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MELDUNG/1689: An Terence Crawford scheiden sich die Geister (SB)



Auf Anhieb neuer WBO-Champion im Halbweltergewicht

An Terence Crawford scheiden sich die Geister. Der Verband der US-amerikanischen Boxjournalisten (Boxing Writers Association of America) war so begeistert von den Künsten des damaligen WBO-Weltmeisters im Leichtgewicht, daß er ihn zum "Boxer des Jahres 2014" kürte. Damit schloß sich die schreibende Zunft dem Votum von ESPN.com an, wo die Wahl bereits im Dezember auf Crawford gefallen war. Eine andere Auffassung vertraten die Fachjournalisten der renommierten Webseite Boxingnews24.com, die den Kasachen Gennadi Golowkin favorisierten.

Wie sie zur Begründung anführten, sei im vergangenen Jahr lediglich Crawfords Kampf gegen Yuriorkis Gamboa unterhaltsam gewesen, was aber vor allem an dem Kubaner gelegen habe. Hingegen seien die Siege über Ricky Burns und Raymundo Beltran unglaublich langweilig ausgefallen, da Crawford fortgesetzt mit dem Jab und gelegentlichen Kontern arbeite, bis er seinen Vorsprung sicher nach Hause geboxt habe. Demgegenüber sei Golowkin ein ungleich attraktiverer Boxer, der bei seinen spektakulären Auftritten seit sechs Jahren sämtliche Gegner vorzeitig besiegt habe.

Inzwischen ist Terence Crawford ins Halbweltergewicht aufgestiegen, wo er auf Anhieb einen Kampf um den vakanten WBO-Titel gegen die Nummer fünf der Rangliste, Thomas Dulorme, bekam. In diesem vom Sender HBO übertragenen Duell, das in der University of Texas in Arlington über die Bühne ging, setzte sich der 27jährige Favorit aus Omaha, Nebraska, nach drei Niederschlägen in der sechsten Runde vorzeitig gegen den zwei Jahre jüngeren Puertoricaner durch. Während Crawford damit in 26 Profikämpfen ungeschlagen blieb, stehen für Dulorme nunmehr 22 Siege und zwei Niederlagen zu Buche.

Wieder waren die Meinungen zutiefst geteilt, wie die Darbietung Terence Crawfords einzuschätzen sei. Während ihn die Kommentatoren des Senders HBO während des gesamten Kampfs in den höchsten Tönen lobten, waren andere Experten der Auffassung, er habe die ersten fünf Runden klar gegen den überraschend stark auftretenden Kontrahenten verloren. Der Puertoricaner sei nicht nur schneller gewesen, sondern habe auch eine deutlich höhere Schlagwirkung an den Tag gelegt.

Erst in der sechsten Runde wendete sich das Blatt, als der bis dahin ungewöhnlich zurückhaltende Favorit mit einer Links-Rechts-Kombination zum Kopf durchkam, die seinen Gegner straucheln ließ. Nach einer weiteren Rechten landete Dulorme auf den Brettern, worauf er nur mühsam wieder auf die Beine kam. Kaum war der Kampf freigegeben, als Crawford nachsetzte und einen zweiten Niederschlag herbeiführte. Dulorme kam auch diesmal wieder hoch und wollte sich klammernd über die Zeit retten, was Crawford jedoch mit zwei weiteren Volltreffern zunichte machte, die seinen Gegner endgültig geschlagen zu Boden schickten.

In einer ersten Stellungnahme nach seinem Erfolg erweckte Terence Crawford den Eindruck, jederzeit alles unter Kontrolle gehabt und eine erstklassige Vorstellung gegeben zu haben. Wie er erklärte, habe ihn sein Trainer angewiesen, den Gegner in den ersten fünf Runden lediglich zu touchieren, um ihn die Überlegenheit spüren zu lassen. Im sechsten Durchgang habe er dann freie Hand bekommen, volle Schlagwirkung zu entfalten, und dies sofort umgesetzt. Er fühle sich auch in dieser Gewichtsklasse sehr stark und bereit zu tun, was immer ihm beliebe. Ob Crawford tatsächlich eine taktische Marschroute konsequent umgesetzt hat, die Ausdruck seiner Überlegenheit war, oder vielmehr im Nachhinein seine augenscheinliche Zurückhaltung in den ersten fünf Runden schönreden wollte, blieb nach dieser Erklärung offen.

Nicht wenige Zuschauer und Kommentatoren feierten Crawford als außergewöhnlichen Könner, der in aller Ruhe an seinem Gegner Maß genommen und ihn dann kurzerhand erledigt habe. Skeptische Stimmen beharrten hingegen darauf, daß er schlichtweg langsamer als Dulorme gewesen sei und geraume Zeit nicht ernsthaft angegriffen habe, weil er offensichtlich die Schläge des Puertoricaners fürchtete. Vor allem aber kritisierte man die Entscheidung des Verbands WBO, Crawford einen nicht allzu gefährlichen Gegner vorzusetzen, der diesen Titelkampf nicht verdient habe. So blieb dem Aufsteiger aus dem Leichtgewicht erspart, zunächst gegen Lucas Matthysse oder Ruslan Prowodnikow anzutreten, die in der WBO-Rangliste vor Dulorme plaziert sind. [1]

Als die anwesenden Journalisten von Terence Crawford wissen wollten, gegen wen er als nächstes kämpfen wolle, drehte er sich fragend zu Bob Arum um und erklärte, diese Entscheidung überlasse er seinem Promoter und dem Manager. Da Prowodnikow von Freddie Roach trainiert wird, der gute Beziehungen zu Top Rank unterhält, wäre ein Kampf gegen den Russen wohl eher möglich. Hingegen ist Matthysse mit den Golden Boy Promotions assoziiert, deren Präsident Oscar de la Hoya vielleicht weniger geneigt sein könnte, einem Kampf gegen Crawford zuzustimmen. Wer indessen die außergewöhnliche Schlacht zwischen dem Argentinier und dem Russen verfolgt hat, die am selben Abend in Carson, Kalifornien, ausgetragen wurde, kann Terence Crawford nur dringend abraten, mit einem der beiden in den Ring zu steigen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/04/crawford-stops-dulorme-but-looks-vulnerable/#more-191117

21. April 2015


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