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MELDUNG/2137: Scheiden tut weh (SB)



Artur Beterbijew will sich von seinem Promoter trennen

Warum sich Artur Beterbijew von seinem kanadischen Promoter Yvon Michel trennen will, ist nicht bekannt. In den sozialen Medien teilt er seinen Freunden, Fans und Unterstützern lediglich mit, daß sein Anwalt in Montreal gerichtlich die Forderung geltend gemacht habe, das Vertragsverhältnis für beendet zu erklären. Er habe persönlich nichts gegen Michel und trainiere hart, um Weltmeister zu werden, wie es stets sein ausschließliches Ziel gewesen sei. [1]

Man kann nur vermuten, daß der gebürtige Tschetschene angesichts seiner stagnierenden Karriere unzufrieden mit den Möglichkeiten des Promoters ist, ihm die maßgeblichen Auftritte in einer angemessenen Frist zu verschaffen. Da der in elf Profikämpfen ungeschlagene Halbschwergewichtler bereits 32 Jahre alt ist, drängt die Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Wie vom Verband IBF angeordnet, soll Beterbijew einen Ausscheidungskampf gegen Enrico Kölling bestreiten, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer Andre Wards wird, der die Titel der WBA, WBO und IBF in seinem Besitz hat. Da Kölling in diesem Kampf als krasser Außenseiter gilt, kann Beterbijew nur daran gelegen sein, diese Aufgabe möglichst schnell über die Bühne zu bringen. Nachdem zunächst der 29. Juli als Termin im Gespräch gewesen war, ist derzeit wieder unklar, wann es zu diesem Kampf kommt und ob er überhaupt stattfinden wird.

Yvon Michel hat die juristischen Schritte Beterbijews bestätigt, jedoch zugleich seine eigene Auffassung unterstrichen, wonach das Vertragsverhältnis keineswegs beendet sei. Eine Entscheidung des Gerichts werde wohl mehrere Wochen auf sich warten lassen. Unterdessen sei er weiterhin der Promoter des Russen und habe bereits mit Chris Meyer von Sauerland Event eine Übereinkunft für den Kampf gegen Enrico Kölling erzielt.

Der Tschetschene war in seiner langen Amateurlaufbahn für die russische Mannschaft international erfolgreich und hat unter anderem an den Olympischen Spielen 2008 in Beijing und 2012 in London teilgenommen. Seit seinem Wechsel ins Profilager im Jahr 2013 steht er bei Yvon Michel unter Vertrag. Er konnte 2015 nur zwei Kämpfe austragen und wurde dann aufgrund einer Schulterverletzung ein Jahr außer Gefecht gesetzt. Im Dezember 2016 kehrte er in den Ring zurück und behielt dabei bereits in der ersten Runde gegen Isidro Ranoni Prieto die Oberhand.

Im April war ein Ausscheidungskampf der IBF gegen Sullivan Barrera vorgesehen, dessen Sieger das Vorrecht winkte, nach der Revanche zwischen Andre Ward und Sergej Kowaljow den Weltmeister herauszufordern. Barrera machte jedoch einen Rückzieher, wofür er seine in Aussicht gestellte Börse zur Begründung anführte, die er für zu gering erachte. Dadurch entging Beterbijew die Gelegenheit, sich bereits zu diesem Zeitpunkt als neuer Pflichtherausforderer der IBF in Stellung zu bringen. Wenngleich er den Titelkampf sicher nicht sofort bekommen hätte, stünde er doch wahrscheinlich schon längst an der Spitze der Kandidaten bei diesem Verband.

Der in Kanada lebende Tschetschene zählt zu den gefährlichsten Akteuren im Halbschwergewicht, da er mit beiden Händen eine enorme Schlagwirkung entfalten und auch aus der Nahdistanz wuchtige Treffer ins Ziel bringen kann. Das führte dazu, daß ihm namhafte Akteure tunlichst aus dem Weg gingen und es Yvon Michel zunehmend schwer fiel, hochklassige Kämpfe auf die Beine zu stellen. Ob ein anderer Promoter diese schwierige Aufgabe erfolgreicher bewerkstelligen könnte, bleibt eine offene Frage.

Artur Beterbijew ist gegenwärtig der einzige Halbschwergewichtler, dem man ohne weiteres zutraut, Andre Ward und Sergej Kowaljow gefährlich werden zu können. Zu Amateurzeiten hat er den Russen besiegt, was freilich nicht bedeutet, daß ihm das zwangsläufig auch im Profilager gelingen würde. Auch Ward hätte an ihm eine harte Nuß zu knacken, da der Tschetschene im Unterschied zu Kowaljow auch dicht am Gegner, wo der Kalifornier für gewöhnlich am erfolgreichsten zu Werke geht, höchst versiert und wirksam zu boxen versteht. Andre Ward, der in der Regel klammernd, wühlend, haltend und zugleich schlagend seine Siege einfährt, träfe dabei auf einen Kontrahenten, der ihm in der Halbdistanz und im Infight sogar überlegen sein dürfte.

Sollte der US-Amerikaner erneut gegen Kowaljow gewinnen, der nach Ansicht diverser Experten allerdings in ihrem ersten Kampf der bessere Boxer war, würde er seinen Titel kaum gegen Beterbijew verteidigen. Ward dachte lange darüber nach, seine Karriere schon jetzt zu beenden, ehe er sich zur Revanche bereiterklärte. Ihn könnte allenfalls noch ein hochkarätiger und sehr lukrativer Prestigekampf reizen, für den der Tschetschene noch nicht in Frage kommt. Während ihn eingefleischte Boxfans in den höchsten Tönen loben, ist er dem breiteren Publikum in den USA kaum bekannt, zumal er lange außer Gefecht war.

Interessant wäre für ihn natürlich auch ein Kampf gegen den WBC-Champion Adonis Stevenson, doch müßte er nach Lage der Dinge vermutlich Jahre warten, bis er endlich an die Reihe käme. Sofern der Kanadier nicht gerade eine Pflichtverteidigung absolvieren muß, tritt er gegen nicht allzu gefährliche Rivalen in Serie an und sichert auf diese Weise mehr oder minder unangefochten seine Regentschaft. Diese Option kann Beterbijew im Grunde abschreiben, da Stevenson, der selber ja auch nicht jünger wird, niemals freiwillig gegen ihn antreten würde.

Um es zu einem prominenten Akteur im US-amerikanischen Boxgeschäft zu bringen, ohne auf eine natürliche Fangemeinde eingewanderter Landsleute zurückgreifen zu können, müßte Artur Beterbijew mehrere Jahre in Folge regelmäßig Kämpfe bestreiten und gewinnen. Gennadi Golowkin hat es mit drei bis vier jährlichen Auftritten seit 2012 zu einem der prominentesten Boxer der Branche gebracht, wobei er seit 2008 alle Gegner vorzeitig besiegt hatte und erst in seinem letzten Kampf gegen Daniel Jacobs wieder volle zwölf Runden gehen mußte, um sich durchzusetzen.

Wenngleich es Beterbijew aufgrund seines Könnens durchaus zuzutrauen wäre, sich mit spektakulären Siegen in Serie einen Namen zu machen, wäre eine weitere Untätigkeit angesichts eines langwierigen Rechtsstreits mit seinem Promoter natürlich Gift für solche Pläne. Zwangsläufig kommt einem in diesem Zusammenhang die quälende Durststrecke Andre Wards in den Sinn, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere als weltbester Akteur im Supermittelgewicht mehrere Jahre kaum noch in Erscheinung trat. Der Streit mit seinem damaligen Promoter Dan Goossen zog sich ewig hin und endete erst nach dessen Ableben, als sich die Erben konzilianter zeigten und eine rechtsverbindliche Trennung ausgehandelt werden konnte. Da Ward als Sieger des Super-Six-Turniers und ungeschlagener Weltmeister zweier Verbände zu den anerkannt besten Boxern aller Gewichtsklassen gehörte, gelang es ihm nach der langen Zwangspause, noch einmal Tritt zu fassen und sogar im Halbschwergewicht zu triumphieren. Im Falle Beterbijews, der noch keinen Titel gewonnen hat und relativ unbekannt ist, wäre die Ausgangssituation zwangsläufig ungleich schlechter. Man kann ihm daher nur wünschen, daß es zu keinem Dauerstreit mit seinem Promoter kommt, der sich über viele Monate oder gar Jahre hinzieht.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/05/artur-beterbiev-looking-leave-promoter/#more-234370

14. Mai 2017


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