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PORTRAIT/072: Joe Calzaghe beendet außergewöhnliche Karriere (SB)



Weise Entscheidung des weltbesten Supermittelgewichtlers seiner Zeit

Nicht wenige Boxer versäumen den rechten Zeitpunkt, ihre Karriere in Würde und bei guter Gesundheit zu beenden. Viele treten erst dann zurück, wenn sie an der Spitze nicht mehr mithalten können und von nachdrängenden Konkurrenten deklassiert werden. Joe Calzaghe gehört nicht zu diesem Kreis. Seinem erbarmungslosen Schlaghagel entkam keiner seiner 46 Gegner, von denen sich 32 vorzeitig geschlagen geben mußten und 19 nicht die zweite Runde überstanden. Nun hat der Waliser seinen Rücktritt erklärt und damit eine außergewöhnliche Laufbahn zwischen den Seilen beendet.

"Es war eine schwierige Entscheidung. Aber ich habe alles erreicht, was ich im Boxring erreichen wollte", erklärte der 36jährige in einem Exklusivinterview mit dem britischen Fernsehsender BBC. "Ich bin elf Jahre Weltmeister gewesen und habe keine Ziele mehr, für die es sich noch in den Ring zu steigen lohnt. Das ist der Grund, warum ich aufhöre", sagte der anerkannt weltbeste Boxer des Supermittelgewichts. "Es gibt eine Menge Dinge, die ich tun will. Ich bin stolz darauf, als einer der wenigen Kämpfer in der Geschichte unbesiegt in den Ruhestand zu gehen", so Calzaghe. "Es wurde Zeit, an die Familie zu denken. Meine Kinder und meine Mutter brauchen mich." Seine Entscheidung, die aktive Karriere zu beenden, sei endgültig: "Man kann zwar in diesem Sport niemals nie sagen, doch gehe ich nicht davon aus, noch einmal in den Ring zurückzukehren."

Der Sohn eines Immigranten aus Sardinien stand insgesamt 15 Jahre im Ring und hatte die Gürtel der vier wichtigsten Verbände WBO, WBC, WBA, und IBF in seinem Besitz. Im Oktober 1997 entthronte er Chris Eubank als WBO-Champion im Supermittelgewicht. Nach 21 Titelverteidigungen legte er diesen Gürtel im September vergangenen Jahres ungeschlagen nieder. Zeitweise war er auch Weltmeister der IBF und im November 2007 gewann er mit einem Punktsieg gegen den Dänen Mikkel Kessler die Gürtel der Verbände WBA und WBC hinzu. Die Erfolgsbilanz des Rechtsauslegers ist mit 46 Siegen in 46 Kämpfen lupenrein. Darin taucht auch der Name eines deutschen Gegners auf. Der Cottbuser Mario Veit mußte die Überlegenheit des "Pride of Wales" zweimal schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Am 28. April 2001 lag der Cottbuser in der International Arena von Cardiff im ersten Titelkampf gegen den walisischen Volkshelden bereits nach 1:52 Minuten der ersten Runde geschlagen am Boden. Vier Jahre später schaffte er es beim zweiten Anlauf in Braunschweig immerhin bis in die sechste Runde.

Seine letzten beiden ebenso spektakulären wie lukrativen Kämpfe bestritt Joe Calzaghe im Jahr 2008 im Halbschwergewicht gegen berühmte Gegner in den USA. Im Frühjahr besiegte er den früheren Champion aller vier Verbände im Mittelgewicht, Bernard Hopkins, knapp nach Punkten. Seine Abschiedsvorstellung gab er am 8. November 2008 im New Yorker Madison Square Garden gegen den nicht minder legendären Roy Jones jr., der sich ebenfalls nach Punkten geschlagen geben mußte. Im November 2008 wurde der Ausnahmeathlet von der britischen Königin Elizabeth II. zum Commander of the British Empire ernannt, womit man ihm die höchste Auszeichnung vor dem Ritterschlag verlieh.

Die Qualitäten Joe Calzaghes lassen sich im Rahmen dieser kurzen Würdigung anhand einiger ausgewählter Schlaglichter allenfalls andeuten. So deckte er bei seinem Sieg im Duell zweier Weltmeister den US-Amerikaner Jeff Lacy im Jahr 2006 trotz einer Handverletzung mit mehr als 1000 Schlägen ein und nahm ihm den Titel der IBF ab. Die unerhört hohe Schlagfrequenz ist ein Kernstück der Boxphilosophie seines Vaters Enzo Calzaghe, der zeitlebens nie als Trainer ausgebildet und dennoch 2007 von einer anerkannten Fachzeitschrift zum weltbesten Experten seines Fachs gekürt wurde.

Drei Jahre vor dem Triumpf über Jeff Lacy hatte sich folgendes ereignet: Im Kampf gegen Exweltmeister Byron Mitchell aus den USA prügelten die beiden bereits in der ersten Runde heftig aufeinander ein. Im zweiten Durchgang schickte Mitchell den Waliser überraschend erstmals in dessen Karriere auf die Bretter. Doch Calzaghe stand auf, schüttelte kurz den Kopf und schlug Mitchell unmittelbar danach kurzerhand nieder, der auf dem Boden liegend ausgezählt wurde.

Oft hatte Joe Calzaghe betont, daß er sich wenig aus Auszeichnungen und dem Zuspruch der Kritiker mache. Natürlich war auch er nicht frei vom Wunsch nach Anerkennung, auf die er trotz seiner makellosen Karriere im Grunde bis zum Ende warten mußte. Wenngleich man ihn in Wales auf Schultern trug, schien ihn der Rest der Welt doch erst bei seinen allerletzten Auftritten in Cardiff, Las Vegas und New York so richtig wahrzunehmen. Dabei halten ihn viele namhafte Kollegen für den besten Boxer, den Britannien je hervorgebracht hat. Wer solche Superlative scheut, wird zumindest einräumen, daß ihm kein britischer Konkurrent seiner Gewichtsregion seit dem Zweiten Weltkrieg das Wasser reichen kann.

Im britischen Boxgeschäft wird längst Carl Froch als Nachfolger Joe Calzaghes gehandelt. Der neue WBC-Weltmeister aus Nottingham ist ebenfalls ungeschlagen und hätte sich nur zu gern mit dem Waliser gemessen, was Altersunterschied und Umstände jedoch am Ende nicht zuließen. Natürlich können Skeptiker immer einwenden, daß dieser oder jener Gegner auf dem Zenit seines Könnens Calzaghe geschlagen hätte, doch bleibt das bloße Spekulation. Fest steht, daß ihn 15 Jahre lang kein Supermittelgewichtler der Welt besiegen konnte und selbst Bernard Hopkins und Roy Jones die Segel streichen mußten. Zwar liegen die besten Tage der beiden weit zurück, doch sind sie deshalb noch lange nicht zu unterschätzen. So hat Hopkins jüngst in einem der besten Kämpfe seiner Karriere den favorisierten Kelly Pavlik besiegt, der zwei Titel im Mittelgewicht hält und als weltbester Boxer dieses Limits gehandelt wird, in dem Arthur Abraham und Felix Sturm je einen Gürtel tragen. Wie der Champion aus Youngstown, Ohio, einräumen mußte, sei ihm der Ausflug in die höhere Gewichtsklasse ganz und gar nicht bekommen, in der seine Titel glücklicherweise nicht auf dem Spiel standen.

Man kann Joe Calzaghe zu seiner Entscheidung nur beglückwünschen, jetzt und hoffentlich unwiderruflich seine Karriere im Boxring zu beenden. Er hat genug verdient und sein Geld zusammengehalten, so daß er dem Reiz einer weiteren Riesenbörse in den USA nicht zu erliegen braucht. Als ausgesprochener Familienmensch und noch dazu mit einem Vater, der vom Weltenbummler und Musiker schließlich zu einem der anerkannt besten Boxtrainer aufstieg, wechselt der Exweltmeister nicht vom Scheinwerferlicht öffentlicher Auftritte in die Isolation eines durch Entfremdung verödeten Privatlebens, sondern bleibt nun dort, wo er ohnehin immer am liebsten war.

Siehe auch:
PORTRAIT/069: Die Queen ehrt Joe Calzaghe (SB)

11. Februar 2009