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MELDUNG/2076: Komplimente mit Hintergedanken (SB)



Wladimir Klitschko wünscht Anthony Joshua viel Erfolg

Wladimir Klitschko hat Anthony Joshua seine besten Wünsche übermittelt, der IBF-Weltmeister möge heute abend in der Manchester Arena den Herausforderer Eric Molina nicht nur besiegen, sondern überdies eine glänzende Vorstellung geben. Uneigennützig ist diese Botschaft natürlich nicht, steht dem Ukrainer doch im Frühjahr ein Kampf gegen den Briten in Aussicht. Joshua steigt als Favorit in den Ring und möchte auch den 18. Auftritt seiner Karriere vorzeitig gewinnen. Je überzeugender ihm das gelingt, um so besser bewirbt er das Duell mit Klitschko, der seinen mutmaßlichen Gegner als einen der allerbesten Akteure bezeichnet, die derzeit das Schwergewicht bevölkern. Er wolle gegen den Besten antreten, um sich seine Titel zurückzuholen.

Im November 2015 hatte Klitschko die Titel der WBA, IBF und WBO überraschend an Tyson Fury verloren, der ihm keine Gelegenheit zur vertraglich vereinbarten Revanche gab. Der Brite sagte den geplanten Rückkampf zunächst im Juli und dann im Oktober aufgrund persönlicher Probleme ab, worauf er seine Titel niederlegte. Sollte der Ukrainer auf Anthony Joshua treffen, ist er zu diesem Zeitpunkt bereits 41 Jahre alt. Er habe nicht die Absicht, seine Karriere danach zu beenden, versichert Klitschko. Das sei ihm nicht in den Sinn gekommen, wobei ohnehin niemand das Recht habe, ihm zu sagen, wann er die Boxhandschuhe an den Nagel hängen solle.

Nachdem er so lange Weltmeister gewesen sei, habe er nicht damit gerechnet, seine Titel zu verlieren. Seither habe sich seine Perspektive von Grund auf geändert und er sei nun motivierter denn je. Der dreizehn Jahre jüngere Joshua war früher sein Sparringspartner, und der Ukrainer hatte ihm schon damals außergewöhnliches Talent attestiert. Inzwischen habe der Brite dazugelernt und sei noch besser geworden, spart Klitschko nicht mit Lob seines Wunschgegners. Je größer er den IBF-Champion redet, um so einträglicher ihr Kampf und bedeutsamer der erhoffte Sieg. [1]

Anthony Joshua mußte sich viel Kritik gefallen lassen, da er mit seiner muskelbepackten Statur nicht nur an einen Bodybuilder erinnert, sondern sich auch entsprechend steif bewegt. Dennoch hat er bislang alle Gegner binnen weniger Runden besiegt und ist Weltmeister geworden. Seinem Promoter Eddie Hearn hielten Skeptiker unentwegt vor, er füttere seinen Goldesel mit handverlesenen Kontrahenten, um ihn die Karriereleiter hinaufzuschieben. Das trifft zu und hat bislang ausgezeichnet funktioniert. Der junge britische Schwergewichtler hat sich unterwegs schnell genug verbessert, um mit den langsam wachsenden Anforderungen Schritt zu halten, und baut seinen Mythos aus. Hieß es vor noch nicht allzu langer Zeit, Joshuas Sturz sei nur eine Frage der Zeit, da ihn sein erster talentierter Gegner mit Dampf in den Fäusten umhauen werde, so ist man inzwischen vorsichtiger geworden und bezeichnet ihn sogar mitunter als besten Schwergewichtler neben WBC-Weltmeister Deontay Wilder.

Wie jeder Boxer hat auch Eric Molina eine Chance, Joshua überraschend als Weltmeister zu entthronen, aber die ist recht klein. Sein Vorteil ist allenfalls, daß er nichts zu verlieren hat und viel einstecken kann. Da er schon häufiger auf dem Boden gelegen hat und wieder aufgestanden ist, wird er vermutlich nicht beim ersten Volltreffer in Panik ausbrechen, sondern so lange weiterkämpfen, bis es wirklich nicht mehr geht. Davon abgesehen kursieren Gerüchte, Joshua habe große Probleme beim Sparring gehabt und sei nicht konzentriert, da er den Blick bereits auf den geplanten Kampf gegen Klitschko richte. Das ist nicht rundweg auszuschließen, sähe dem Briten aber gar nicht ähnlich, der stets auf passables Auftreten und eine honorige Einstellung bedacht ist. [2]

Eher schon steht zu befürchten, daß Joshua auf einen weiteren Gegner trifft, der ihm wenig entgegenzusetzen hat und sich von ihm überrollen läßt. Es ist kein gutes Zeichen, daß der Champion angekündigt hat, er wolle zunächst eine Weile mit Molina spielen und ihn dann an die Löwen verfüttern. Sollte sich frühzeitig abzeichnen, daß dem Titelverteidiger auch in diesem Kampf keine Gefahr droht, wäre das angesichts einer Vermarktung im Pay-TV nicht gerade geeignet, in Begeisterung auszubrechen. Zudem steht es dem Champion schlecht zu Gesicht, offen einzuräumen, daß er eigener Einschätzung zufolge einen Herausforderer vorgesetzt bekommt, der ihm von vornherein nicht das Wasser reichen kann. Wenngleich er als Boxer natürlich seinem Promoter die Verpflichtung der Gegner überlassen muß, hätte er bei der Auswahl doch ein gehöriges Wort mitzureden, sofern ihm daran liegt. [3]

Sollte es zum Kampf gegen Wladimir Klitschko kommen, stünde Anthony Joshua dem mit Abstand gefährlichsten Kontrahenten seiner Karriere gegenüber. Warum gehen der 27jährige Brite und sein für gewöhnlich so vorsichtiger Promoter dieses Risiko ein? Zum einen steht dabei nicht nur Joshuas IBF-Gürtel auf dem Spiel, sondern auch der vakante Titel der WBA, so daß der Sieger mit zwei Trophäen in seinem Besitz als Platzhirsch im Schwergewicht gelten wird. Zum anderen rechnet man im britischen Lager vermutlich damit, daß der Ukrainer den Zenit seines Könnens endgültig überschritten hat und körperlich nicht mehr in der Lage ist, all das umzusetzen, was ihm im Falle Joshuas sicher zu tun einfiele.

Dieser ist kein besonders variantenreicher, ausgefuchster und schwer zu durchschauender Boxer, sondern eher eindimensional in seiner Wucht. Klitschko, der in Manchester am Ring sitzen wird, um sich den Weltmeister aus der Nähe anzusehen, fehlt es am allerwenigsten an Erfahrung, um die Schwächen und Einfallstore bei Joshua identifizieren zu können. Denkt man jedoch an seinen katastrophalen Auftritt gegen Tyson Fury, bei dem er regelrecht paralysiert wirkte und selbst die wenigen Aktionen unterließ, die ihm wohl zum Sieg gereicht hätten, ist tatsächlich nicht abzusehen, ob der Ukrainer das Ruder noch einmal herumreißen kann.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18241397/wladimir-klitschko-wants-see-dominant-performance-anthony-joshua

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18236071/anthony-joshua-handle-pressure-well-eric-molina-eyes-blockbuster-2017

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/12/joshua-says-might-toy-molina/#more-222925

10. Dezember 2016


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