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PORTRAIT/085: Deutsche Trainerlegende Ulli Wegner feiert 70. Geburtstag (SB)




"Ich habe viel zu tun, da kann ich mir keine Ruhe leisten"

Gestern hat der renommierte Trainer Ulli Wegner seinen 70. Geburtstag gefeiert. In einem Berliner Hotel fanden sich rund 550 geladene Gäste ein, um dem Jubilar ihre Referenz zu erweisen. Der Ruhestand ist für ihn kein Thema: "Ich fände es zu schade für den Boxsport, wenn ich aufhören würde - das sage ich so unverfroren, wie es ist", hatte er im vergangenen Jahr kein Blatt vor den Mund genommen. "Was soll ich zu Hause? Was soll ich mit Ruhe? Ich habe viel zu tun, da kann ich mir keine Ruhe leisten", wies er nun den Gedanken an ein baldiges Ende seiner Karriere entschieden von sich. "Wenn ich jetzt aufhöre, auf was warte ich denn dann? Daß ich den letzten Atemzug mache?" Im Moment fühle er sich jedenfalls gut in Schuß, doch könne man bekanntlich die Natur leider nicht aufhalten, fügte er etwas weniger grimmig hinzu. Jetzt werde er 70, und alles, was noch in seinem Leben komme, sei Zugabe.

41‍ ‍Jahre ist Wegner bereits im Trainergeschäft. Ihm mache keiner etwas vor, versichert er. Wie der gebürtige Stettiner erklärt, sei im Leistungssport kein Platz für Demokratie: "Ich bin der Bestimmer. Wir können diskutieren, okay. Aber das letzte Wort hab' ich. Und am Ende hab' ich recht." Sein einstiger Lieblingsschüler Sven Ottke kann das nur bestätigen: "Wenn's läuft, sagt er 'mein Junge', wenn nicht, geht's zur Sache. Dann holt er den Knüppel raus, dann wird er zum Tier." Ottke, der seinen Trainer unverblümt als Diktator bezeichnete, weiß aber auch, daß es nicht reicht, ein harter Hund zu sein, der seine Schützlinge mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln antreibt und sie notfalls sogar als feige beschimpft, um das letzte aus ihnen herauszuholen. Wegner sei ein großartiger Mensch, der das Herz auf dem rechten Fleck habe: "Wenn ich als Amateur einen Kampf verloren hatte, verlor er mit und war genauso traurig", sagte Ottke über seinen langjährigen Coach.

Ulli Wegner, der einst selbst Amateurboxer war, schlug 1971 in der DDR die Trainerlaufbahn ein. Nach der Wende übernahm er das Amt des Bundestrainers und holte bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften sowie bei Militärweltmeisterschaften mit den von ihm betreuten Boxern 150 Medaillen. Nach der Olympiade 1996 in Atlanta wechselte Wegner ins Profilager, wo er intensiv mit Ottke arbeitete. Ihr gemeinsamer Aufstieg beruhte auf einer Geistesverwandtschaft, bei der einer im andern das optimale Pendant fand. Der Berliner Promoter Wilfried Sauerland sorgte für ein angemessenes Umfeld und trug seinen Teil zum Siegeszug des Duos bei. Im Oktober 1998 feierte man Ottke nach seinem Sieg über den US-Amerikaner Charles Brewer als neuen IBF-Champion. Sven Ottke verteidigte den Titel erfolgreich gegen alle Herausforderer und krönte seine Karriere mit dem Gewinn des WBA-Gürtels im März 2003. Ein Jahr später trat er nach 23 erfolgreichen Titelverteidigungen in 34 Profikämpfen ungeschlagen zurück.

Mit Arthur Abraham, der zunächst als Ottkes Sparringspartner auf sich aufmerksam machte, nahm Wegner den nächsten vielversprechenden Boxer unter seine Fittiche. Der gebürtige Armenier stieg binnen weniger Jahre zum IBF-Weltmeister im Mittelgewicht auf und setzte im September 2006‍ ‍ein zwiespältiges Zeichen spektakulären Durchhaltevermögens, als er in Wetzlar trotz doppelt gebrochenen Kiefers den Kampf bis zum Ende durchstand und gewann. Wegner führte neben Sven Ottke und Arthur Abraham auch Markus Beyer, Heidi Hartmann, den Finnen Robert Helenius, die Norwegerin Cecilia Braekhus, Marco Huck und den Kubaner Yoan Pablo Hernandez zur Weltmeisterschaft. Torsten May, Oktay Urkal, Karo Murat, Alexander Frenkel und Eduard Gutknecht wurden unter seiner Trainerschaft Europameister.

Wegner, der mit seiner Frau im Berliner Norden wohnt, ist seit den Landtagswahlen im September 2006 für die CDU im Sportausschuß der Bezirksverordnetenversammlung tätig und engagierte sich im Landtagswahkampf 2011 mit Plakatmotiven im Dienst der Partei. Für seine Verdienste um den gesamtdeutschen Sport und sein soziales Engagement wurde ihm 2010 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. In der Stadt Usedom weihte man 2011 eine neue Sporthalle ein, die nach ihm benannt wurde. Das Fachmagazin "BoxSport" zeichnete ihn bereits neunmal in Folge als "Trainer des Jahres" aus. In diesem Jahr erschien seine Biographie: "Ulli Wegner - Meine Leben in 13 Runden."

Die nächste Aufgabe wartet bereits am 5. Mai auf ihn. Dann verteidigt Marco Huck in Erfurt den Titel des WBO-Weltmeisters im Cruisergewicht gegen den Pflichtherausforderer Ola Afolabi. Der Brite steht bei der Promotion der Klitschkos unter Vertrag und wird von Fritz Sdunek betreut, so daß es zu einem weiteren Duell der beiden erfolgreichsten deutschen Trainer kommt.

27.‍ ‍April 2012