahl auf den an Nummer fünf der IBF-Rangliste geführten imposanten US-Amerikaner Jarrell Miller fallen, wäre das eine ungleich höhere Hürde als Chisora.

Anthony Joshua, der vor wenigen Tagen 28 Jahre alt geworden ist, hat seit dem Gewinn des IBF-Titels gegen Charles Martin im April 2016 die beiden US-Amerikaner Dominic Breazeale und Eric Molina wie all seine anderen Gegner vorzeitig besiegt. Dann setzte er sich am 29. April vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion auch gegen Wladimir Klitschko durch und gewann dabei den vakanten Titel der WBA hinzu.

Der gebürtige Kameruner Carlos Takam ist 36 Jahre alt und mit einer Größe von 1,87 m deutlich kleiner als Joshua, dürfte aber nicht viel leichter als der Brite in den Ring steigen. Er lebt seit 2005 in Frankreich, wo er im selben Jahr Profi wurde. Seine wichtigsten Siege erzielte er gegen Tony Thompson, Michael Sprott und Gbenga Olukun, beim Unentschieden gegen Mike Perez im Januar 2014 wurde er klar benachteiligt. Im selben Jahr machte er gegen Alexander Powetkin zunächst eine gute Figur, bis der Russe wie aus heiteren Himmel in der neunten und zehnten Runde aufdrehte und ihn schließlich auf die Bretter schickte.

Am 21. Mai 2016 trat er im Kampf um den vakanten WBO-Titel gegen Joseph Parker in Neuseeland an, dem er hauchdünn und umstritten unterlag. Da Takam ständig auf dem Vormarsch war, neigten viele Experten zu der Auffassung, er habe genug getan, um den Kampf zu gewinnen. Andererseits bewegte sich Parker geschwind, arbeitete klug mit dem Jab und schlug variable Kombinationen, so daß man nicht nur von einem Heimvorteil sprechen kann. Nach dieser Niederlage meldete sich Takam mit zwei vorzeitigen Siegen erfolgreich zurück.

Selbst wenn er gegen Joshua verlieren sollte, kann er die mit Abstand höchste Börse seiner Laufbahn mit nach Hause nehmen. Indessen wird er natürlich alles daransetzen, keinesfalls das Kanonenfutter für den Briten abzugeben. Wenngleich körperlich im Nachteil, hat der Franzose doch seine gesamte Vorbereitung auf den Champion ausgerichtet, während sich dieser in den verbliebenen Tagen sehr schnell auf den neuen Gegner umstellen muß. Carlos Takam ist voraussichtlich kein schlechter Ersatz für Pulew, zumal er in hoher Frequenz zu schlagen pflegt und dabei größere Wirkung als der Bulgare ins Feld führen kann.

Zudem hat Klitschko gewissermaßen die Blaupause geliefert, auf welche Weise dem Weltmeister beizukommen sein könnte. Als der Brite in der sechsten Runde gravierende Konditionsprobleme bekam, schlug ihn der Ukrainer nieder und hätte vermutlich bei rückhaltlosem Nachsetzen gewonnen. Joshua brauchte vier Runden, um sich wieder zu erholen. Sollte es Takam gelingen, solange durchzuhalten bis dem Champion die Luft ausgeht, könnte seine Stunde schlagen. Anthony Joshua schien zwar vor diesem Kampf etwas leichter geworden zu sein, ist aber nach wie vor derart muskelbepackt, daß er sich schnell verausgabt und deswegen versucht, den Kontrahenten frühzeitig zu überrollen. Im Unterschied zu Charles Martin und Eric Molina, die offenbar zu eingeschüchtert waren, um beherzt anzugreifen, wird sich Carlos Takam solche Zurückhaltung kaum auferlegen. Bei ihm kann man mit heftigen Attacken rechnen, die Joshua derart beschäftigen dürften, daß ihm bald die Luft ausgeht. Nachlaufen muß der Brite diesem Herausforderer sicher nicht, der sich ihm zum heftigen Schlagabtausch stellen wird. [2]

So bedauerlich diese Entwicklung für Kubrat Pulew ist, hat Eddie Hearns weise Voraussicht doch die Veranstaltung gerettet und verhindert, daß die Fans massenhaft ihr Geld wiederhaben wollen. Wäre der im Vorprogramm vorgesehene Kampf zwischen Dillian Whyte und Robert Helenius notgedrungen zum Hauptereignis des Abends aufgewertet worden, hätte das mit Sicherheit zahllosen Zuschauern überhaupt nicht gefallen. Davon abgesehen schwebt dem britischen Promoter weiterhin vor, Whyte mit dem WBC-Weltmeister Deontay Wilder kämpfen zu lassen. So unwahrscheinlich es anmuten mag, daß der US-Amerikaner dabei seinen Titel an den Briten verlieren würde, träumt Hearn offenbar von einem finalen Duell seiner beiden Schwergewichtler, in dem unter seiner alleinigen Regie der unangefochtene Champion gekürt wird.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/10/pulev-no-longer-ibf-mandatory-joshua/#more-245206

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/10/anthony-joshua-fight-carlos-takam-oct-28/#more-245193

19. Oktober 2017


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