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PORTRAIT/080: Im Jahr 2009 stellte Manny Pacquiao alle in den Schatten (SB)



Philippiner inzwischen Weltmeister in der siebten Gewichtsklasse

Manny Pacquiao darf dank seiner außergewöhnlichen Leistungen im Ring einen Platz im Kreis der besten Boxer aller Zeiten beanspruchen. Auch im Jahr 2009 wurde sein Name vor allen andern genannt, wenn die Frage nach den beeindruckendsten Auftritten und umsatzstärksten Duellen im Raum stand. Sollte der totgesagte professionelle Boxsport tatsächlich eine Renaissance erleben, müßte er sich insbesondere bei dem phänomenalen Kämpfer von den Philippinen bedanken, der das erlahmte Interesse der Medien wiederbelebt und die Zuschauer in seinen Bann geschlagen hat.

Als im Jahresrückblick Bilanz gezogen wurde, konnte weder Vitali Klitschko, noch Tim Bradley oder Andre Ward, die ihrerseits bemerkenswerte Erfolge feierten, Manny Pacquiao das Wasser reichen. Dieser zog zunächst als Weltmeister in sechs Gewichtsklassen mit dem legendären Oscar de la Hoya gleich und übertraf sodann den "Golden Boy" sogar, als er sich den Gürtel im siebten Limit sicherte. Der Philippiner nahm einst seinen Siegeszug im Fliegengewicht auf und arbeitete sich in beispiellosen Sprüngen nach oben, wobei er es zuletzt durchweg mit schwereren Gegnern zu tun hatte, die er dennoch besiegte. Im Dezember 1998 wurde er zwei Wochen vor seinem 20. Geburtstag WBC-Champion im Fliegengewicht. Im Jahr 2001 folgte der IBF-Titel im Superbantamgewicht, im März 2008 der Gürtel des WBC im Superfedergewicht und schließlich am 28. Juni 2008 durch einen Sieg über David Diaz der Titel des WBC im Leichtgewicht.

Spricht man von Manny Pacquiaos phänomenalen Qualitäten, darf man die Bedeutung seines Trainers Freddy Roach, der zu den weltweit führenden Experten seines Fachs zählt, und den in Jahrzehnten gewachsenen Einfluß seines renommierten Promoters Bob Arum nicht vergessen. Erst dieser Verbund hat den Philippiner an die Weltspitze gebracht, wobei der Kontakt mit den Golden Boy Promotions des Vermarktungsgenies Oscar de la Hoya den letzten Anschub zu gewaltigen Umsätzen gab.

Am 6. Dezember 2008 demoralisierte Pacquiao den berühmten Oscar de la Hoya, der nach dieser Niederlage seine aktive Karriere endgültig beendete und sich seinen diversen anderen erfolgreichen Geschäften widmete, darunter insbesondere der derzeit einträglichsten Inszenierung von Boxkämpfen. Wenngleich bei diesem vielbeachteten Prestigekampf kein Titel auf dem Spiel stand, sorgte die Mixtur aus Pacquiaos Durchsetzungsvermögen und De la Hoyas Popularität und Geschäftstüchtigkeit für den umsatzstärksten Kampf des Jahres. Selbst die Gerüchte um eine Rückkehr des ungeschlagenen Floyd Mayweather, die sich nicht lange darauf bewahrheiten sollten, wurden von dem Dezemberkampf in den Schatten gestellt.

Trotz dieses spektakulären Paukenschlags klagte die Branche Anfang 2009 über schwindendes Interesse des Sportpublikums und sinkende Einkünfte im Pay-per-view-Verfahren, das als Geschäftsmodell der Vermarktung von Boxkämpfen in den USA ausgedient zu haben schien. Wieder war es Pacquiao, der Promoter, Sender und Zuschauer aus der Depression riß, als er am 2. Mai eine weitere Kostprobe seines Könnens gab. Diesmal trat er im Superleichtgewicht gegen den Briten Ricky Hatton an, der fast seine gesamte Karriere in diesem Limit gekämpft und dort nie verloren hatte. Siebzehn Monate zuvor hatte Hatton seine einzige Niederlage im Weltergewicht bezogen, wo er dem überragenden Floyd Mayweather unterlag. Danach kehrte der Brite wieder in seine angestammte Gewichtsklasse zurück und besiegte den namhaften New Yorker Paulie Malignaggi in der elften Runde.

Da Ricky Hatton als furioser Kämpfer bekannt war, rechnete man mit einer erbitterten Ringschlacht, in der schließlich die bessere Kondition den Ausschlag geben würde. Doch als das Duell im MGM Grand von Las Vegas eingeläutet war, benötigte Pacquiao nur sechs Minuten, um Boxgeschichte zu schreiben. Der Rechtsausleger schickte den Briten dreimal auf die Bretter und besiegte ihn in der zweiten Runde durch K.o., womit er sich den Titel in der sechsten Gewichtsklasse sicherte.

Ein halbes Jahr später entthronte der Philippiner auch Miguel Cotto im Weltergewicht, der seit drei Jahren zu den weltbesten Akteuren dieses Limits gehörte. Obgleich Pacquiao wiederum deutlich über seiner gewohnten Gewichtsklasse boxte, schlug er den Puertoricaner in der dritten Runde erstmals nieder, der daraufhin um so erbitterter Widerstand leistete. Im nächsten Durchgang fand sich Cotto erneut auf dem Boden wieder und geriet in der Folge zunehmend in die Defensive, so daß er schließlich nur noch bestrebt war, den Kampf aufrecht stehend zu beenden. Manny Pacquiao ließ dies jedoch nicht zu und brachte Miguel Cotto in der letzten Runde derart in Schwierigkeiten, daß dieser noch vor Ablauf der ersten Minute aus dem Ring genommen wurde.

Dank Pacquiaos Ruf, der weltbeste Boxer aller Gewichtsklassen zu sein, war die Arena restlos ausverkauft. Vor allem aber wurde die Übertragung von 1,25 Millionen Kunden gebucht, die 70 Millionen Dollar in die Kasse spülten und den Philippiner mit mehr als zwei Millionen Bestellungen seiner beiden Kämpfe zum absoluten Publikumsmagneten in den USA machten, womit er sportlich wie finanziell als unangefochtener "Boxer des Jahres 2009" firmiert.

Im Jahr 2010 sorgt Manny Pacquiao erneut für Schlagzeilen, wenn es vorerst auch nur die Absage des Prestigeduells zwischen dem Philippiner und Floyd Mayweather ist, das am 13. März 2010 in Las Vegas über die Bühne gehen sollte und beiden Boxern zwischen 20 und 40 Millionen Dollar eingebracht hätte. Das Lager des Amerikaners fordert Bluttests nach Regeln der WADA, die wesentlich strenger als die im Profiboxen üblichen Methoden sind. Trainer Floyd Mayweather sr. wirft Pacquiao die Einnahme verbotener Substanzen zur Leistungssteigerung vor, und da in diesem Prestigekampf die Frage endgültig entschieden werden soll, wer gegenwärtig der beste Boxer aller Gewichtsklassen sei, ist das Duell mit Ansprüchen und Erwartungen offenbar derart überfrachtet, daß die "Blutfehde" ausreichen könnte, um es tatsächlich scheitern zu lassen.

Im Umfeld Pacquiaos hält man dem in 40 Kämpfen ungeschlagenen Floyd Mayweather jr. Feigheit vor, da er sich unter einem Vorwand vor dem Duell drücken wolle. Die Gegenseite behauptet, der Philippiner habe etwas zu verbergen, wenn er sich nicht jederzeit testen lasse. Damit arbeitet der US-Amerikaner einer Bezichtigung in die Hände, welche die Unschuldsvermutung herkömmlichen Rechtsverständnisses aushöhlt und einen Pauschalverdacht etabliert, der die Beweislast umkehrt. Manny Pacquiao, der im Laufe seiner Karriere 50 Kämpfe gewonnen und drei verloren hat, argumentiert mit der Überzeugung, ihn schwäche eine Blutabnahme unmittelbar vor einem Ringauftritt.

Nachdem Kompromißvorschläge aus dem Lager des Philippiners zurückgewiesen wurden, war Promoter Bob Arum zu keinem weiteren Entgegenkommen bereit und erklärte den Kampf für gestorben. Er sucht nun einen anderen Gegner für Pacquiao, der dem in New York lebenden Juri Foreman den neugewonnenen WBA-Titel im Superweltergewicht abjagen und damit als Champion in der achten Gewichtsklasse erneut Boxgeschichte schreiben könnte. In Frage kämen auch Paulie Malignaggi oder ein drittes Duell mit dem Mexikaner Juan Manuel Marquez, gegen den Pacquiao einmal umstritten unentschieden geboxt und ein weiteres Mal ebenfalls angefochten nach Punkten gewonnen hat.

Wie es scheint, findet der bislang nur verbale Kampf zwischen Mayweather und Pacquiao seine Fortsetzung vor Gericht. Er habe seinen Promoter angewiesen, ihm bei der Einreichung einer Klage zu helfen, teilte der mehrmalige Weltmeister von den Philippinen mit. In Anbetracht der in Aussicht stehenden Einkünfte mutet es erstaunlich an, daß das überaus lukrative Duell tatsächlich an der Dopingfrage scheitert. Daß man dem Publikum nicht mit einer ausgeklügelt inszenierten Kontroverse eingeheizt und die Begegnung auf einen späteren Zeitpunkt verlegt hat, um vorgezogene andere Kämpfe aufzuwerten, ist nicht ausgeschlossen. In jedem Fall geht man das Risiko ein, den Bogen zu überspannen und dem professionellen Boxsport einen weiteren Tiefschlag zu versetzen, der ihn noch weiter hinter erfolgreichere Vermarktungskonzepte wie Wrestling und insbesondere UFC zurückfallen läßt.

Wir sprechen hier wohlgemerkt über das US-amerikanische Boxgeschäft, das sich zu Recht oder angemaßt nach wie vor für den Nabel der Welt hält. Auf den Philippinen wird Manny Pacquiao seit Jahren als Volksheld verehrt, bei dessen Auftritten in der Ferne sich das ganze Land vor den Fernsehgeräten versammelt. Dann sind die Straßen leergefegt, die Verbrechensrate sinkt für einige Stunden und selbst der offiziell geleugnete Bürgerkrieg legt eine beiderseits gewünschte Feuerpause ein. Pacquiao, der aus einfachen Verhältnissen in Kibawe, einem Dorf im Hinterland der Stadt General Santos stammt, in der er heute lebt, steht dank seines beispiellosen Aufstiegs zum vielgerühmten "besten Boxer der Welt" in der Gunst Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyos, die ihre von gefälschten Wahlergebnissen, Korruptionsvorwürfen und brutaler Repression geprägte Amtsführung beiläufig mit dieser volkstümlichen Verbindung schmückt.

Manny Pacquiao räumt offen ein, daß er ein Freund der Präsidentin sei und die beiden Familien miteinander Umgang pflegen, zumal dies ohnehin kein Geheimnis ist. Er kandidierte sogar auf der Liste der Regierungspartei für ein politisches Amt, was ihm den Vorwurf eintrug, der in dieser Hinsicht mindestens unerfahrene, wenn nicht gar ungeeignete Boxer gehe naiv zu Werke und werde aus dem Präsidentenpalast gesteuert. Seine Ambitionen scheinen sich bislang auf den Boxring zu konzentrieren, in dem er eine furchterregende Erscheinung abgibt. Was eine protegierte Karriere nach dem Ende seiner sportlichen Laufbahn betrifft, wird er voraussichtlich den Weg vieler philippinischer Stars aus dem Showgeschäft gehen, die in die Politik wechselten. Daß er dabei mit derselben ungezügelten Wucht auf seine Gegner losgeht und sie erbarmungslos niedermacht, ist zwar nicht ausgeschlossen, doch hegt bislang zumindest in der öffentlichen Debatte niemand den Verdacht, Manny Pacquiao habe auch als potentieller Machtpolitiker im Dienst des Regimes Blut geleckt.

4. Januar 2010