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MELDUNG/718: Sportlicher Erfolg ist nicht Klitschkos einzige Sorge (SB)



Kampf gegen Chisora im Schatten des angestrebten Bürgermeisteramts

Vitali Klitschko wird den Titel des WBC-Weltmeisters im Schwergewicht nicht gegen David Haye verteidigen. Wie Manager Bernd Bönte mitteilte, verlange der Brite eine zu hohe Garantiesumme. Da Haye seit seiner Niederlage gegen Wladimir Klitschko im vergangenen Jahr an Popularität eingebüßt habe, sei ungewiß, wieviel das Bezahlfernsehen in Großbritannien einspielen würde. Daher halte man das Risiko für zu groß und habe die Verhandlungen beendet. Nach aktuellem Stand werde es keinen Kampf im Frühjahr oder Sommer gegen Haye geben. Er klopfe auf Holz, daß Vitali am kommenden Samstag Dereck Chisora schlägt und man danach beginnen könne, mit anderen Gegnern zu verhandeln, so Bönte.

Unterdessen wirft sich der Herausforderer in die Brust und kündigt vor dem Duell in der Münchner Olympiahalle die Inthronisierung eines neuen Weltmeisters an, der nur Dereck Chisora heißen könne. Vitali Klitschko sei früher ein guter Boxer gewesen, doch heute längst mehr so gefährlich wie vordem. Deshalb werde er den Titel auf die Insel holen, so der als krasser Außenseiter gehandelte Brite. Bernd Bönte machte mit den Worten, es handle sich um einen "Kampf mit hoher Brisanz", Werbung für das Spektakel, bei dem ein junger Wilder gegen die lebende Legende antrete. Der Frage nach den Qualitäten dieses Kandidaten ungeachtet erweist sich der Kampf wie alle Auftritte der Klitschkos als Zuschauermagnet. Die Olympiahalle ist mit 12.500 Zuschauern ausverkauft, 150 Länder wollen die Darbietung live oder als Aufzeichnung übertragen.

Vitali Klitschko gibt sich gelassen, wie man das von ihm kennt, und attestiert dem Briten, daß er "willig, jung und hungrig" sei. Das werde jedoch nicht reichen, den Gürtel zu bekommen, da Chisora keine Chance gegen ihn habe, so der Champion. Der Ukrainer hat 43 Kämpfe gewonnen und dabei nicht weniger als 40 Gegner vorzeitig in die Kabine geschickt. Niederlagen bezog er lediglich gegen Chris Byrd und Lennox Lewis, wobei in beiden Fällen Verletzungen zum Abbruch führten. Hingegen hat der 27jährige Herausforderer erst 15 Auftritte gewonnen, aber bereits zwei verloren. Chisora mußte lange auf einen Kampf gegen die Klitschkos warten: Zweimal wollte er gegen Wladimir Klitschko antreten, doch sagte dieser in beiden Fällen verletzungsbedingt ab und zog schließlich das lukrativere Duell mit David Haye vor.

Dereck Chisora machte bei seiner jüngsten Niederlage gegen den Finnen Robert Helenius aus dem Sauerland-Boxstall eine so gute Figur, daß ihm manche Experten einen ähnlich starken Auftritt gegen Vitali Klitschko zutrauen. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, daß Helenius mit einer Verletzung boxte, die kurz darauf operativ behoben werden mußte, und überdies an Problemen der Schlaghand laborierte. Daher kämpfte der Finne so zurückhaltend wie lange nicht mehr und ließ Chisora viel Entfaltungsraum, den er gegen einen Klitschko in Bestform sicher nicht bekommen wird.

Der frühere Weltmeister Lennox Lewis, der Klitschko 2003 vorzeitig besiegen konnte, will seinen Landsmann nicht entmutigen und spricht ihm allen Erwartungen zum Trotz eine gewisse Chance zu. Im Schwergewicht könne ein einziger Treffer am Kinn den Kampf entscheiden. Sollte es Chisora gelingen, den Champion zu erwischen und in Schwierigkeiten zu bringen, könne es spannend werden. Natürlich freut sich der Herausforderer über diese Rückendeckung von prominenter Seite. Er greift den Gedanken seines Landsmanns auf und unterstreicht seinerseits, daß auch der Beste nicht gegen einen guten Schlag gefeit sei. Daher müsse er nur einen passenden Treffer ins Ziel bringen, um Klitschko zu fällen.

Während Dereck Chisora von einem Glückstreffer träumt, der sein Leben verändern würde, baut Klitschko seit Jahren eine Existenz als Politiker in der Ukraine auf. Wie andere erfolgreiche Sportler stünde es ihm frei, das Leben in Hamburg oder Los Angeles zu genießen und sich um nichts zu kümmern. Sein Traum sei es jedoch, daß irgendwann eine Straße in Kiew seinen Namen trägt, und dies nicht wegen seines sportlichen Ruhms, sondern der Lebensleistung eines Mannes, "der sein Land besser gemacht hat". Es könne nicht sein, "daß in der Ukraine an einem einzigen Tag 30 Leute erfrieren". In diesem Jahr will Klitschko um das Amt des Bürgermeisters seiner Heimatstadt Kiew kandidieren und würde im Falle eines Erfolgs seine sportliche Laufbahn sofort beenden. Man könne nicht gleichzeitig zwei Herren dienen, so der Ukrainer. In seinem Land laufe so vieles falsch, daß er sich uneingeschränkt auf die politische Arbeit konzentrieren müßte. Die Ukraine werde von einem autoritären Regime regiert, und nicht wenige seiner Landsleute befürchteten, daß es zu blutigen Aufständen wie im Nahen Osten kommen könne. Immer mehr Menschen hätten nichts mehr zu verlieren und forderten eine gesellschaftliche Umwälzung, die ihre Lebensverhältnisse bessert.

15. Februar 2012