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PORTRAIT/108: Muhammad Ali lebt weiter! (SB)



"Ich habe keinen Streit mit diesen Vietcong!"

Muhammad Ali ist im Alter von 74 Jahren in einem Krankenhaus in Phoenix, Arizona, gestorben, in das er vor wenigen Tagen wegen akuter Atemwegsprobleme eingeliefert worden war. Er wird in seiner Heimatstadt Louisville, Kentucky, begraben, wo die Flaggen heute zum Zeichen der Trauer auf Halbmast stehen und ein Gedenkgottesdienst gehalten wird. Alis Lebenswerk reicht weit über den Boxsport hinaus, dessen herausragender Repräsentant er war. Seine Taten im Ring wie auch außerhalb desselben machten ihn zu einem der prominentesten Menschen weltweit. Seine Konversion zum Islam und seine Verweigerung des Kriegsdienstes polarisierten die USA insbesondere an der Scheidelinie zwischen Schwarz und Weiß. In späteren Jahren setzte er sich für Freiheit, Frieden und Gleichheit ein.

Anfang der 1960er Jahre ahnten nur wenige, daß ein neuer Stern am Boxhimmel aufging. Ein junger Boxer namens Cassius Clay hatte beim Olympischen Turnier 1960 in Rom mit seinem Finalsieg im Halbschwergewicht über einen Russen die Goldmedaille gewonnen. Nach diesem Erfolg, der in der damaligen Zeit des kalten Krieges in den USA sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, wechselte er ins Profilager. Mit einer Größe von 1,90 m und 92 kg ging er wenig später ins Schwergewicht, wo er einen Kampf nach dem anderen gewann. "Ich bin der großartigste, kühnste, schnellste und schönste Boxer der Welt", verkündete er mit einer in dieser Branche nie gekannten Großspurigkeit, zumal aus dem Munde eines schwarzen Sportlers. Von seinem zehnten Kampf an sagte er jeweils die Runde voraus, in der sein Gegner fallen würde, und hielt Wort. So besiegte er am 19. Juni 1963 vor 55.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion auch den Empire-Meister Henry Cooper durch K.o. in der fünften Runde, wie er es den wettfreudigen Briten vorhergesagt hatte.

Auch wenn man es heute kaum glauben mag, erschien der junge Cassius Clay seinerzeit vielen Amerikanern fast als vollwertiger Ersatz einer "weißen Hoffnung", um den verhaßten Weltmeister Sonny Liston vom Thron zu stoßen. Clay entsprach zunächst durchaus konventionellen Rollenvorgaben und bediente die an ihn gehegten Erwartungen, wenngleich auf seine eigene Weise. Er nahm am Kampf Listons gegen Floyd Patterson als Zuschauer teil, schüttelte Patterson die Hand, sah dann zu Sonny Liston hinüber, hob in gespieltem Erschrecken die Hände und lief davon. Als ihn bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom ein sowjetischer Reporter zur Lage der Schwarzen in den USA befragte, erklärte er: "Für mich sind die USA immer noch das beste Land auf der Welt, einschließlich Ihres Landes." Doch als er nach Hause kam, klagte er: "Nicht einmal, wenn ich mir meine Goldmedaille um den Hals hängen würde, würde man mir in einem Restaurant im Stadtzentrum von Louisville einen Cheeseburger servieren."

Cassius Clay wurde von einem Konsortium reicher Geschäftsleute aus Louisville gesponsert, die in ihm eine künftige Goldgrube sahen, und wegen seiner großen Reden und seines ausgeprägten Sinns für das Showgeschäft avancierte er bald zum bekanntesten Boxer schlechthin. Zunächst sahen viele in ihm nichts weiter als eine Varieténummer und trauten ihm kaum mehr als Boxen zu. Niemand wäre zu dieser Zeit auf die Idee gekommen, daß dieser grobe Komödiant eines Tages zu einem weltweiten Symbol für die Würde der Schwarzen werden könnte. Ein Jahr vor seinem Meisterschaftskampf gegen Liston fragte er Journalisten: "Wo glauben Sie, wäre ich wohl nächste Woche, wenn ich nicht wüßte, wie man schreit und brüllt und die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam macht? Ich wäre arm, säße wahrscheinlich noch in meiner Heimatstadt, würde Fenster putzen oder einen Aufzug bedienen, "Yes, Sir" und "No, Sir" sagen und wissen, was sich für mich gehört. Statt dessen bin ich einer der bestbezahlten Sportler der Welt. Denken Sie mal darüber nach: Ein farbiger Junge aus dem Süden hat eine Million Dollar verdient."

Im Jahr 1959 hörte Cassius Clay zum ersten Mal Elijah Muhammad reden. Die Annäherung an die Nation of Islam ging von Anfang an von Clay aus, nie bemühten sich die Muslims um ihn. Erst allmählich dämmerte ihnen, welcher Juwel ihnen in den Schoß gefallen war. Die schwarze Zeitschrift Ebony erkannte als erste die Bedeutung dieses Phänomens: "Er hat einen Stolz, der niemals zulassen würde, seine Haut mit Aufhellern zu behandeln und seine Locken zu glätten, ein Stolz, der von tausend kleinen Brandnarben gezeichnet ist."

Indessen war es Sonny Liston und nicht etwa Clay, der durchsetzte, daß Kinos, in denen Rassentrennung herrschte, den Kampf der beiden nicht zeigen durften. Und trotz seines "Rassenstolzes" scheute Clay sich nicht, mit der Sprache der Unterdrücker die Werbetrommel für den Kampf gegen den Mann zu rühren, den er als "großen häßlichen Bären" bezeichnete. "Sonny Liston ist gar nichts. Der Mann kann nicht reden. Der Mann kann nicht kämpfen, der Mann braucht Sprechunterricht. Der Mann braucht Boxunterricht. Und weil er jetzt gegen mich antritt, braucht er auch Unterricht im Fallen ... Ich bin jung, ich sehe gut aus, ich bin schnell, ich bin unschlagbar ... Er ist zu häßlich, um Weltmeister zu sein. Der Weltmeister sollte gut aussehen, so wie ich."

Clay reproduzierte hier das übelste rassistische Stereotyp des schwarzen Boxers als kulturloses Tier, aber er tat es mit einer Großspurigkeit, die dem Bild der traditionellen Rollenmuster für schwarze Boxer völlig widersprach. Clay brach mit der Bescheidenheit und dem Understatement, das man von allen professionellen Sportlern und besonders von schwarzen erwartete. Deshalb wollten ihn viele Medienleute in die Schranken gewiesen sehen, notfalls sogar vom "bösen Nigger" Sonny Liston. Ein paar Wochen vor dem Kampf wurden Clay und Malcolm X in New York zusammen photographiert, was die New York Herald Tribune zu der Frage veranlaßte, ob der Herausforderer des Schwergewichtsweltmeisters ein "eingeschriebenes Mitglied der Black Muslims" sei. Clay begriff sofort, daß sich ihm hier die Gelegenheit bot, die Rolle zu wechseln, und erklärte Liston: "Ich werde dich groß rausbringen. Die Fans lieben dich, weil jetzt ich der Böse bin."

Bevor sie einander 1962 in Detroit vorgestellt wurden, hatte Malcolm noch nicht einmal von Clay gehört. Elijah Muhammad predigte gegen Sport, vor allem gegen entwürdigende Schauspiele wie Boxkämpfe. Aber Malcolm war beeindruckt von der Ernsthaftigkeit, mit der sich der junge Boxer der Nation of Islam näherte. In seiner Autobiographie erinnerte er sich: "Er gefiel mir. Er hatte etwas Ansteckendes an sich, deswegen war er einer der wenigen Menschen, die ich je zu mir nach Hause eingeladen habe. Betty mochte ihn. Unsere Kinder waren von ihm begeistert. Cassius war einfach ein sympathischer, freundlicher, gutaussehender, realistischer junger Mann. Mir fiel auf, daß er auch auf Details aufmerksam achtete. Ich hatte den Verdacht, daß er einen ganz bestimmten Plan verfolgte, wenn er in der Öffentlichkeit den Clown spielte."

Als Malcolm von Elijah Muhammad für neunzig Tage von seinen Ämtern entbunden wurde, weil er sich über die Ermordung John F. Kennedys lustig gemacht hatte, verbrachte er einige Zeit im Trainingscamp Clays vor dessen Kampf gegen Liston. Elijah Muhammad und seinen Gefolgsleuten paßte das nicht. Ebenso wie die weißen Sportjournalisten waren sie überzeugt, daß Clay verlieren wurde, und sie befürchteten, ihre Verbindung zu ihm könnte sich negativ auf sie auswirken. Aber Malcolm blieb in Clays Nähe und stärkte ihm den Rücken, denn "es war Allahs Wille, daß ich Cassius helfen sollte, vor der Welt die Überlegenheit des Islam unter Beweis zu stellen". Begriff Malcolm Listons Leben und Karriere als einen Beweis dafür, daß die Bemühungen um Integration nutzlos sind und schwächen, so fühlte er, daß Clay etwas anderes repräsentieren könnte. "Clay ... ist der vollkommenste schwarze Sportler, den ich je kennengelernt habe, ein Mann, der seinen Leuten mehr bedeuten wird als Jacky Robinson, denn Robinson ist der Held des weißen Mannes."

Malcolm sah Clays Symbolkraft deutlicher als irgend jemand sonst zu dieser Zeit und half ihm dabei, diese Kraft im Ring wirksam werden zu lassen: "Dieser Kampf ist die Wahrheit", erklärte er Cassius. "Das Kreuz und der Halbmond stehen sich in einem Meisterschaftskampf zum ersten Mal gegenüber. Ein moderner Kreuzzug - ein Christ und ein Moslem begegnen sich vor Fernsehkameras, die die Bilder in die ganze Welt ausstrahlen, so daß jeder sehen kann, was vorgeht. (...) Glaubst du denn, daß Allah dies alles herbeigeführt hat, damit du am Ende nicht als Champion den Ring verläßt?" Nur wenige erlebten den Kampf direkt, aber mehr als eine Million Menschen sahen ihn im Privatfernsehen. Die New York Times berichtete: "Die Unterstützung für Clay schien über das übliche Wettfieber und sogar über die normale Sympathie für den Unterlegenen hinauszuweisen."

Diesmal hatte Cassius Clay die Runde seines Sieges nicht vorhergesagt, damit die Zuschauer nicht womöglich fernblieben, wenn sie schon vorher wüßten, wann der Kampf vorbei sei. Statt dessen schrieb er ein Gedicht:

Clay tritt gegen Liston an, Liston will weichen,
noch einen Zoll zurück und sich ins Publikum schleichen.
Clay schlägt eine Rechte, ein herrliches Ding,
und die Rechte hebt Liston glatt aus dem Ring.
Er fliegt immer höher, der Ringrichter hebt schon die Hand,
er kann erst zählen, wenn Liston ist wieder an Land.
Liston kommt außer Sicht, und die Menge wird wild.
Überm Atlantik erscheint Liston auf dem Radarbild.
Wer glaubte denn, da einen Kampf man erwartet,
zu sehn, wie ein menschlicher Satellit wird gestartet?
Ja, das Volk an der Kasse wußte noch nicht gewiß,
daß es zuschauen sollte einer Sonny-Finsternis.

Am 25. Februar 1964 platzte die mit 16.000 Zuschauern gefüllte Convention Hall von Miami Beach aus allen Nähten, weitere 100.000 in 250 Kinos und Millionen an den Bildschirmen verfolgten diesen außergewöhnlichen Kampf, der im Vorfeld die Emotionen zum Kochen gebracht hatte. Im 109. Kampf um eine Weltmeisterschaft im Schwergewicht wollte der "häßliche Bär", wie Clay ihn nannte, seinen Titel gegen den nach eigener Aussage "schönsten Boxer der Welt" verteidigen. Listons gefürchtete Schlagwirkung machte ihn bei den Buchmachern zum 5:1-Favoriten, doch sein Gegner schien davon überhaupt nicht beeindruckt zu sein. Er tanzte bei der Vorstellung im Ring umher, alberte mit dem Publikum und machte Sonny Liston lächerlich.

Doch während jedermann erwartet hatte, daß der Herausforderer seine Show beenden würde, sobald der Gong zur ersten Runde ertönte, ließ Clay die Arme sinken und provozierte Liston zum Schlag. Immer wieder versuchte der Weltmeister, seine wuchtigen Hiebe zu landen, doch vergeblich, er traf einfach nicht. Clay pendelte unerhört reaktionsschnell aus und bewies bei seinem leichtfüßigen Tanz durch den Ring eine enorme Übersicht. Nie konnte ihn Liston in den Seilen festnageln. Zwei Runden lange boxte er wie gegen ein Phantom, dann mußte er in Runde drei mehrere schnelle Schläge praktisch ohne Abwehr einstecken, die seine Augenbraue aufplatzen ließen.

In der Pause versuchte der Cutman in Listons Ecke, die Platzwunde mit Eis und Gerinnungsmittel zu schließen. Wenig später geriet etwas von dem Mittel auf Clays Stirn und lief ihm brennend in die Augen. Er glaubte, man wolle ihn vergiften, und drohte, den Kampf abzubrechen. Nur mit Mühe brachte ihn sein Trainer dazu, zur fünften Runde anzutreten. Wütend feuerte Clay in den Runden fünf und sechs Schlagserien auf Liston ab, die dieser einfach nicht abwehren konnte.

Als der Gong zur siebten Runde ertönte, blieb der Titelverteidiger schwer gezeichnet und offensichtlich völlig konsterniert auf seinem Schemel sitzen. Der Ringarzt stellte eine Schulterverletzung fest, und dieser Befund wurde später von acht Ärzten im Krankenhaus bestätigt. Damit wollten die Veranstalter den Vorwurf entkräften, es habe sich um Schiebung gehandelt. Da die wenigsten einen Sieg des als Großmaul verschrienen Herausforderers erwartet hatten, mußte die nie zuvor in dieser Deutlichkeit demonstrierte Kampfesweise wie eine abgekartete Sache erscheinen, zumal Sonny Liston auch noch durch Aufgabe verlor.

Cassius Clay aber jubelte, ließ sich feiern und schrie immer wieder sein berühmtes "I am the greatest!" in die entgegengestreckten Mikrofone und in die brodelnde Menge. Schnelligkeit, Beinarbeit und Raumübersicht hatten die größere Masse und Reichweite seines Gegners neutralisiert. Als Liston verwirrt und deprimiert darauf verzichtete, zur siebten Runde anzutreten, jubelte der Sieger: "Ich will, daß jeder es weitersagt", schrie er. "Ich bin der Größte! Ich habe die Welt erschüttert." Viele Sportjournalisten hielten seinen Sieg für einen Glückstreffer. Malcolm sah klarer: "Das Geheimnis dieser großen Niederlage war, daß Clay schon Monate vor diesem Abend Liston mental überlegen war." Im Gegensatz zu den stereotypisierenden Sportjournalisten sah Malcolm in Clay einen höchst intelligenten und kreativen Boxer, der von etwas Höherem als bloßer Geldgier inspiriert war.

Dieser denkwürdige Kampf ging in seiner Bedeutung weit über ein bloßes Sportereignis hinaus. Nach dem Kampf erklärte Clay in einer Pressekonferenz: "Ich glaube an Allah und an den Frieden. Ich mache keinen Versuch, in ein weißes Viertel zu ziehen. Ich will keine weiße Frau heiraten. Ich bin mit zwölf getauft worden, aber ich wußte nicht, was ich da tat. Ich bin kein Christ mehr, ich weiß, wo ich hingehe, ich kenne die Wahrheit, und ich brauche nicht zu sein, was ihr wollt. Ich habe die Freiheit, zu sein, was ich will."

Kein Boxer und kein schwarzer Sportler hatte jemals eine so klare Unabhängigkeitserklärung formuliert. Seine übliche Aufschneiderei wich einer kühlen triumphierenden Herausforderung: "Black Muslims ist ein Wort aus der Zeitung. Der richtige Name ist Islam. Das bedeutet Frieden. Islam ist eine Religion, und es gibt 750 Millionen Menschen in der Welt, die daran glauben, und ich bin einer davon. Ich bin kein Christ. Ich kann keiner sein, wenn ich sehe, wie mit den vielen Farbigen umgegangen wird, die für eine erzwungene Integration kämpfen. Sie werden mit Steinen beworfen, Hunde werden auf sie gehetzt, ihre Kirchen werden in die Luft gejagt, und dann findet man die Mörder nicht ... Ich bin Schwergewichtsweltmeister, aber trotzdem gibt es Viertel, in die ich mich nicht hineintrauen darf, in denen ich nicht wohnen kann. Ich weiß, wie ich Fallen und Hunden aus dem Weg gehen muß. Ich gehe ihnen aus dem Weg, indem ich in meinen eigenen Vierteln bleibe. Ich bin kein Störenfried... ich bin ein guter Junge. Ich habe nie etwas Böses getan. Ich war nie im Gefängnis. Ich stand nie vor Gericht. Ich nehme auch nicht an Demonstrationen für die Integration teil. Ich achte nicht auf die vielen weißen Frauen, die mir zuzwinkern. Ich halte keine Transparente hoch ... Ein Hahn kräht nur, wenn er das Licht sieht. Setzt ihn in die Dunkelheit, und er wird niemals krähen. Ich habe das Licht gesehen und ich krähe."

Clay stellte damit das oberste Gebot des weißen Establishments für alle schwarzen Spitzensportler in Frage: Bringt keine Unordnung in unsere Stereotypen! Indem er der Presse erklärte, daß er nie im Gefängnis gewesen sei oder vor Gericht gestanden habe, gab er zu verstehen: "Ich bin kein Sonny Liston." Indem er auf weiße Frauen verzichtete, bedeutete er: "Ich bin kein Jack Johnson." Indem er sich gegen die Integration wandte, sagte er: "Ich bin kein Floyd Patterson." Auf eine bizarre Weise hielt er sich an den Rahmen der Rollenvorgaben, die der weißen Presse am Herzen lagen. Es schien, als wolle er zum Ausdruck bringen, daß es keinen Grund gab, warum sich die weiße Presse von ihm bedroht fühlen müsse. Tatsächlich hatte er aber den Inhalt der weißen Rollenvorgabe gründlich verändert - und das war eine ernsthafte Bedrohung für alles, was der weißen Presse heilig war, innerhalb und außerhalb des Sports.

Clays Beitritt zur Nation of Islam mag ausgesehen haben wie eine religiös motivierte Entscheidung, doch waren ihre Ursprünge politischer Natur. Jahre später sagte der wiedergeborene Christ George Foreman: "Ich glaube nicht, daß Muhammads Konversion eine religiöse Erfahrung war. Ich werde bis zum Tag meines Todes überzeugt sein, daß es ein sozialer Bewußtwerdungsprozeß war ... Es war etwas, was er zu dieser Zeit brauchte, etwas, was das ganze Land brauchte ...."

Am 6. März 1962 gab Elijah Muhammad bekannt, daß der Weltmeister aller Klassen seinen Namen ändern werde: "Ich werde ihn Muhammad Ali nennen, solange er an Allah glaubt und mir folgt." Es dauerte viele Jahre, bis Ali die Medien dazu gebracht hatte, seinen neuen Namen zu akzeptieren - die New York Times beharrte bis Ende der 1960er Jahre auf "Cassius Clay". In der Änderung seines Namens brachte Ali zum Ausdruck, was er damit meinte, wenn er sagte: "Ich muß nicht das sein, was ihr wollt!" Zum ersten Mal ließ ein schwarzer amerikanischer Spitzensportler nicht mehr zu, daß man ihn nach weißen rassistischen Kategorien definierte. Die öffentliche Identität von Johnson und Louis, Patterson und Liston war von der weißen Presse definiert worden. Clay hingegen schuf seine eigene Identität und zwang die weiße Presse, diese zu schlucken. "Den meisten Journalisten, vor allem den älteren, waren die Gangster lieber, die Liston umwarben, als die Muslims in Clays Umgebung", sagte Robert Lipside. Der Boxexperte Jimmy Cannon nannte Alis Verbindungen zur Nation of Islam "das Schmutzigste, seit die Nazis versucht haben, Max Schmeling als Repräsentanten ihrer üblen Rassentheorien zu mißbrauchen".

Dennoch nahm Alis Popularität auch international zu - vor allem durch eine Reise nach Afrika im Jahr 1964, die ihm Malcolm nach seinem Kampf in Miami vorgeschlagen hatte. Er traf Nkrumah in Ghana und Nasser in Ägypten. Überall wurde er von Menschenmassen begrüßt, die mit Begeisterung seinen neuen Namen riefen - Cassius Clay wurde begraben, an seine Stelle trat endgültig Muhammad Ali. Der Kampf gegen Liston wurde monatelang in vollbesetzten Kinos überall im Nahen Osten gezeigt. Ali wurde weltberühmt und hatte Millionen von Fans im Ausland.

Im Revanchekampf gegen Sonny Liston am 25. Mai 1965 in Lewiston fällte Muhammad Ali den Herausforderer mit einem kurzen Haken, der nicht einmal in Zeitlupe genau auszumachen war. Liston blieb benommen liegen, während der Weltmeister vierzehn Sekunden lang auf ihn einbrüllte. Erst dann begann der Ringrichter zu zählen. Nach diesem seltsamen Schauspiel glaubten viele an Schiebung, da kaum jemand Experte genug war, die Wirkung von Alis Schlägen zu erkennen. Wie groß dessen Können war, sollte auch Floyd Patterson am 22. November 1965 zu spüren bekommen.

Schon nach dem Kampf in Miami hatte Floyd Patterson erklärt, als Katholik fühle er sich verpflichtet, "den Titel des Moslems Ali für Amerika zurückzufordern". Drei Wochen später sah er sich gezwungen, sein Haus in Yonkers mit einem Verlust von 20.000 Dollar zu verkaufen. Weiße Nachbarn hatten mit ihrem Rassismus gegen seine Familie seinen Integrationsversuch scheitern lassen. Dennoch blieb er dabei: "Die Vorstellung, daß ein Black Muslim Schwergewichtsweltmeister ist, ist eine Beleidigung für den Sport und die Nation. Cassius Clay muß geschlagen werden und die Pest der Black Muslims muß aus dem Boxsport verschwinden." Patterson hatte den Kampf der Rollenmuster vom Zaun gebrochen, worauf Ali die Herausforderung bereitwillig annahm und ihn wochenlang beleidigte: "Patterson sagt, er wird den Titel nach Amerika zurückbringen. Wenn sie nicht glauben, daß er schon in Amerika ist, wo zahle ich dann meine Steuern? Ich bin Amerikaner. Aber er ist ein taubstummer sogenannter Neger, der eine Tracht Prügel verdient hat. Ich werde ihn bestrafen für das, was er gesagt hat, ich werde ihm wehtun." In dem Kampf selbst war Patterson hoffnungslos unterlegen. Unbeeindruckt von der Wut der anwesenden Sportreporter zog Ali den Kampf bis in die zwölfte Runde hin. Erst ließ er Patterson seine Fäuste spüren, dann legte er eine Pause ein und erlaubte ihm, sich zu erholen, während er sich über ihn lustig machte: "Come on, America, come on, white America!"

In den nächsten drei Jahren wurden Alis Angriffe auf die "Onkel Toms" und ihre weißen Sponsoren immer schärfer. "Die Leute sagen mir immer, was ich für ein gutes Beispiel sein könnte, wenn ich kein Moslem wäre", stellte Ali fest. "Immer wieder habe ich gehört, warum ich denn nicht so sein könne wie Joe Louis und Sugar Ray. Ihre Zeit ist jetzt vorbei, und die Lage der Schwarzen ist noch genau so beschissen wie früher."

Während sich einst Joe Louis im Dienst am Vaterland zur Leitfigur der Integration in einer rassistischen Gesellschaft formen ließ, die kämpfende Truppe mit Showkämpfen unterhielt und seine Börse einem Fonds der Navy spendete, brach Muhammad Ali mit seiner Weigerung, in Vietnam zu kämpfen, mit dem Establishment. Er zog den Haß des weißen Amerika auf sich, das nun endlich Handhabe gefunden hatte, ihm eine Lektion zu erteilen. Für andere aber wuchs er in diesen Jahren zu einem Helden, der ein politisches Verständnis des Schwarzseins repräsentierte.

"Ich habe keinen Streit mit diesen Vietcong!"

Diese spontane Äußerung Alis wurde zu seinem Leitmotiv im jahrelangen Kampf gegen die US-Regierung und in den Reihen der Antikriegsbewegung ein oft wiederholtes Zitat. Andere mochten es lange vor ihm gedacht und gesagt haben, doch hier bezog einer der prominentesten Sportstars des Landes Stellung.

Das Establishment reagierte prompt und äußerst feindselig. Hatte ihn das Parlament des Bundesstaates Kentucky einst für seine olympische Goldmedaille geehrt, so verurteilte man ihn nun, weil er "alle loyalen Bürger in Kentucky in Verruf bringt". Der Staat Illinois verbot ihm, seinen Titel gegen den Herausforderer Ernie Terrell zu verteidigen. Namhafte Sportjournalisten schlossen sich der Kampagne an und forderten zu einem Boykott von Alis Kämpfen auf, ebenso rechte Politiker wie der Kongreßabgeordnete Frank Clark aus Pennsylvania: "Der Schwergewichtsweltmeister ist ein einziger Schandfleck. Ich fordere alle Bürger der Nation auf, seine Darbietungen zu boykottieren. Der Wagen mit seinem Sarg sollte aus dem Stadion über die Hauptstraßen der USA fahren."

Selbst der Bruch seiner sportlichen Karriere konnte Ali nicht dazu bewegen, seiner Überzeugung abzuschwören, ja er formulierte seine Ablehnung des Krieges sogar noch deutlicher: "Warum fordern sie mich auf, eine Uniform anzuziehen und 10.000 Meilen weit weg von zu Hause Bomben und Kugeln auf braune Menschen in Vietnam zu feuern, während sogenannte Neger in Louisville wie Hunde behandelt werden? ... Ich habe nichts zu verlieren, wenn ich aufstehe und nach meiner Überzeugung handle. Also werde ich ins Gefängnis gehen. Wir sind 400 Jahre im Gefängnis gewesen."

Unterdessen versicherten die Militärs, Ali werde nicht in Kampfhandlungen verwickelt, sondern könne wie früher Joe Louis Schaukämpfe austragen und, wie Ali es ausdrückte, "ein leichtes Leben haben und nicht im Dreck herumkriechen, kämpfen und schießen müssen". Doch er lehnte alle einfachen Lösungen ab, einschließlich der des politischen Exils im Ausland.

Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß 1966 die Ablehnung des Vietnamkriegs in den USA zwar zunahm, aber noch alles andere als populär war. Erst ein Jahr später distanzierten sich Bobby Kennedy und der liberale Flügel der Demokratischen Partei von Präsident Lyndon B. Johnson. Die bekannteren Führer der Bürgerrechtsbewegung vermieden es, sich zu dem Thema zu äußern, denn bis in die späten sechziger Jahre lautete das Credo des weißen Establishments sowie vieler Führer der Schwarzen, daß Schwarze nur weiterkommen könnten, wenn sie sich als gute Amerikaner erwiesen. Gefragt waren patriotische Schwarze wie Joe Louis und Floyd Patterson.

Ali war tatsächlich den etablierten Führern der Bürgerrechtsbewegung voraus und brachte besser die Stimmung in den Ghettos zum Ausdruck, wo der wirkliche Preis für den Krieg bezahlt wurde. Am 29. März 1967 traf sich Martin Luther King privat mit Ali in Louisville und lobte dann öffentlich dessen Haltung. Am 4. April 1967 entschloß sich King nach gründlicher Gewissenserforschung, in einer langen Rede in der New Yorker Riverside-Kirche gegen den Krieg aufzutreten. Am 28. April 1967 weigerte sich Muhammad Ali vor der Erfassungskommission der US-Army in Houston, den Fahneneid abzulegen. Er ignorierte dreimal den Versuch des Unteroffiziers, ihn mit dem Namen "Cassius Clay" aufzurufen. Dann unterschrieb er ein Dokument, in dem er formell den Kriegsdienst aus religiösen Gründen verweigerte, und erklärte der Presse: "Ich bin stolz auf den Titel `Schwergewichtsweltmeister', den ich in Miami am 25. Februar 1964 gewonnen habe. Der Träger dieses Titels sollte jederzeit den Mut besitzen, zu seinen Überzeugungen zu stehen und gemäß seinen Überzeugungen zu handeln, nicht nur im Ring, sondern in allen Phasen seines Lebens."

Ali wurde zu fünf Jahren Gefängnis und zehntausend Dollar Strafe verurteilt. Er kam gegen Kaution frei und begann ein dreijähriges Berufungsverfahren bis hin zum Obersten Gerichtshof. Die Boxverbände WBA und WBC erkannten ihm daraufhin seinen Titel ab, ohne sich die Mühe einer Anklage, geschweige denn eines förmlichen Verfahrens zu machen. Ali sah sich gezwungen, den Boxsport vorübergehend aufzugeben. Später schätzte man, daß er durch seine unerschütterliche Haltung, die ihm große persönliche Nachteile einbrachte, mindestens zehn Millionen Dollar an möglichen Kampfbörsen verloren hat. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hielt er Vorträge an Universitäten im ganzen Land. Die radikalen Studenten unterstützten ihn begeistert, auch wenn sie mit seinen Predigten über die Übel von Drogen und Sex nicht einverstanden waren.

Die Ereignisse jener Tage trugen maßgeblich dazu bei, Muhammad Ali eine unbestreitbare Integrität zu verleihen, was damals freilich nur die wenigsten weißen Amerikaner so sahen. Muhammad Ali gab nicht nur Tausenden den Mut, den Kriegsdienst zu verweigern, er löste auch eine Protestwelle unter schwarzen Spitzensportlern aus. Im Studienjahr 1967/68 forderten schwarze Sportler in 37 überwiegend weißen Colleges und Universitäten mehr schwarze Trainer und Trainingsmöglichkeiten. Im selben Jahr schlossen sich schwarze Sportler im Olympic Project for Human Rights (OPHR) zusammen, dessen erste Forderung darin bestand, daß Muhammad Ali seine Titel zurückerhalten solle. Die zweite Forderung war der Rücktritt des Rassisten Avery Brandage als Vorsitzender des Nationalen Olympischen Kommitees der USA, die dritte der Ausschluß von Südafrika und Rhodesien von internationalen Wettbewerben.

Ursprünglich war das OPHR für einen Olympiaboykott der Schwarzen eingetreten, aber nachdem Südafrika ausgeschlossen worden war, richtete es sein Augenmerk darauf, die Olympischen Spiele von innen heraus zu unterwandern. Die mächtige Symbolik des Siegertreppchens - die Feier individueller Höchstleistungen im Dienst des Nationalstaats - stand im direkten Widerspruch zu den Forderungen der "Black Consciousness", die sich zu dieser Zeit unter schwarzen amerikanischen Sportlern rasch ausbreitete.

Am 16. Oktober 1968 errang Tommy Smith, der 24jährige Sohn eines Wanderarbeiters, die olympische Goldmedaille im 200-Meter-Lauf mit einem neuen Weltrekord. Bronze gewann John Carlos, ein weiteres Mitglied des OPHR. Auf dem Siegertreppchen senkten die beiden den Kopf und erhoben ihre geballte Faust, während die US-Nationalhymne abgespielt wurde. Tommy Smith erläuterte ihre Geste: "Ich trug an der rechten Hand einen schwarzen Handschuh und Carlos trug den linken Handschuh dazu. Meine erhobene Faust stand für die Macht des schwarzen Amerikas. Carlos' erhobene linke Faust stand für die Einheit des schwarzen Amerikas. Zusammen formten sie einen Bogen der Einheit und der Kraft. Der schwarze Schal stand für den schwarzen Stolz. Die Füße in schwarzen Socken ohne Schuhe standen für die Armut der Schwarzen im rassistischen Amerika. Alles, was wir taten, zielte darauf ab, die Würde der Schwarzen zurückzugewinnen."

Die Rhetorik des individuellen Sieges und des nationales Ruhms wurde durch eine Sprache der Solidarität ersetzt, die darauf hinauslief, die USA und alles, was sie repräsentierten, zu verwerfen. Tausende von Schwarzen waren schon für geringere Vergehen gelyncht worden. Smith und Carlos warf man aus dem olympischen Dorf, es wurde ihnen verboten, weiter an den Olympischen Spielen teilzunehmen, und zu Hause sahen sie sich einer landesweiten Diffamierungskampagne ausgesetzt.

Das Problem der Behörden war aber, daß in den Augen des Publikums Smith und Carlos jeweils der beste und der drittbeste Zweihundertmeterläufer blieben, genauso wie Ali nach wie vor Schwergewichtsweltmeister war. Sie hatten diese Auszeichnungen im offenen Wettbewerb gewonnen. Die Unterstützung für Ali wuchs nicht nur deswegen, weil sich die öffentliche Meinung gegen den Krieg wandte, sondern auch, weil Ali nach landläufigem Verständnis der Champion war und es keine Rolle spielte, was die Behörden sagten. Als die Funktionäre Meisterschaftskämpfe veranstalteten, um seinen "vakanten" Titel zu vergeben, warnte Ali: "Jeder weiß, daß ich der Champion bin, mein Geist wird alle Stadien heimsuchen. Ich werde da sein, mit einem Leinentuch bekleidet, und flüstern: 'Ali, Ali'."

4. Juni 2016


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