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MELDUNG/1607: Welche Vergeudung außergewöhnlichen Talents! (SB)




Das Publikum nimmt Andre Ward kaum wahr

Andre Ward gilt als führender Vertreter des Supermittelgewichts und rangiert nach Ansicht vieler Experten in der Liste der weltbesten Akteure aller Gewichtsklassen gleich hinter Floyd Mayweather. Was jedoch seine Popularität betrifft, findet man ihn nicht einmal unter den 20 beliebtesten Boxern in den USA. Als er sich im spektakulären Super-Six-Turnier eindrucksvoll gegen die internationale Konkurrenz durchgesetzt und das Finale gewonnen hatte, waren die Ränge nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Das Publikum interessierte sich nicht für ihn, und seinen britischen Gegner Carl Froch kannte niemand.

Der Kalifornier hat noch nie verloren, dominiert seine Kämpfe und wird nur in seltenen Fällen klar getroffen. Er ist schnell, bewegt sich behende, schlägt präzise und mit außergewöhnlichem Timing. Obgleich Froch zu den besten Akteuren dieser Gewichtsklasse gehört, gelang es ihm während des gesamten Finalkampfs nicht, auch nur einen einzigen Wirkungstreffer zu landen. Amir Khan glänzt mit wunderbaren Kombinationen, Mayweather befreit sich mit rollenden Schultern aus der mißlichsten Lage, Danny Garcia schaltet den Gegner mit einem einzigen linken Haken aus. All das kann Andre Ward auch, nur nicht so ausgeprägt und mit Wiedererkennungswert, daß das breitere Publikum auf ihn aufmerksam würde.

Als das prestigeträchtige Super-Six-Turnier nach gut zwei Jahren Mitte Dezember 2011 beendet war, stand Andre Ward an der Spitze des Supermittelgewichts. Der Kalifornier hatte den Wettbewerb als einziger Teilnehmer ohne Niederlage absolviert und die Gürtel der Verbände WBA und WBC zusammengeführt. Gleich zum Auftakt war es ihm im November 2009 vor heimischem Publikum in Oakland gelungen, mit dem Dänen Mikkel Kessler einen der Turnierfavoriten zu besiegen und ihm den WBA-Titel abzunehmen. Danach setzte sich Ward gegen Allan Green und Sakio Bika durch, worauf er im Halbfinale auf den Berliner Arthur Abraham traf, der gegen ihn chancenlos war. Im Finale des Turniers besiegte er schließlich den britischen WBC-Weltmeister Carl Froch einstimmig nach Punkten.

Im Jahr 2012 stand der Kalifornier jedoch nur ein einziges Mal im Ring. In einem Duell der führenden Akteure zweier Gewichtsklassen setzte er sich im September durch Abbruch in der zehnten Runde gegen den WBC-Weltmeister im Halbschwergewicht, Chad Dawson, durch. Allerdings wurde der Prestigekampf in Wards Gewichtsklasse wie auch in Oakland ausgetragen, so daß er die Vorteile auf seiner Seite hatte. Indessen bot er eine überzeugende technische und taktische Leistung, der Dawson nicht gewachsen war.

Im Jahr 2013 wollte Andre Ward gegen Kelly Pavlik antreten, der früher als weltbester Mittelgewichtler gegolten hatte. Eine Schulterverletzung durchkreuzte jedoch diesen Plan, da Ward sich einer Operation unterziehen mußte und dadurch für längere Zeit ausfiel. Unterdessen hatte ihn das WBC zum "Champion im Wartestand" herabgestuft, was ihn dazu veranlaßte, den reduzierten Titel niederzulegen. Neben seiner Verletzung war es vor allem ein lang anhaltender Streit mit seinem damaligen Promoter Dan Goossen, der ihn weitgehend zur Untätigkeit verdammte.

Nach einer ausgiebigen Pause von vierzehn Monaten meldete sich Ward überzeugend im Ring zurück. Er setzte sich gegen den bis dahin unbesiegten Edwin Rodriguez klar nach Punkten durch und blieb damit auch in seinem 27. Profikampf ungeschlagen. Dabei stellte er wiederum seine Fähigkeit unter Beweis, auch in einem unsauberen Kampf die Oberhand zu behalten und die Schlagwirkung des Gegners dank seiner technischen Überlegenheit einzudämmen.

Trotz seiner spärlichen Auftritte in den letzten drei Jahren ist Ward nach wie vor der mit Abstand beste Boxer im Supermittelgewicht. Das renommierte Ring Magazine führt ihn an der Spitze seiner Rangliste, gefolgt von Carl Froch, Arthur Abraham, George Groves und James DeGale, die er entweder schon besiegt hat oder mit Sicherheit schlagen würde. Auch Julio Cesar Chavez jun. könnte ihm kaum das Wasser reichen, so daß der amtierende WBC-Weltmeister Anthony Dirrell und dessen älterer Bruder Andre, der vermutlich kurz vor dem Gewinn des IBF-Titels steht, noch die attraktivsten Gegner in dieser Gewichtsklasse wären.

Denkbar wäre auch ein Aufstieg ins Halbschwergewicht, den Ward und sein Trainer bislang allerdings ausgeschlossen haben. Mit Sergej Kowaljow und Adonis Stevenson, aber auch Jean Pascal und Bernard Hopkins fände der Kalifornier dort neue Herausforderungen, die sich möglicherweise auch besser vermarkten ließen als seine Auftritte in der Vergangenheit. Er muß endlich wieder regelmäßig boxen, um sich dem Publikum in Erinnerung zu bringen, vor allem aber fehlt ihm ein markantes Profil, das in der Öffentlichkeit wahrgenommen würde.

Nachdem der von Virgil Hunter trainierte Kalifornier die letzten Jahre im Rechtsstreit mit dem unterdessen verstorbenen Dan Goossen verbracht und mit dessen Sohn Craig wie auch dem Geschäftsführer Tom Brown ebenfalls keine Einigung erzielt hatte, ist die Trennung endlich vollzogen worden. Andre Ward hat inzwischen bei Roc Nation Sports unterschrieben, dessen Besitzer Jay-Z sich über den prominenten Neuzugang freut, der die erst im August 2014 gegründete Boxsparte seines Unternehmens aufwertet. Was die boxerischen Qualitäten betrifft, hätte man kaum einen Besseren finden können, doch fehlt es Ward schlichtweg an Charisma, Stil und selbst dem unerträglichen Geschwätz, mit dem noch die fragwürdigsten Akteure ihre Gegner schlecht- und die kommenden Kämpfe großzureden pflegen. Das macht Andre Ward durchaus sympathisch, trägt aber nicht gerade dazu bei, der Vergeudung eines der größten Talente seit langem Einhalt zu gebieten. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/01/andre-ward-too-good-in-a-poor-division/#more-186599

14. Januar 2015


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