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MELDUNG/1206: Umstrittene Punktrichterin nimmt Auszeit - Restzweifel bleiben (SB)




Cynthia J. Ross kein Thema mehr - Boxkommission aus dem Schneider?

Er habe es für einen Witz gehalten, kommentierte Floyd Mayweather nach seinem Sieg über Saul Alvarez die Wertung der Punktrichterin Cynthia J. Ross, deren Zettel sich bei der Auswertung zu einem Unentschieden (114:114) summiert hatten. Sie solle besser aufhören, forderte der frühere Schwergewichtsweltmeister Lennox Lewis aus Britannien bei Twitter. Die beiden anderen Punktrichter, Dave Moretti und Craig Metcalfe, sahen Mayweather deutlich in Führung, was sich mit der Einschätzung der Experten und wohl auch der meisten Zuschauer deckte, so sehr die hispanischen Fans einen Erfolg des jungen Mexikaners herbeigesehnt haben mochten.

Irritierend mutete insbesondere an, daß Ross vier der letzten fünf Runden an Alvarez gab, obwohl Mayweather gerade in der Schlußphase drückend überlegen war. Laut Compubox brachte der US-Amerikaner von der achten Runde bis zum Schlußgong mehr als doppelt so viele Schläge ins Ziel (109:51), wobei auch die Trefferquote Mayweathers mit 50 Prozent deutlich höher als jene des Mexikaners (20,6 Prozent) war. Angesichts dieser offensichtlichen Dominanz des US-Amerikaners in der Schlußphase blieb unerklärlich, welche Einschätzung Ross zu ihrer Wertung veranlaßt haben mochte.

Zudem war bekannt, daß diese Punktrichterin in der Vergangenheit bereits mehrere umstrittene Urteile in bedeutenden Kämpfen abgegeben hatte, zuletzt bei der Titelverteidigung des Philippiners Manny Pacquiao gegen Timothy Bradley, die sie mit 115:113 für den Amerikaner gewertet hatte. Die Mehrzahl der Experten sprach damals von einem Fehlurteil, da Pacquiao der überlegene Boxer gewesen war. Die Folgen dieser höchst umstrittenen Niederlage des Philippiners waren gravierend, da er nicht nur seinen Titel, sondern auch den Status des weltbesten Boxers aller Gewichtsklassen verlor, den er gemeinsam mit Mayweather innehatte. Wenngleich man diese Konsequenzen natürlich nicht allein Cynthia J. Ross anlasten konnte, trug sie doch an maßgeblicher Stelle dazu bei, die Karriere Pacquiaos zum Schlechteren zu wenden.

Die Nevada State Athletic Commission als zuständiges Gremium für den professionellen Boxsport in diesem Bundesstaat stellte sich dennoch schützend vor die Punktrichterin. Wie Keith Kizer, der Vorsitzende der Kommission, darlegte, sei ein ausgeglichener Punktzettel wie jener nach dem Duell zwischen Mayweather und Alvarez nicht gleichbedeutend mit der Einschätzung, daß der Kampf insgesamt ausgeglichen war. Beispielsweise könnte ein Punktrichter jedem Boxer sechs Runden geben, wobei der eine sie jeweils klar dominiert hatte, während der andere nach einem nahezu ausgeglichenen Verlauf des betreffenden Durchgangs knapp den Zuschlag erhielt. So sei es im vorliegenden Fall gewesen. Er habe Verständnis dafür, daß das vielen Außenstehenden nicht geläufig sei.

Was Kizer zu Recht anführt, ist der Modus, daß die Punktrichter jede einzelne Runde entweder dem einen oder dem anderen Boxer gutschreiben, ohne daß nachträgliche Korrekturen möglich sind. Daher kann es in der Tat zu merkwürdig anmutenden Gesamtergebnissen kommen, die von einer rückblickenden Zusammenschau mehr oder minder deutlich abweichen. Allerdings kann dieses Beispiel nicht erklären, wieso Ross in den letzten Runden überwiegend Alvarez in Front sah, obwohl dies in krassem Widerspruch zu dem Geschehen im Ring stand. Denkbar wäre natürlich, daß die Punktrichterin damit ihrer eigenen Wertung in den früheren Runden nachträglich etwas zugunsten des Mexikaners entgegensetzen wollte. Eine solche Tendenz der späten Korrektur ist zwar nie auszuschließen, stünde aber im vorliegenden Fall in allzu krassem Widerspruch zum geltenden Reglement.

Alle drei Punktrichter erhielten für ihren Einsatz bei dem Kampf des Jahres 8.000 Dollar als Entgelt, was verglichen mit den Börsen der Boxer und dem daraus geschöpften Einkommen der Promoter und in geringerem Umfang der Trainer wie auch des restlichen Teams ein geringfügiger Betrag ist. Der Verdacht, Cynthia J. Ross sei bei ihren auffälligen Entscheidungen womöglich von wie auch immer gelagerten finanziellen Interessen geleitet worden, drängt sich auf, entbehrt jedoch jeden konkreten Hinweises und wurde auch nicht in der Öffentlichkeit thematisiert. Inzwischen hat Ross Konsequenzen gezogen und offenbar von sich aus eine unbestimmt lange Auszeit vom Boxsport genommen. Man müsse ihr zugute halten, daß sie nicht vom maßgeblichen Aspekt des Kampfs, nämlich Floyd Mayweathers dominanter Leistung, ablenken wolle, würdigte Keith Kizer die Entscheidung. Ihrem Wunsch, eine solche Auszeit zu nehmen, habe die Kommission entsprochen. Das zeige, was für ein Mensch sie ist, so der Vorsitzende.[1]

Sollte es sich schlichtweg um eine weitere Fehleinschätzung der Punktrichterin gehandelt haben, ist ihr Schritt ebenso zu begrüßen wie die schützende Hand der Sportkommission, die eine tiefgreifendere Bezichtigung von ihr abgewendet hat. Vermuten kann man allerdings, daß der letztendlichen Entscheidung von Cynthia J. Ross Gespräche mit Vertretern der Kommission vorausgegangen sind, in denen das Resultat vorgebahnt wurde. Immerhin müßte sich das aufsichtführende Gremium die Frage gefallen lassen, wieso diese Punktrichterin angesichts einiger umstrittener Wertungen in der Vergangenheit ausgerechnet im wohl sportlich bedeutendsten und auf jeden Fall umsatzträchtigsten Kampf des Jahres zum Einsatz kam. Diesen und andere Restzweifel hat die nun herbeigeführte Lösung ein Spur zu elegant vom Tisch gewischt, als daß man bedenkenlos den Mantel des Vergessens über das Szenario breiten möchte.

Fußnote:

[1] http://www.boxen.de/news/umstrittene-punktrichterin-ross-nimmt-freiwillige-auszeit-29023

21. September 2013