Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1810: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben (SB)



Klitschko gegen Fury - Neuer Termin im November angesetzt

Die verschobene Titelverteidigung Wladimir Klitschkos gegen Tyson Fury wird am 28. November in der 55.000 Zuschauer fassenden Düsseldorfer Esprit Arena nachgeholt. Der ursprünglich für den 24. Oktober anberaumte Kampf mußte vertagt werden, da sich der Weltmeister im Training einen Sehnenriß an der linken Wade zugezogen hatte. Nach Angaben des Ukrainers hat ihm sein behandelnder Arzt inzwischen grünes Licht gegeben, die Vorbereitung wieder aufzunehmen. Die Verletzung werde schnell genug ausheilen, so daß der neue Termin nicht gefährdet sei. Er freue sich sehr, das Duell noch in diesem Jahr über die Bühne bringen zu können, zumal viele Fans bereits Eintrittskarten gekauft hätten.

Nachdem der 39 Jahre alte Champion nur einen Tag nach der turbulenten Pressekonferenz in London, zu der Fury in einem Batmankostüm erschienen war, die Verlegung des Kampfs bekanntgegeben hatte, zog der zwölf Jahre jüngere Herausforderer in den sozialen Medien über ihn her. Wie der Brite behauptete, überrasche ihn die Absage nicht, da der Weltmeister offenbar Angst vor ihm habe. Die anfangs erörterten Bedenken, die Titelverteidigung müsse auf unabsehbare Zeit verschoben werden, scheinen angesichts der aktuellen Entwicklung jedoch hinfällig zu sein.

Warum Klitschko Angst vor Fury haben sollte, erschließt sich nicht, wenn man die Gegner Revue passieren läßt, mit denen die beiden bislang im Ring gestanden haben. Der 2,06 m große Brite ist zwar in 24 Kämpfen ungeschlagen, hat aber nie gegen stärkere Kontrahenten als seinen Landsmann Dereck Chisora gekämpft, den er bei ihrer Revanche im November 2014 erneut besiegte und damit zum Pflichtherausforderer des Verbands WBO aufstieg. Für den Ukrainer stehen 64 Siege und drei Niederlagen zu Buche, wobei er in seiner mehr als elf Jahre währenden Regentschaft sämtliche Gegner in die Schranken gewiesen hat. Er müßte nach 18 erfolgreichen Titelverteidigungen in Serie schon sehr nachgelassen haben, um es mit Fury nicht aufnehmen zu können. [1]

Bei seinem letzten Kampf am 25. April im New Yorker Madison Square Garden gegen Bryant Jennings gelang es Klitschko nicht, den ersten Auftritt in den USA seit 2008 glanzvoll zu gestalten. Für einen klaren Punktsieg reichte seine Leistung aber allemal aus, zumal sich der Herausforderer frühzeitig damit begnügte, möglichst wenig getroffen zu werden. Daraufhin wurden Stimmen laut, die von einem alternden Champion sprachen, der seine frühere Schnelligkeit und Präzision eingebüßt habe. Wenngleich natürlich auch der Ukrainer seiner langen Karriere früher oder später Tribut zollen muß, wie die aktuelle Verletzung belegt, blendeten diese Einschätzungen doch die Konstellation beim Kampf gegen den kleineren und immer wieder abtauchenden Jennings weitgehend aus, der kaum etwas unternahm, um womöglich den Sieg davonzutragen.

Tyson Fury hat außer seiner imposanten Statur und vielleicht noch seiner Fähigkeit, die Auslage im Kampf zu wechseln, keine nennenswerten Qualitäten, die denen Klitschkos überlegen wären. Sein Jab ist relativ schwach, seine Schlagwirkung nicht sonderlich ausgeprägt und sein Kinn nicht allzu robust. Er wurde in der Vergangenheit von wesentlich kleineren Gegnern niedergeschlagen und gewann seine Kämpfe, indem er die körperlich unterlegenen Kontrahenten niederwalzte, in die Seile drängte und solange wild auf sie einschlug, bis sie zu Boden gingen oder aus dem Kampf genommen wurden. Klitschkos einziger Nachteil in diesem Duell dürfte sein, daß er sich nicht auf den acht Zentimeter größeren Briten legen und ihn klammern kann, wie er das ansonsten ständig macht, sobald er angegriffen wird. Indessen hat der Ukrainer bei seinem Sieg über den 2,02 m großen Mariusz Wach im November 2012 in Hamburg demonstriert, daß er durchaus mit einem hochgewachsenen Kontrahenten umgehen kann. Der Pole boxte so statisch, daß er ein leichtes Ziel bot, hatte aber andererseits erheblich bessere Nehmerqualitäten, als man sie Fury attestieren kann.

Einen Strich durch die Rechnung könnte allenfalls noch der Sender Sky Sports machen, der den Kampf im Bezahlfernsehen vermarkten will und den Termin am 28. November absegnen muß. Noch ist nicht ausgeschlossen, daß Sky Box Office keinen Sendeplatz freimachen kann oder will, wodurch es zu einer neuerlichen Verschiebung käme. Würde die Veranstaltung kostenlos übertragen, wäre das Problem vermutlich leichter lösbar. Da der Ertrag aus dem Buchungsgeschäft jedoch einen erheblichen Anteil zum Gesamterlös beisteuert, sind die Weichen in dieser Hinsicht gestellt. Wenngleich das Vorprogramm mit Tysons jüngerem Bruder Hughie Fury als bekanntestem Namen nicht besonders attraktiv bestückt ist, rechnet man beim Sender zweifellos damit, daß das britische Publikum massenhaft zugreifen wird, koste es, was es wolle. Auf deutscher Seite wird RTL sicher eine gute Quote einfahren und mit seinem werbefinanzierten Geschäftsmodell auf der sicheren Seite sein.

Tyson Fury ist hinterher ein reicher Mann, so daß er eine Niederlage zumindest in dieser Hinsicht verschmerzen könnte. Ob er in diesem Fall noch geneigt wäre, in mühevoller Arbeit einen zweiten Anlauf zu nehmen, ist ungewiß. Sein Landsmann David Haye, der für seinen Kampf gegen Klitschko noch wesentlich mehr verdient haben dürfte, hat danach nur noch einmal im Ring gestanden und mit Dereck Chisora abkassiert. Eine Schulterverletzung verhinderte einen geplanten Kampf gegen Fury, und seither ist Haye kaum mehr als ein herumgeisternder Schatten, der gelegentlich seine Rückkehr ankündigt. Carl Froch strich bei seinen beiden Siegen über George Groves mehr als je zuvor in seiner Karriere ein und konnte sich anschließend über ein Jahr lang nicht entscheiden, wie es weitergehen sollte, bis er sich schließlich aufs sportliche Altenteil zurückzog. Sollte Fury bei seinem Vorhaben scheitern, den Ring als neuer Weltmeister diverser Verbände zu verlassen, würde er das Leben sicher trotzdem in vollen Zügen genießen. [2]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13792317/heavyweight-world-championship-fight-wladimir-klitschko-tyson-fury-rescheduled-nov-28

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/10/sky-sports-must-approve-klitschko-fury-for-november-28th/#more-199915

3. Oktober 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang