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MELDUNG/1991: Rendezvous auf dem absteigenden Ast (SB)



George Groves gewinnt Ausscheidungskampf gegen Martin Murray

Nie zuvor dürften zwei Kandidaten aufeinandergetroffen sein, die zusammen so viele fehlgeschlagene Versuche, einen Titel zu gewinnen, in ihrer Bilanz mitbrachten. George Groves hat im Supermittelgewicht zweimal vorzeitig gegen Carl Froch und im September 2015 knapp nach Punkten gegen WBC-Champion Badou Jack verloren. Martin Murray erzielte bei Herausforderungen von Weltmeistern im Mittelgewicht ein Unentschieden und zwei Niederlagen, darunter eine vorzeitige gegen Gennadi Golowkin im vergangenen Jahr, sowie eine Punktniederlage gegen den damaligen WBO-Champion im Supermittelgewicht, Arthur Abraham, im November 2015. Daß die beiden Briten auf dem absteigenden Ast dennoch einen Ausscheidungskampf der WBA bestreiten durften, dessen Sieger neuer Pflichtherausforderer des regulären Weltmeisters Giovanni de Carolis wurde, fällt unter die Rubrik jener fragwürdigen Wunder, mit denen der Boxsport leider allzu reich gesegnet ist.

Der 28jährige George Groves setzte sich in der Londoner O2 Arena einstimmig nach Punkten (118:110, 118:110, 118:110) gegen den fünf Jahre älteren Martin Murray durch und gab damit seiner durchwachsenen Karriere wieder einmal einen neuen Anschub. Während für ihn nun 24 gewonnene und drei verlorene Auftritte notiert sind, bringt es sein Gegner auf 33 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden. [1]

Da sich keiner der beiden ein weiteres Scheitern leisten konnte, nahmen sie den Kampf zunächst sehr vorsichtig auf. In der vierten Runde gewann Groves dank seines guten Jabs zusehends die Oberhand, doch zog er sich kurz vor der Pause eine Rißwunde an der rechten Augenbraue zu. Murray drang im nächsten Durchgang auf ihn ein, mußte dabei aber die klareren Treffer hinnehmen. Dieses Bild setzte sich in der Folge fort, wobei Groves immer besser zur Geltung kam, da sich sein Gegner zunehmend hinter einer Doppeldeckung verschanzte und weniger schlug.

Gegen Ende der siebten Runde kam Groves mit einer wuchtigen Rechten durch, der er ebensolche Treffer gleich nach der Pause folgen ließ, worauf Murray angeschlagen wirkte und weitere Schläge über sich ergehen lassen mußte. In der neunten Runde wurde Murray vom Gong gerettet, doch in der zehnten schlug er plötzlich wieder zurück und verpaßte Groves einen heftigen Treffer. Dieser trieb den Kontrahenten schließlich in der letzten Runde an den Seilen in die Enge, doch geriet er dabei selber ins Stolpern und konnte nicht entscheidend nachsetzen. [2]

Martin Murray hatte den Kampf auf dieselbe Weise preisgegeben wie bei seinen gescheiterten Versuchen, Weltmeister zu werden. Er versteckte sich viel zu lange hinter seiner hochgezogenen Deckung und ließ den Gegner schlagen, ohne selbst allzu viel zu unternehmen. Auf diese Weise gab er Groves freie Hand, das Tempo zu bestimmen, Maß zu nehmen und Punkte zu sammeln. Sollte Murray gehofft haben, der Lokalmatador werde sich an ihm abarbeiten und schneller ermüden, so funktionierte das jedenfalls nicht. Dann und wann kam Groves doch mit einem seiner Schläge durch, die Murray mehrmals auf weichen Beinen taumeln ließen. Als Groves dann in der achten Runde tatsächlich Konditionsprobleme erkennen ließ und weniger als zuvor schlug, war Murray bereits derart in Mitleidenschaft gezogen, daß er sich hinter seiner Deckung versteckte und keine Angriffe unternahm.

Groves profitierte bei seinem verdienten Sieg zweifellos von einem paßförmigen Gegner mit einer dürftigen Schlagfrequenz. Denn wie sich zeigte, wurde der Londoner von den seltenen guten Treffern Murrays, die bei ihm einschlugen, heftig erschüttert. Hätte er mit einem der führenden Supermittelgewichtler im Ring gestanden, die in der Lage gewesen wären, ihm den Kampf aufzuzwingen, wäre er wohl vorzeitig gescheitert. Murray agierte hingegen über weite Strecken wie ein Sparringspartner, der es nicht darauf anlegt, seinerseits die Oberhand zu gewinnen. Entgegen seiner Ankündigung, die früheren Probleme seien behoben, wirkte Groves nicht minder konditionsschwach und von fraglichen Nehmerqualitäten wie in der Vergangenheit. Murray war nur eben ein idealer Kontrahent, weil er die Schwächen des Londoners nicht zu nutzen verstand, indem er ihn unter Druck setzte. Denkt man beispielsweise an Callum Smith, der vor Groves die WBC-Rangliste anführt, hätte letzterer den Ring kaum als Sieger verlassen.

Dank seines Erfolgs darf sich George Groves in absehbarer Zeit mit Giovanni de Carolis messen, der als regulärer Weltmeister der WBA eine Stufe unter dem Superchampion Felix Sturm rangiert. Der Italiener ist zweifellos der schwächste unter den aktuellen Titelträgern im Supermittelgewicht. An WBC-Champion Badou Jack ist der Brite bereits gescheitert, gegen James DeGale (IBF) und Gilberto Ramirez (WBO) hätte er derzeit wohl keine Chance. Eine günstigere Gelegenheit, am Ende doch noch Weltmeister zu werden, wird Groves wohl nie wieder bekommen, wobei keineswegs sicher ist, daß er sie tatsächlich nutzen kann. De Carolis ist von kräftiger Statur und kann ordentlich zuschlagen, was durchaus reichen könnte, um dem Briten abermals die Suppe zu versalzen.

Martin Murray steht nach dieser Niederlage die schwere Entscheidung ins Haus, ob er dennoch weitermachen oder seine Karriere beenden sollte. Er hat nun drei seiner letzten sieben Auftritte verloren und keine Titelchance nutzen können. Der Ausscheidungskampf gegen Groves war ein Geschenk der WBA, da ihn der Verband würdigeren Kandidaten unter den Top 15 der Rangliste vorzog. Promoter Eddie Hearn wäre dank seines Einflusses wohl in der Lage, Murray zumindest weitere Qualifikationen zu verschaffen, die jedoch kaum besser ausgehen würden als die aktuelle mit George Groves.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/george-groves-vs-martin-murray-results/#more-212553

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/16515740/george-groves-outpoints-martin-murray-set-another-world-title-shot

28. Juni 2016


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