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MELDUNG/1956: Unspektakulär, aber effizient (SB)



Kubrat Pulew zeigt Dereck Chisoras Grenzen auf

Kubrat Pulew hat sich wie erwartet den vakanten Titel des Europameisters im Schwergewicht gesichert. Der 35jährige Bulgare aus dem Team Sauerland setzte sich in der Hamburger Barclaycard Arena mit 2:1 Wertungen gegen den drei Jahre jüngeren Briten Dereck Chisora durch, der ebenfalls bei Sauerland Event unter Vertrag steht. Während zwei Punktrichter (116:112 und 118:110) denselben Kampf wie die Zuschauer gesehen hatten, stellt sich beim dritten (115:113 für Chisora) die bange Frage, wie eine derartige Fehleinschätzung möglich ist. Der an Nummer zwei der IBF-Rangliste und beim WBC als Dritter geführte Pulew baute seine Bilanz auf 23 Siege und eine Niederlage aus, für den Briten stehen nun 25 gewonnene und sechs verlorene Auftritte zu Buche.

Der mit 1,94 m immerhin elf Zentimeter größere Bulgare nutzte seine Reichweitenvorteile sehr effektiv aus, um den Kampf mit einem starken Jab und der Rechten zu dominieren. Chisora hatte sichtlich Probleme, nahe genug an den Gegner heranzukommen, und wenn ihm das doch gelang, klammerte ihn Pulew sofort. Der Brite schlug zwar auch dann noch weiter, erzielte dabei aber keine nennenswerte Wirkung. Als er sich gegen Ende der vierten Runde an den Seilen festsetzen ließ, verpaßte ihm der Bulgare mehrere heftige Schläge. Im folgenden Durchgang kam Pulew dann mit einer über die Deckung gezogenen Rechten durch. In der sechsten Runde hatte der Brite eine gute Szene, als er den Gegner mit einer Rechten erschütterte. Der Bulgare vermied jedoch weitere Treffer und überstand die Zeit bis zur Pause.

Von der Hälfte des Kampfes an wirkte Chisora frustriert und legte sich in einer Szene mit dem Ringrichter an, bei dem er sich über nicht geahndete Kopfstöße des Kontrahenten beklagte. Ab der neunten Runde wurde der Brite zusehends schwächer und zog sich immer häufiger an die Seile zurück, wo ihn Pulew mit Schlägen eindeckte. Chisora wirkte nun müde und schien des öfteren Pausen einzulegen, um sich zu erholen. Möglicherweise resignierte er aber auch, weil er kein Mittel fand, dem Kontrahenten gefährlich zu werden. Sein Gesicht war deutlich von dem ständigen Jab des Bulgaren gezeichnet, und nachdem sich bereits früher im Kampf eine Schwellung an seinem linken Auge herausgebildet hatte, war ab der zehnten Runde auch die Sicht auf der rechten Seite zunehmend eingeschränkt. [1]

Während der Gürtel des Europameisters, den beide Akteure in der Vergangenheit schon einmal in ihren Besitz gebracht hatten, eher eine Beigabe ist, hat Kubrat Pulew dank dieses solide und effizient herausgeboxten Erfolgs seine Aussichten verbessert, beim Verband IBF einen Titelkampf gegen den Weltmeister Anthony Joshua zu bekommen. Das Duell in Hamburg war eine Vorausscheidung, deren Sieger im nächsten Schritt gegen den Neuseeländer Joseph Parker oder den aus Kamerun stammenden Franzosen Carlos Takam antreten soll, die am 21. Mai in Auckland aufeinandertreffen. Sollte sich Pulew erneut durchsetzen, was erheblich schwerer als gegen Chisora sein dürfte, kann er sich mit dem amtierenden Champion messen.

Ob Anthony Joshua dann immer noch IBF-Weltmeister ist, muß sich natürlich erst erweisen, zumal er es am 25. Juni in London mit Dominic Breazeale zu tun bekommt. Der US-Amerikaner gilt indessen als vergleichsweise leichte Aufgabe bei der ersten freiwilligen Titelverteidigung des IBF-Weltmeisters, der sich dabei sicher nicht die Butter vom Brot nehmen läßt.

Dereck Chisora und Kubrat Pulew sind beide schon einmal in Titelkämpfen gegen die Klitschkos gescheitert. Der Brite verlor 2012 einstimmig nach Punkten gegen den damaligen WBC-Champion Vitali Klitschko, worauf der Bulgare 2014 im Kampf um den IBF-Titel in der fünften Runde an Wladimir Klitschko scheiterte. Schlaflose Nächte dürfte Pulew trotz seines souverän erzielten Erfolgs in Hamburg keinem der aktuellen Weltmeister bereiten. Tyson Fury saß aus unerfindlichen Gründen am Ring, wohl um sich seinen Landsmann Chisora anzusehen, der schon zweimal gegen ihn verloren hat. [2]

Dessen Aussichten sind nach der Niederlage gegen Pulew erheblich gesunken, zumal er 2012 auch gegen den ehemaligen WBA-Champion David Haye den kürzeren gezogen hat. Chisora hatte zuletzt zwar fünf Auftritte in Folge gewonnen, sich dabei aber keine hochklassigen Kontrahenten zur Brust genommen. Dies bescherte ihm den Kampf gegen den Bulgaren, der ihm nun in aller Deutlichkeit seine Grenzen aufgezeigt hat.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/05/pulev-decisions-chisora/#more-209666

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15484081/kubrat-pulev-defeats-dereck-chisora-close-anthony-joshua-world-title-figh

12. Mai 2016


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