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PORTRAIT/099: Henry Maske feiert seinen 50. Geburtstag (SB)




Von Ost nach West und immer obenauf

Sowenig im Frühjahr 1990 abzusehen war, daß Henry Maske im Unterschied zu zahllosen anderen ehemaligen ostdeutschen Landsleuten vom Anschluß der DDR an die Bundesrepublik profitieren würde, trägt seine Erfolgsgeschichte doch geradezu idealtypisch zur kapitalistischen Mythenbildung bei. Er hat es vom Vorzeigeamateur Ost, Träger des Vaterländischen Verdienstordens der DDR und Oberleutnant der Nationalen Volksarmee zum Vorzeigeprofi West und von diesem zum erfolgreichen Geschäftsmann gebracht, der heute zehn McDonalds-Filialen mit 600 Angestellten leitet. Diszipliniert, grundsolide, skandalfrei und anpassungsbereit - gewissermaßen deutsch bis auf die Knochen - führte er zwar nicht vor, wie man es vom Tellerwäscher bei McDonalds zum Millionär, aber doch als Elitesportler vielerorts zu etwas bringen kann, wenn man die kollektiv geförderte Leistungsfähigkeit realsozialistischer Provenienz in den individuellen Vorteil auf dem Felde marktwirtschaftlicher Konkurrenz zu überführen versteht.

Wie alles anfing, verhüllt der Nebel zweckdienlichen Vergessens. Am 14. November 1989 geriet ein Idol des DDR-Sports ungewollt in die Schlagzeilen. Über Henry Maske, der sechs Wochen zuvor in Moskau den ersten Weltmeistertitel im DDR-Boxsport gewonnen hatte, verkündete die Bild-Zeitung: "DDR-Olympiasieger Maske will Profi werden." Lanciert wurde diese Meldung von Wolfgang Wilke, damals Trainer des Westberliner Boxprofis Graciano Rocchigiani. Von der ASK-Klubführung zur Rede gestellt, dementierte Maske umgehend. Die Meldung habe ihn selbst überrascht und entbehre jeder Grundlage. Im Interview mit dem Neuen Deutschland erklärte er tags darauf unter der Schlagzeile "Starte weiter für die DDR": "Um Worte zu sparen: Kein Wort ist daran wahr! Ich war erschrocken über die Hemmungslosigkeit dieser Lüge." Auch in Profiboxringen würden beachtliche sportliche Leistungen geboten. "Die totale Vermarktung dieser Sportart jedoch schadet ihr in einem hohen Maße. Um es aber noch einmal zu sagen: Ich werde nicht in den Profiring klettern. Ich bin Angehöriger der NVA und werde es bleiben. Mein Ziel ist es, 1992 in Barcelona am olympischen Boxturnier teilzunehmen - und zwar für die DDR." Im Interview mit der jungen Welt relativierte er allerdings seine ablehnende Haltung mit dem Hinweis, daß man "für die Zukunft nichts ausschließen" könne, sagte aber auch: "Amateur- und Profiboxen unterscheidet sich wie Feuer und Wasser. Ich verabscheue, dass der Mensch zur Ware wird." Als Maske seinen Start bei den DDR-Meisterschaften im Dezember 1989 in Rostock absagte, war das ein Wechselsignal. Mitte Januar 1990 verkündete er schließlich: "Ich werde auf alle Fälle Profi." Am 8. März unterschrieb er in Berlin einen Profivertrag beim Sauerland-Boxstall. [1]

Er hat gewagt und gewonnen, hielt man jahrzehntelang den Ossis vor, die ungleich Maske aus dem warmen Regen in die eiskalte Traufe geraten waren und sich auch noch darüber zu beklagen wagten, daß sie die Kohlschen blühenden Landschaften nirgendwo fanden. Mach es wie Maske, lautete die fiktive, aber ersatzweise höchst unterhaltungstaugliche Botschaft. Vergiß die Vergangenheit, boxe dich durch und bleibe höflich zu jedermann, wie der "Gentleman". Besonders aufregend war er zwar nie, doch daß man ihn einen Langweiler zieh, focht ihn nicht an. Ihm waren die vollmundigen Amerikaner, vor allem aber die prolligen Erzrivalen Dariusz Michalczewski und Graciano Rocchigiani Kontrastmittel genug, um stets die größere Fangemeinde hinter sich zu versammeln.

Er habe den verrufenen Boxsport in Deutschland wieder salonfähig gemacht, hieß es fortan, als machten nicht gerade die anrüchigen Szenarien, Skandale und Protagonisten den besonderen Reiz dieser Branche aus. Max Schmeling, Deutschlands einziger Schwergewichtsweltmeister und späterer Coca-Cola-Generalvertreter - auch dies eine weithin tabuisierte Geschichte für sich - erklärte Maske zu seinem "Enkel" und adelte ihn als Nachfolger seiner eigenen Legende: "Sein Auftreten, sein Verhalten, nicht zuletzt auch außerhalb des Rings imponieren mir. Mit ihm kommt der Boxsport zumindest gedanklich von St. Pauli weg. Er ist ein erstklassiger Boxer und ein intelligenter Mensch, mit ihm hat der deutsche Profiboxsport endlich wieder eine echte Identifikationsfigur." [2]

Erstmals seit Schmeling und Bubi Scholz waren Boxkämpfe hierzulande wieder gesellschaftliche Ereignisse, bei denen sich die Prominenz auf den besten Plätzen ein Stelldichein gab. Der Geschäftsmann und Boxpromoter Wilfried Sauerland hatte einfach den richtigen Riecher gehabt, als er allseitigen Zweifeln zum Trotz am 8. März 1990 in Berlin den Profivertrag mit Maske unterschrieb. Im Schulterschluß mit Trainer Manfred Wolke und dem Fernsehsender RTL schuf er ein Erfolgsmodell, das den totgesagten deutschen Boxsport einem Phoenix gleich aus der Asche steigen ließ.

Als der ehemalige Olympiasieger 1988 in Seoul und Amateurweltmeister 1989 in Moskau am 20. März 1993 in Düsseldorf den US-Amerikaner Charles Williams als IBF-Weltmeister entthronte, löste er einen regelrechten Boxboom aus, von dem seine Nachfolger bis heute zehren. "Wir alle müssen Henry und seinem Trainer dankbar sein, dass sie nach der Wende es als Erste aus der DDR wagten, zu den Profis zu wechseln und mit ihren späteren Erfolgen den Grundstein dafür legten, dass das Profiboxen heute hierzulande diesen bedeutenden Stellenwert besitzt. Sie öffneten uns die Tür zum Boxparadies. Jeder Profiboxer müsste eigentlich ein Prozent seiner Börse an Henry abgeben", so Trainer Ulli Wegner, der selbst fünf Profiweltmeister hervorgebracht hat.

In Maskes sportlichen Hochzeit als Profi zwischen 1993 und 1996 saßen bis zu 18 Millionen Zuschauer bei seinen Auftritten vor den Bildschirmen. Zehnmal verteidigte er seinen Titel erfolgreich und von 32 Kämpfen verlor der Rechtsausleger nur seinen vorletzten am 23. November 1996 in München, der eigentlich den krönenden Schlußpunkt hinter seine eindrucksvolle Karriere setzen sollte. Virgil Hill machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung, besiegte ihn nach Punkten und nahm ihm ausgerechnet beim Abschied den Gürtel ab. Genau 3748 Tage später kehrte Maske als 43jähriger am 31. März 2007 in die Münchner Arena zurück, um sich mit einem Punktsieg über Hill für die ein Jahrzehnt zuvor erlittene Niederlage zu revanchieren.

Wie es sich für einen populären Sportler gehört, der nicht alles verjubelt, sondern ordentlich gespart und sinnvoll investiert hat, gründete er 1999 die "Henry Maske Stiftung - A Place for Children" mit Sitz in Berlin, die sich deutschlandweit für sozial schwache Kinder und Jugendliche einsetzt. Zu den Unterstützern gehören auch Persönlichkeiten wie der US-amerikanische Schauspieler Denzel Washington, der alle Preview-Einnahmen seines Films "Hurricane" in die Stiftung fließen ließ, sowie die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. [3]

Er würde alles wieder so machen, sagt Maske heute, was nicht erstaunen kann. Er sei glücklich und zufrieden: "Ich bin ein Typ, für den das Glas immer halb voll und nicht halb leer ist." Seine große Geburtstagsparty steigt am 10. Januar im Europa-Park Rust bei Freiburg, für die er über 250 Einladungen verschickt hat. Schließlich sei ein solcher Geburtstag auch eine gute Gelegenheit, um sich bei allen Wegbegleitern zu bedanken, ohne die er es nie so weit gebracht hätte. Mit von der Partie wird wohl auch sein zweifacher Kontrahent Graciano Rocchigiani sein. Am 27. Mai 1995 in Dortmund konnte sich Maske glücklich schätzen, als er zum Punktsieger über das Berliner Rauhbein erklärt wurde. Der IBF-Weltmeister hatte am Rande des K.o. gestanden, und selbst Jean-Marcel Nartz, der bei allen Kämpfen Maskes als technischer Leiter fungierte, sprach von einem Fehlurteil. Diesen Makel wollte der Weltmeister nicht auf sich sitzen lassen und so gewann er den Rückkampf fünf Monate später in überzeugender Manier. Aus den damaligen Erzrivalen sind zwar keine Freunde geworden, doch haben die beiden heute keine Probleme damit, in einem gemeinsamen Interview der Vergangenheit zu gedenken und sich gesittet auszutauschen. Dabei könnte der Unterschied zwischen beiden kaum größer sein: Der fast gleichaltrige Rocchigiani beging am 29. Dezember seinen 50. Geburtstag als mittelloser ehemaliger Millionär in einer Pension vor den Toren Berlins.


Fußnoten:

[1] Neues Deutschland, 14.11.2009, "Erst das Dementi, dann die Wende. Heute vor 20 Jahren sorgten Gerüchte um DDR-Boxweltmeister Henry Maske für Wirbel" (Von Jürgen Holz)

[2] http://www.welt.de/sport/article123582524/Maske-feiert-50-Geburtstag-mit-riesiger-Party.html

[3] http://www.morgenpost.de/sport/article123565097/Der-Gentleman-der-Boxer-feiert-50-Geburtstag.html

6. Januar 2014