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MELDUNG/1492: Im Chor der Kriegstreiber - Vitali Klitschko für sein Lebenswerk ausgezeichnet (SB)




Für Sport-Bild ist er immer noch unser Held

Um Vitali Klitschko, der im Verlauf des westlicherseits forcierten und unterstützten Regimewechsels in der Ukraine dort nie die Bedeutung erlangte, die ihm vor allem aus deutscher Sicht zugeschrieben wurde, ist es recht still geworden. Von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zum künftigen Statthalter hiesiger Interessen in Kiew aufgebaut und zeitweise von Politik und Medien in Deutschland hofiert, hat er es lediglich zum Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt gebracht. Das ist viel für einen ehemaligen Berufsboxer, aber enttäuschend für eine Vorzeigefigur bundesrepublikanischer Einflußnahme, die sich bei ihrer Beteiligung am Raubzug im Osten große Hoffnungen auf die Führerschaft gemacht hatte.

Nun sorgt wenigstens Sport-Bild, ihres Zeichens größte Sportzeitung Europas, dafür, daß es dem älteren Klitschko doch noch einmal warm ums gebeutelte Politikerherz wird. Der 43jährige wurde neben anderen prominenten Sportlern bei einer Gala vor 700 Gästen in der noblen Hamburger Fischauktionshalle für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

"Fast 16 Jahre war er eines der gefürchtetsten Schwergewichte im Boxring und hat als mehrfacher Weltmeister Sportgeschichte geschrieben", so Sport Bild-Chefredakteur Alfred Draxler. "Jetzt kämpft Klitschko als Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew für seine Landsleute einen politischen Kampf - den vielleicht schwersten Kampf in seinem Leben. Ein beeindruckendes Lebenswerk, das wir gerne mit einem Sport Bild Award ehren." [1]

Daß ausgerechnet Karl-Theodor zu Guttenberg die Laudatio hielt, der ebenfalls kurz vor dem Olymp abgeschmiert und ziemlich tief gefallen ist, entbehrte nicht einer offenbar unfreiwilligen Ironie. Guttenberg, der damit zu rechnen scheint, nach angemessener Buße in der relativen Versenkung früher oder später wie der Phönix aus der Asche wiederaufzuerstehen, kokettierte mit den Umständen seines Sturzes. Bei dem Scherz, Vitali sei "nicht nur Boxweltmeister, nicht nur Bürgermeister von Kiew, sondern auch Doktor der Sportwissenschaften", was "Doktor Guttenberg" natürlich "die Röte ins Gesicht" treibe, hatte er die Lacher auf seiner Seite. Klitschko sei eine sehr mutige Person, da er oft nicht den einfachen Weg gewählt, aber sich immer wieder behauptet habe. "Respekt!" so der ehemalige Minister. [2]

Das Klischee des Kampfs um wohlweislich nicht allzu deutlich spezifizierte Ziele griff auch Vitali Klitschko in seiner Dankesrede auf, in der er die Sanktionen gegen Rußland um den Vorschlag eines Boykotts der nach dorthin vergebenen Fußball-Weltmeisterschaft 2018 ergänzte:

"Wenn unser östlicher Nachbar weiter Terroristen unterstützt und Waffen liefert, kann ich mir nicht vorstellen, 2018 zur WM zu fliegen. Soll man das machen? Mal sehen. (...) Wir müssen europäische Standards in das Land bringen - ohne finanzielle Unterstützung und Waffen ist das nicht möglich. Man muss kämpfen für seine Visionen, seine Werte."

Daß Klitschko in seiner hölzernen Art erst den Russen vorwarf, sie belieferten "Terroristen" mit Waffen, und im selben Atemzug westliche Waffenhilfe anforderte, störte niemanden im Saal und wird sicher auch weit darüber hinaus nicht als Widerspruch, sondern als geradezu logische Verknüpfung wahrgenommen. Originär war Klitschkos Boykottidee natürlich nicht, hatte doch bereits Anfang August der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer diese Idee mit den Worten ins Spiel gebracht: "Bleibt Putin bei seiner bisherigen Linie, kann ich mir eine Fußball-WM in Russland nicht vorstellen." Hingegen lehnte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eine Neuvergabe der Weltmeisterschaft ab - wohl wissend, daß man kaum etwas Dümmeres anstellen könnte, als den hiesigen Fußballkonsum auch nur ansatzweise zu gefährden.

Daß sich auch die Springer-Presse gelegentlich pseudoskeptische Anmerkungen zu Vitali Klitschko genehmigt und ihn ob seines Scheiterns an den ihm zugedachten Handlangerdiensten mit spitzen Fingern anfaßt, zeigte Anfang des Monats ein Beitrag der Welt. Als Bürgermeister von Kiew sollte er den Maidan schnellstmöglich abräumen, was ihm nur unter beträchtlichen Mühen gelang. Als Angestellte der Stadtverwaltung anrückten, um das Zeltlager abzureißen, wurden sie zunächst mit Brandsätzen und Steinwürfen empfangen. "Weg mit der Bande", schrien Männer mit schwarzen Wollmasken und Baseballschlägern, womit auch Klitschko gemeint war, so die Welt. Die Revolution sei vorbei, verkündete der Bürgermeister, doch die Veteranen verlangten Jobs und Teilhabe an der Macht.

Klitschko wollte sie durch Verhandlungen zum Abzug überreden, doch "stattdessen verlangen die Leute Kühlschränke und so weiter", klagte der 43jährige. "Sieht so der Kampf für Demokratie aus?" Nicht wenige Veteranen kamen in der mit 650 Millionen Dollar ausgestatteten Nationalgarde unter, einer dem Innenministerium unterstellten und von Faschisten durchsetzten Miliz, die in der Ostukraine gegen die Separatisten Krieg führt. Andere wurden für die Armee rekrutiert oder in die Polizei aufgenommen. Natürlich wollten auch die restlichen Veteranen etwas vom Kuchen abbekommen und womöglich in einem Staatsbetrieb oder in der Stadtverwaltung landen. "Die Polizei fand in den Zelten Pistolen, Granaten, Messer und Molotowcocktails", teilte Klitschko auf der Webseite seiner Partei Udar (Schlag) mit, als habe er erst jetzt entdeckt, mit welchen Bündnispartnern er den Regimewechsel betrieben hat.

Die leer ausgegangenen Veteranen nahmen Klitschko übel, daß er Geschäftsleute und Millionäre in sein Team aufgenommen hat. Sein erster Stellvertreter, Igor Nikonow, war früher im Erdgashandel tätig und besitzt ein Vermögen von rund 100 Millionen Dollar. Klitschkos zweiter Stellvertreter, Pawel Rjabikin, ist Eigentümer eines Yachtklubs. Und Michail Radutski, ebenfalls im Klitschko-Team, betreibt das Kiewer Privatkrankenhaus Boris. Die Nomenklatura erinnert viele an das System von Ex-Präsident Janukowitsch, in dessen Partei der Regionen Posten oft an enge Freunde und Geschäftspartner vergeben wurden. [3]

Ein zunehmend eisiger Wind weht dem Bürgermeister auch deshalb ins Gesicht, weil die Lebensverhältnisse in der hoch verschuldeten Ukraine rapider schlechter werden. Und da sich die Regierung geweigert hat, der nach dem Sturz Viktor Janukowitschs von Rußland geforderten Wiedererhöhung des Gaspreises nachzukommen, wurden die Gaslieferungen im Juni eingestellt. Dies hat unter anderem zur Folge, daß die Bewohner Kiews bis mindestens Oktober von der Warmwasserversorgung abgeschnitten sind. Die Wärmekraftwerke werden nicht mehr mit Gas versorgt, teilte das private Unternehmen Kievenergo mit, dem der ukrainische Milliardär Rinat Achmetow vorsteht. Zuvor hatte bereits Vitali Klitschko angekündigt, daß die Versorgung bis Oktober unterbrochen bleibe: "Wir müssen auf warmes Wasser verzichten, um in den Depots Gas für den Winter zu speichern." [4]

Was Klitschko seinen Landsleuten als "europäische Standards" zumutet, macht ihn nicht gerade beliebter in der Bevölkerung Kiews. Dabei dürfte den meisten Menschen bislang nicht in vollem Umfang bewußt sein, warum Janukowitsch seinerzeit zögerte, sich der EU und ihren Forderungen nach radikaler Umgestaltung an den Hals zu werfen. Ihm dürfte klar gewesen sein, daß seine Tage auch im Falle einer Westanbindung gezählt wären, sobald die Elendsfolgen der aufgezwungenen Sparmaßnahmen, Privatisierungen und des Ausverkaufs an ausländische Investoren durchschlagen würden.

Klitschko, der nur ein kleines Licht im Chor der Brandredner ist, sieht wie alle Kriegstreiber den Ausweg aus der Krise in der militärischen Eskalation. In der Bild-Zeitung warf er im Kontext des Hilfskonvois Rußland "eine Invasion" und den "Bruch aller internationalen Regeln" vor. "Wir wollen Frieden in der Ostukraine, aber Russland scheint nur immer weiter provozieren zu wollen. Die westliche Welt muss sich klar auf die Seite der Ukraine stellen und den Druck auf Putin erhöhen, damit diese Aggressionen endlich ein Ende haben." [5] Und als Moskau vor wenigen Tagen die Militärparade zum Unabhängigkeitstag in Kiew scharf kritisierte, drohte Klitschko den prorussischen Separatisten mit Vergeltung, nachdem diese gefangene Regierungssoldaten öffentlich durch die Stadt Donezk getrieben hatten. "Eine solche Barbarei und Grobheit ist nicht zu verzeihen", schrieb der Bürgermeister in einer Mitteilung. "Das Verspotten unserer Soldaten bleibt nicht ohne Antwort und nicht unbestraft!" [6]

So gesehen war es überhaupt keine Fehlbesetzung, daß mit Karl-Theodor zu Guttenberg ein früherer deutscher Verteidigungsminister die Laudatio auf Vitali Klitschko hielt: "Ihr neuer großer Kampf hat gerade erst begonnen. Sie haben unsere Unterstützung verdient."


Fußnoten:

[1] http://www.abendblatt.de/sport/article131588913/Vitali-Klitschko-nimmt-Award-fuer-sein-Lebenswerk-entgegen.html

[2] http://www.bild.de/sport/2014/vitali-klitschko/stars-verneigen-sich-vor-einem-grossen-kaempfer-37396486.bild.html

[3] http://www.welt.de/politik/ausland/article131001000/Der-Maidan-kaempft-gegen-Klitschkos-Regierung.html

[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/fehlende-russische-gaslieferungen-kiew-bis-oktober-ohne-warmes-wasser-1.2076359

[5] http://www.ad-hoc-news.de/klitschko-wirft-russland-bruch-aller-internationalen-regeln--/de/News/38396940

[6] http://www.n-tv.de/ticker/Russland-kritisiert-ukrainische-Waffenschau-article13481786.html

26. August 2014