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MELDUNG/1733: Nichts verlernt ... (SB)



Andre Ward dominiert Paul Smith auf ganzer Linie

Andre Ward, der nach dem Gewinn des Super-Six-Turniers als weltbester Akteur des Supermittelgewichts galt, hat bei seiner Rückkehr nach langer Pause ein noch immer außergewöhnliches Können unter Beweis gestellt. Wenngleich sein britischer Gegner Paul Smith als vergleichsweise leichter Gegner eingestuft worden war, löste der Kalifornier diese Aufgabe doch so souverän, daß zweifellos wieder mit ihm zu rechnen ist. Er dominierte den zähen Veteranen nicht nur über die gesamte Dauer ihres Kampfs, sondern legte dabei eine enorme Präzision seiner Aktionen an den Tag, der Smith nichts entgegenzusetzen hatte. Das Duell endete durch Abbruch in der neunten Runde, da die Ecke des Briten Konsequenzen aus dessen aussichtsloser Lage zog und das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe warf, um ihren Boxer vor schlimmeren Schäden zu bewahren. Während der in nunmehr 28 Auftritten ungeschlagenen US-Amerikaner seine makellose Bilanz weiter ausbauen konnte, stehen für den Außenseiter jetzt 35 Siege und sechs Niederlagen zu Buche, von denen er zwei in Folge gegen den Berliner WBO-Weltmeister Arthur Abraham bezogen hatte.

Verletzungen und Kontroversen mit seinem früheren Promoter, die Ward lange zur Untätigkeit verdammt hatten, waren zwar seiner Karriere abträglich, taten aber offensichtlich seinen Qualitäten im Ring keinen Abbruch. Berücksichtigt man, daß er fast zwei Jahre lang keinen Kampf mehr bestritten hatte, lieferte sein überzeugender Auftritt genügend Anhaltspunkte dafür, daß er nicht nur in guter Verfassung ist, sondern sich künftig noch einmal zu steigern verspricht. Sowohl der Konkurrenz in seiner aktuellen Gewichtsklasse als auch im Halbschwergewicht steht damit ein Rivale ins Haus, der sie vor allergrößte Probeme stellen dürfte.

Bemerkenswert war insbesondere, daß Andre Ward jeden Schlag mit Bedacht und beabsichtigter Wirkung auszuführen schien. Während viele andere Boxer den Jab lediglich dazu benutzen, um Aktivität zu demonstrieren, die Distanz zu prüfen und Kombinationen vorzubereiten, setzt ihn der Kalifornier als gefährliche Waffe ein. Nur wenige Boxer wie Floyd Mayweather, Gennadi Golowkin, Miguel Cotto und Sergej Kowaljow, die zu den allerbesten Akteuren ihres Limits zählen, verfügen über einen ähnlich gefährlichen Jab.

Ward hatte seinen Gegner offensichtlich gründlich studiert und erkannt, daß Smith mit hoher Deckung zu boxen pflegt. Deshalb schlug er den Jab häufig zum Körper des Briten, der nach einigen Runden deutliche Spuren dieser zermürbenden Treffer erkennen ließ. Auf diese Weise nahm er dem überforderten Kontrahenten nicht nur die Luft, sondern zwang ihn auch in zunehmendem Maße, die Deckung herunterzunehmen, um sich besser vor diesen schmerzhaften Schlägen zu schützen. Das wiederum öffnete Lücken für Angriffe zum Kopf, wovon Ward reichlich Gebrauch machte. Was immer Smith also unternahm, um sich zu verteidigen, gereichte ihm zum Verhängnis. Griff er seinerseits an, schränkte das Ward keineswegs ein, der über eine erstklassige Defensive verfügt und überdies ein erfahrener Konterboxer ist.

Zudem zeichnete sich deutlich ab, daß eine erzwungene Untätigkeit Andre Ward nicht aus der Bahn wirft. Ähnlich wie Mayweather, der nicht umsonst als bester Boxer aller Gewichtsklassen gehandelt wird, geht auch Andre Ward in seinem Metier auf. Die Trainingshalle ist sein Zuhause, und er stimmt seine gesamte Lebensführung darauf ab, sich durchgängig in Form zu halten. Daß er während seiner ausgedehnten Pause Rost angesetzt haben könnte, war ihm jedenfalls nicht anzumerken. [1]

Wenngleich es dennoch voreilig wäre, wollte er sich nach seiner gelungenen Rückkehr sofort mit den gefährlichsten Gegnern wie Golowkin, Kowaljow oder Adonis Stevenson messen, scheint der Zeitpunkt solcher spektakulären Duelle doch keineswegs in unabsehbarer Ferne zu liegen. Noch ein oder zwei Aufbaukämpfe gegen stärkere Kontrahenten als Paul Smith, und Ward ist wieder für die anspruchsvollsten Aufgaben bereit. Das Problem ist weniger das Können des Amerikaners im Ring, als vielmehr seine zwischenzeitlich gesunkene Popularität beim Publikum, die hochkarätigen Auftritten im Weg stehen könnte.

Selbst auf dem Höhepunkt seiner Erfolge erfreute sich Ward nie einer großen Fangemeinde, so daß er nun vor allem darum kämpfen muß, die führenden Sender zu überzeugen, ihn an prominenter Stelle zu präsentieren. Seine Kampfesweise ist effizient, aber oftmals unspektakulär, da er weder den wilden Schlagabtausch noch verheerende Einzeltreffer favorisiert, die von den Zuschauern als spannend oder eindrucksvoll wahrgenommen werden. Zudem tritt er vorzugsweise im heimischen Oakland oder ausnahmsweise in Atlantic City, nicht aber in Las Vegas oder New York an, den Hochburgen des Profiboxens in den USA. Hinzu kommt sicher auch, daß seine Gegner im Super-Six-Turnier wie Mikkel Kessler, Arthur Abraham oder Carl Froch aus Europa kamen und dem US-amerikanischen Publikum weithin unbekannt waren. So listeten ihn Experten unter den führenden Boxern der gesamte Branche auf, während ihn das Publikum nicht gerade ignorierte, aber weit unter Wert registrierte. Ob es daher zu Duellen mit den namhaftesten Konkurrenten seiner Gewichtsregion kommt, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Wards neuer Promoter Mittel und Wege findet, die Vermarktung dieses hervorragenden Boxers auf einer höheren Ebene zu etablieren.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/06/the-second-coming-of-the-son-of-god-andre-ward/#more-189295

24. Juni 2015


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