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MELDUNG/1981: Eigenlob muß mit dem Echo rechnen (SB)



US-Schwergewichtler Jarrell Miller würdigt die Konkurrenz herab

Wenngleich der US-amerikanische Schwergewichtler Jarrell Miller bereits seit sieben Jahren im Profigeschäft aktiv und mit 17 Siegen sowie einem Unentschieden ungeschlagen ist, hat ihn das Publikum wie auch die Konkurrenz bislang weithin ignoriert. Das will der 27jährige, den der Verband WBA an Nummer elf seiner Rangliste führt, nun ändern. Was ihm durch seine Auftritte im Ring nicht gelungen ist, gedenkt er fortan zu befördern, indem er sich abfällig über führende Akteure wie Deontay Wilder, Anthony Joshua oder Tyson Fury äußert. Diese Strategie hat zumindest dazu geführt, daß ihm die Anwürfe eine gewisse Beachtung in der aktuellen Berichterstattung verschaffen, die freilich nicht zu seinen Gunsten ausfällt.

Miller hat sich insbesondere auf seinen Landsmann Deontay Wilder eingeschossen, der den WBC-Titel am 16. Juli in Birmingham, Alabama, freiwillig gegen Chris Arreola verteidigt. Der Herausforderer wurde kurzfristig ausgewählt, nachdem der geplante Kampf gegen Alexander Powetkin abgesagt werden mußte, weil bei dem Russen im Zuge einer Dopingkontrolle geringe Spuren einer seit Anfang des Jahres verbotenen Substanz nachgewiesen wurden. Daraufhin gestattete der Verband WBC dem Champion, anstelle des Pflichtherausforderers zeitnah einen anderen Gegner nach freier Wahl auszusuchen, während die Causa Powetkin unterdessen einer Klärung zugeführt wird.

Niemand schere sich einen Deut um Wilder und Arreola, zieht Miller gegen seine prominenten Kollegen vom Leder. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wüßten mit dem Namen des Weltmeisters überhaupt nichts anzufangen. Man kenne ihn allenfalls als einen wilden Burschen aus Alabama, der irgendwie in den Besitz eines Gürtels gelangt sei, höhnt der von der Branche mißachtete Schwergewichtler. Er könne garantieren, daß Arreola nicht länger als vier Runden gegen ihn durchhalten würde, trägt Miller dick auf. Wenn man schon in letzter Minute einen neuen Herausforderer gesucht habe, hätte man besser Bermane Stiverne nehmen sollen, weiß er es besser als das Lager des Weltmeisters samt dessen Berater Al Haymon.

Jarrell Miller würdigt mit Deontay Wilder einen Weltmeister herab, der in 36 Kämpfen ungeschlagen ist und dabei 35 Gegner vorzeitig besiegt hat. Wilder mußte lediglich beim Titelgewinn im Kampf gegen Bermane Stiverne über volle zwölf Runden gehen, weil er sich an dem Eisenschädel des für seine ausgezeichneten Nehmerqualitäten bekannten Kanadiers die rechte Hand gebrochen hatte. Wohl trifft es zu, daß der Weltmeister dem breiteren Boxpublikum längst nicht so bekannt ist wie eine Reihe anderer Akteure, die eine sehr viel größere Fangemeinde um sich scharen. Dazu mag beigetragen haben, daß seine Auftritte vom Sender Showtime übertragen werden, der über einen kleineren Abonnentenstamm als der Konkurrent HBO verfügt. Andererseits muß man berücksichtigen, daß Wilder erst im vergangenen Jahr WBC-Champion geworden ist und seither durchaus an Popularität gewonnen hat.

Millers Vorschlag, man hätte lieber Bermane Stiverne auswählen sollen, hat weder Hand noch Fuß. Der Kanadier mußte sich Wilder klar geschlagen geben, weil er weder mit dessen Größe von 2,01 m, noch der Schnelligkeit und den technischen Fertigkeiten des Kontrahenten zurechtkam. Daher ist zweifelhaft, ob die Zuschauer für eine Neuauflage zu begeistern wären. Davon abgesehen ist die Vorstellung abwegig, man könne kurzfristig einen derart anspruchsvollen Kampf organisieren.

Arreola ist unter den gegebenen Umständen insofern keine schlechte Wahl, weil er einen gut eingeführten Namen hat und als Boxer mit mexikanischen Wurzeln eine beträchtliche Anhängerschaft mobilisieren kann. Er hat gegen Vitali Klitschko und Bermane Stiverne um die Weltmeisterschaft gekämpft, seine Auftritte sind seit Jahren im Fernsehen präsent, und wenn er auch in jüngerer Zeit keine Bäume ausgerissen hat, übertrifft seine Popularität immer noch die Stivernes, obgleich dieser stärker einzuschätzen ist.

Wenn sich Miller zu der Behauptung versteigt, er könne Arreola binnen vier Runden auf die Bretter schicken, sind Zweifel angebracht. Mit einer Größe von 1,93 m und über 120 kg Gewicht ist er zwar eine imposante Erscheinung und hat zweifellos Dampf in den Fäusten. Andererseits ist seine Beinarbeit nicht gerade die behendeste, und vor seinem letzten Kampf gegen Nick Guivas am 27. Mai brachte er stolze 128 kg auf die Waage, die seiner Beweglichkeit wenig förderlich waren. Dies erlaubte es dem weithin unbekannten Gegner, ihn zumindest in der ersten Runde mit diversen linken Haken zu traktieren, ehe das Duell in ein Massaker umschlug. Arreola würde Miller zweifellos vor Probleme stellen, wie sie dieser in seiner Karriere bislang kaum zu bewältigen hatte. [1]

Jarrell Miller ist in Brooklyn aufgewachsen, wo der Sohn karibischer Einwanderer im Alter von vierzehn Jahren begann, Muay Thai zu lernen, um sich seiner Haut wehren zu können. Zwei Jahre später nahm er auch das Boxtraining auf und betätigte sich geraume Zeit auf beiden Feldern. So trat er 2007 für die New Jersey Tigers in der World Combat League an und erreichte im selben Jahr das Finale der New York Golden Gloves. Am 18. Juli 2009 gewann Miller in New York sein Profidebüt als Boxer, seit 2012 kämpfte er zudem als Kickboxer im Format K-1.

Wie diese Vorgeschichte zeigt, hat sich Miller in verschiedenen Sparten des Kampfsports engagiert und vorangearbeitet. Im Jahr 2015 setzte er sich unter anderem gegen Damon McCreary und Achror Muralimow durch. Am 22. Januar 2016 sicherte er sich den WBA-NABA-Titel, als er Donovan Dennis vorzeitig bezwang. Dies zeigt, in welchem Maße es ihm gelang, sich als Boxer zu profilieren, doch belegen die Namen seiner letzten Gegner, die selbst gestandenen Experten weitgehend unbekannt sein dürften, welche Grenzen seinem Aufstieg bislang gesetzt waren. So verständlich daher sein Ansinnen sein mag, sich ins Gespräch zu bringen, ruft er mit seinen Ausfällen gegen weit erfolgreichere Konkurrenten zwangsläufig die skeptische Frage auf den Plan, auf welchem Niveau er seine eigene Boxkarriere bislang gepflegt hat.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/jarrell-miller-trashes-deontay-wilder-chris-arreola/#more-211958

16. Juni 2016


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