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MELDUNG/2075: Viel Wind um nichts? (SB)



Dereck Chisora und Dillian Whyte inszenieren eine Fehde

Wenngleich die britische Schwergewichtsszene für inszenierte Fehden berüchtigt ist, muten ihre diesbezügliche Anleihen an die bis ins Detail durchstrukturierten Drehbücher des professionellen Wrestlings doch zumeist recht altbacken an. Als der 32jährige ehemalige Titelaspirant Dereck Chisora auf der Pressekonferenz nach einem heftigen Wortwechsel einen Stuhl in Richtung seines kommenden Gegners Dillian Whyte warf, erinnerte dieser Zwischenfall allzu sehr an den schlecht bis gar nicht einstudierten Auftritt eines Laiendarstellers. Zum einen regte sich Chisora unvermittelt künstlich auf, zum anderen bediente er sich eines besonders leichten Plastikstuhls, der eigens zu diesem Zweck bereitgestellt zu sein schien. Sowenig man sich einen Übergriff mit Verletzungsfolgen wünschen kann, ist doch der offensichtliche Versuch, den bevorstehenden Kampf mangels sportlicher Attraktivität mittels eines plumpen Spektakels aufzuwerten, nicht gerade eine Sternstunde guter Unterhaltung. [1]

Wie üblich bei solchen gespielten Rangeleien kam es zu einem Tumult unter Beteiligung beider Lager wie auch des Sicherheitsdienstes. Whyte wurde von dem Stuhl ebensowenig getroffen wie Chisora von einem Mikrophon, das der gegnerische Trainer Mark Tibbs in seine Richtung warf. Überraschend kam diese Eskalation beileibe nicht, mußten die Streithähne doch einige Tage zuvor bei einem kurzen Fernsehauftritt zur Bewerbung ihres Duells voneinander getrennt werden, um es bei der Androhung von Handgreiflichkeiten zu belassen. Nachdem zunächst jeweils eigene Pressekonferenzen angekündigt worden waren, entschied man sich wie nicht anders zu erwarten doch für eine gemeinsame Präsentation, plazierte die beiden Boxer jedoch an den entgegengesetzten Enden des langen Tisches, wobei sich der Sicherheitsdienst bereithielt. [2]

Nun kursieren Gerüchte, daß der Kampf abgesagt und Chisora für sechs Monate gesperrt werde. Theoretisch ist das nicht ganz abwegig, da der Brite in der Vergangenheit des öfteren mit Ausfällen von sich reden gemacht hat. Er hatte Vitali Klitschko beim Wiegen eine Ohrfeige verpaßt, Wladimir Wasser ins Gesicht gespuckt und sich nach seiner Niederlage eine heftige Auseinandersetzung mit David Haye geliefert, die hohe Wogen in den Medien und bei den Verbänden schlug. Das Resultat war schließlich ein hochdotierter Kampf gegen Haye, den die beiden mit ihrer Randale erfolgreich beworben hatten. Daß die britische Boxkommission jetzt zwei Tage vor dem Kampf einen Strich durch die Rechnung macht, ist indessen kaum zu erwarten, risse eine solche Entscheidung doch ein nicht zu stopfendes Loch ins Vorprogramm. [3]

Im Hauptkampf des Abends in Manchester verteidigt Anthony Joshua den IBF-Titel im Schwergewicht gegen Eric Molina, während das Duell zwischen Dereck Chisora und Dillian Whyte als Ausscheidungskampf des Verbands WBC vorgesehen ist, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer des Weltmeisters Deontay Wilder werden soll. Warum ausgerechnet die beiden Briten, die an Nummer 10 (Whyte) und 11 (Chisora) der WBC-Rangliste geführt werden, in den Genuß dieses Vorzugs kommen, ist allerdings schleierhaft. Das wiederum könnte zur Erklärung beitragen, warum es eines demonstrativen Getöses bedarf, das von der Frage nach der sportlichen Relevanz ihres Auftritts ablenkt.

Wie Dillian Whyte hinterher erklärte, sei völlig klar, was passieren würde, ließe man sie ohne Sicherheitskräfte in denselben Raum. Schon bei ihrer Auseinandersetzung im Fernsehstudio habe es Chisora nicht gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben. Wie dessen zweiter feiger Auftritt zeige, habe sein Gegner die Schlacht bereits verloren. Offenbar waren die Rollen klar verteilt, denn während Whyte die Ruhe selbst zu sein schien, fiel der Part des Schreiens und Drohens weitgehend Chisora zu, der damit augenscheinlich keinerlei Probleme hat. Er legte denn auch mit den Worten nach, er mache, was er wolle, und lasse sich von niemandem davon abhalten. Whyte könne seinetwegen brav nach dem Lehrbuch und den Regeln boxen, doch werde er ihn ins tiefe Wasser ziehen und erledigen.

Der 28 Jahre alte Dillian Whyte ist jünger, schwerer und wohl auch talentierter als sein Gegner, wenngleich dieser über die weitaus größere Erfahrung verfügt. Die Zuschauer wollen Joshua gegen Molina gewinnen sehen, damit der Brite Champion bleibt und sich wie bereits geplant am 29. April 2017 mit Wladimir Klitschko messen kann. Chisora und Whyte sind in diesem Kontext nicht mehr als ein Zubrot, und ob der Sieger tatsächlich eine Chance bekommt, Deontay Wilder herauszufordern, steht in den Sternen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/12/chisora-tosses-table-whyte-looks-rehearsed/#more-222703

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18226372/dereck-chisora-throws-table-dillian-whyte-heated-press-conference-manchester

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/12/whyte-vs-chisora-rumored-canceled/#more-222843

8. Dezember 2016


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