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MELDUNG/1838: Urbane Rivalität als Werbeträger (SB)



Liam Smith (Liverpool) gegen Jimmy Kelly (Manchester)

Wie der britische Promoter Frank Warren bekanntgegeben hat, verteidigt Liam Smith den Titel des Verbands WBO im Halbmittelgewicht erstmals am 19. Dezember in Manchester gegen seinen Landsmann Jimmy Kelly. Das Duell firmiert als zweiter Hauptkampf der Veranstaltung, deren Höhepunkt die Titelverteidigung des irischen WBO-Weltmeisters im Mittelgewicht, Andy Lee, gegen den englischen Pflichtherausforderer Billy Joe Saunders ist.

Nachdem die WBO dem US-Amerikaner Demetrius Andrade den Gürtel im Halbmittelgewicht wegen zu langer Inaktivität aberkannt hatte, trafen im Kampf um den vakanten Titel Liam Smith und John Thompson am 10. Oktober ebenfalls in der Manchester Arena aufeinander. Dabei setzte sich der 27jährige Brite in der siebten Runde durch und verbesserte damit seine Bilanz auf 21 Siege sowie ein Unentschieden.

Ungeschlagen ist auch sein 23 Jahre alter Gegner Jimmy Kelly, der bislang 16 Auftritte gewonnen und sieben von ihnen vorzeitig für sich entschieden hat. Der junge Herausforderer macht mit diesem Auftritt gegen den Weltmeister einen gehörigen Schritt voran, da er bislang mit mehr oder minder unbekannten Kontrahenten im Ring gestanden hat, von denen nur fünf eine positive Bilanz mitbrachten. Zudem bestreitet Kelly erstmals in seiner Karriere einen auf zwölf Runden angesetzten Kampf.

Da Liam Smith aus einer bekannten Boxerfamilie in Liverpool stammt und drei Brüder hat, die es ebenfalls zu britischen Meistern in ihren jeweiligen Gewichtsklassen gebracht haben, während Jimmy Kelly in Manchester zu Hause ist, läßt sich ihr Aufeinandertreffen als Duell der beiden rivalisierenden Städte vermarkten. Tatsächlich handelt es sich um den ersten Kampf seit 82 Jahren, in dem Akteure aus Liverpool und Manchester gegeneinander um die Weltmeisterschaft boxen. Beim bislang letzten derartigen Ereignis hatte Jackie Brown aus Manchester am 11. Dezember 1933 seinen Titel im Fliegengewicht durch einen Punktsieg nach 15 Runden erfolgreich gegen den Liverpooler Herausforderer Ginger Foran verteidigt. Wenngleich diese Konstellation den Rest der Welt kaum beeindrucken dürfte, sorgt sie doch für genügend Lokalkolorit, um dem kommenden Ereignis zumindest für die örtlichen Fangemeinden zusätzliche Bedeutung zu verleihen.

Daß der Champion seinen Gürtel vor dem Heimpublikum seines Gegners verteidigen muß, scheint ihn nicht zu bekümmern. In der Bewerbung des Kampfs nimmt er Anleihen an die weithin bekannte Konkurrenz der führenden Fußballklubs aus Manchester und Liverpool. Smith kündigt einen spektakulären Kampf an, sofern es gelinge, im Ring dasselbe Feuer der Rivalität wie auf dem Rasen zu entfachen. Er freue sich auf seine erste Titelverteidigung, bei der er es mit einem zähen und ungeschlagenen Herausforderer zu tun bekomme, der Leidenschaft und Ambitionen vereine. Kelly werde unter den Top 10 der WBO-Rangliste geführt und sei zweifellos fest entschlossen, den berühmten Gürtel in seinen Besitz zu bringen. Das seien phantastische Aussichten, die seine eigene Motivation nur noch beflügle, dem Kontrahenten im Ring eine Abreibung zu verpassen und den Titel keinesfalls herzugeben.

Er sei zum bestmöglichen Zeitpunkt Weltmeister geworden, da er den Höhepunkt seines Könnens erreicht habe und noch lange Zeit in dieser Verfassung kämpfen könne. Zugleich stehe er erst am Anfang einer Regentschaft als Champion, die noch sehr viel mehr für ihn bereithalte als den Titelgewinn. Bar jeden Zweifels werde er einem Aufsteiger wie Kelly keine Chance lassen, auch nur in die Nähe seines Gürtels zu kommen. Diese Trophäe werde mit ihm nach Liverpool heimkehren, so der Weltmeister.

Der Herausforderer ist sich natürlich bewußt, daß er als vermeintlich leichte Beute des Titelverteidigers ausgesucht worden ist. Den Status des krassen Außenseiters will Kelly jedoch nicht gelten lassen und so verkündet er trotzig, daß die Regentschaft des aktuellen WBO-Champions sehr, sehr kurz sein werde. Er könne Smith nur raten, die nächsten fünf Wochen in vollen Zügen zu genießen, da er nach dem 19. Dezember nicht mehr Weltmeister sein werde - genau wie Manchester United dem FC Liverpool das Nachsehen gegeben habe.

Beim Boxen gehe es stets darum, die gebotene Chance beim Schopf zu ergreifen. Packe man nicht zu, wenn sich eine Gelegenheit bietet, schließe sich das Fenster wieder. Er sei bereit, den Weltmeister vom Thron zu stürzen, und werde keinesfalls zu denen gehören, die einer verpaßten Gelegenheit nachtrauern. Da er dem Champion in allen Belangen überlegen sei, werde Liam Smith eine gehörige Tracht Prügel beziehen und ohne den Gürtel abziehen müssen. [1]

Ohne den Reiz dieses Duells im regionalen und vielleicht auch nationalen Maßstab in Abrede zu stellen, bleibt doch anzumerken, daß international gesehen andere Akteure im Halbmittelgewicht tonangebend sind. Als Liam Smith den vakanten Titel gewann, stand er an Nummer drei und sein Gegner John Thompson an fünfter Stelle der WBO-Rangliste. In den ersten fünf Runden wurde der Brite von Thompson regelrecht ausgeboxt, worauf er im sechsten Durchgang einen Treffer landen konnte, von dessen Folgen sich der US-Amerikaner nicht mehr erholte. Alles in allem könnte man daher von einem recht glücklichen Titelgewinn des Liverpoolers sprechen, der unter den aktuellen Weltmeistern als der schwächste gilt.

Nach dem Abschied Floyd Mayweathers ist der WBC-Titel vakant und dürfte in absehbarer Zeit die Beute Jermell Charlos werden, dessen Zwillingsbruder Jermall bereits IBF-Champion ist. Neben den Brüdern Charlo sind auch der reguläre WBA-Weltmeister Erislandy Lara und der ehemalige WBO-Titelträger Demetrius Andrade erheblich stärker als der Brite einzuschätzen. Auch in der ansonsten schwach besetzten WBO-Rangliste tauchen mit Austin Trout, Vanes Martirosian und Michel Soro zumindest drei Kandidaten auf, die Liam Smith größte Probleme bereiten würden. Daß Frank Warren für die erste freiwillige Titelverteidigung seines neuen Champions mit Jimmy Kelly einen leichten Gegner ausgesucht hat, ist Promoter und Boxer nicht zu verdenken, sollte aber im umfassenderen Kontext der Gewichtsklasse gewichtet werden.


Fußnote:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14105414/liam-smith-defend-title-jimmy-kelly-dec-19-manchester

12. November 2015


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