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PORTRAIT/057: Die ewige Flucht des Exilkubaners Juan Carlos Gomez (SB)


Paradebeispiel eines entwurzelten Emigranten

Juan Carlos Gomez verkörpert das Schicksal des Exilkubaners, der die im Kollektiv erworbenen Fähigkeiten und die in hohem Maße im Kontext spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse und sozialer Einbindung verwobene Identität mit privaten Besitzständen verwechselt, die allein der eigenen Nutzung und Verfügung unterliegen. Nicht der moralisierende Vorwurf der Undankbarkeit soll hier erhoben und ebenso wenig der unausweichlichen Verpflichtung auf die lebensgeschichtliche Herkunft das Wort geredet werden. Wenn man jedoch im Zusammenhang mit Exilanten von Entwurzelung spricht, streift dies eine weitreichendere Vereinzelung, als sie der sentimentale Rückblick oder der Verweis auf eine unterschiedliche Mentalität zu erfassen vermögen.

In der Tradition der legendären kubanischen Schule ausgebildet, die im Amateurbereich noch immer zahlreiche international führende Boxer hervorbringt, wurde der Sohn eines Bauern und Mechanikers 1990 Junioren-Weltmeister bei den Amateuren. Eines Tages beschloß er, sein mit dem Begriff "Talent" nur unzureichend charakterisiertes sportliches Können zu kapitalisieren und setzte sich 1995 beim Chemie-Pokal in Halle von der kubanischen Mannschaft ab. Der Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl erkannte in ihm einen Rohdiamanten, der mit dem Feinschliff einer sorgsam aufgebauten Profikarriere versehen an die Weltspitze vorstoßen und dort Rendite bringen würde.

Nicht lange nach Unterzeichnung des Vertrags bestritt Gomez am 20. Mai 1995 seinen ersten Profikampf, bei dem er den US-Amerikaner Jackson nach Punkten besiegte. Weiter ungeschlagen wurde er am 21. Februar 1998 durch einen Sieg über dem Argentinier Marcelo Dominguez in Mar del Plata WBC-Weltmeister im Cruisergewicht.

Genannt "Der schwarze Panther", tanzte der 1,92 Meter große Athlet zum Ring. Wo andere düster schritten oder hölzern ihr mangelndes Talent als Unterhaltungskünstler zu Markte trugen, lachte der Kubaner, winkte dem Publikum zu und wiegte sich im Rhythmus der Musik. Man darf das Klischee von der lateinamerikanischen Lebensart gewiß nicht überstrapazieren, doch wenn es tatsächlich nichts als Show für das Publikum gewesen sein sollte, dann war sie jedenfalls außerordentlich gut gelungen. Dieser fröhliche Mann schien sich beinahe auf den Kampf zu freuen, und war der Gong erst einmal ertönt, fühlte er sich recht in seinem Element. Er spielte, tanzte, täuschte und legte zwischendurch einen sehenswerten Shuffle auf die Bretter, als könne der nüchterne Schlagabtausch seinen ungeheuren Tatendrang niemals stillen.

Gomez zählte zweifellos zu den Boxern mit dem umfangreichsten Repertoire, das man seit Jahren hierzulande gesehen hatte. Beweglich, variabel und schlagstark verwandelt er seine Ringauftritte in ein attraktives Feuerwerk, das seine Gegner meistens vor der Zeit aller Titelträume beraubte. In seiner Person schienen eine erstklassige boxerische Ausbildung, ein für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich variabler Stil und nicht zuletzt ein gehöriges Showtalent eine glückliche und fruchtbare Verbindung einzugehen. In der Tat blieb Gomez nach seinem zügigen Aufstieg ungeschlagen, bis er ins weitaus attraktivere und lukrativere Schwergewicht wechselte.

Zu dieser Zeit hatte er jedoch bereits diverse Probleme am Hals, die seine Karriere wie auch die gesamte Lebensführung durcheinanderwirbeln sollten. Wenn er Trainingsfleiß vermissen ließ, Disziplin als lästige Pedanterie verachtete und gelegentlich über die Stränge schlug, schrieb man dies seiner kubanischen Frohnatur zu, die einfach ab und an mit der steifen Wesensart seiner norddeutschen Wahlheimat kollidieren müsse. Nicht selten bemängelte Trainer Fritz Sdunek den lockeren Umgang seines Schützlings und damaligen Schwiegersohns mit dem harten Brot des Trainingsalltags, doch konnte er lange hinzufügen, daß der Kubaner zumindest vor den Kämpfen zu konzentrierter Arbeit zurückfinde und sich ernsthaft vorbereite. Im Laufe der Zeit häuften sich jedoch die Eskapaden des außerordentlich talentierten aber nicht minder lebenslustigen Boxers, dem das deutsche Klima auch im übertragenen Sinn wenig behagte. Zum Dauerstreit um die mangelnde Trainingsdisziplin gesellten sich zunehmend auch familiäre Probleme.

Schon 1997 hatte sich Gomez einmal kurzfristig in die USA abgesetzt, war aber bereits nach wenigen Tagen reumütig zurückgekehrt. Die Ehe mit der Tochter von Trainer Sdunek wurde geschieden, und als der Tainingsfleiß des Kubaners trotz aller Mahnungen zu wünschen übrig ließ, kam es Ende 1999 zur Trennung von Sdunek. Dieser ist allgemein für seine konsequenten Trainingsmethoden, aber auch für einen herzlichen und familiären Umgang mit seinen Schützlingen bekannt. Am Ende schien jedoch auch seine Geduld restlos aufgebraucht zu sein. Schließlich mußte das Umfeld der Tatsache ins Auge blicken, daß sich Gomez immer wieder durch Flucht zu entziehen versuchte, wenn ihm die Schwierigkeiten über den Kopf zu wachsen drohten. Dies galt für die Ehe mit der Tochter Sduneks wie für diverse weitere davor und danach, weshalb es inzwischen archivarischer Ambitionen bedürfte, die Zahl der verlassenen Frauen und Kinder aufzulisten.

Anfang März 2001 floh Gomez offenbar wegen Steuerschulden erneut in die USA, wo er politisches Asyl beantragte. Die ausstehende Summe wurde mit 600.000 Mark angegeben, das Konto gepfändet. Als prominenter Exilkubaner erhielt er rasch eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in den Vereinigten Staaten, obwohl er zuvor sechs Jahre in Hamburg verbracht hatte, wo er jedoch eigenen Angaben zufolge nie wieder boxen wollte. Dort pochte Manager Kohl jedoch auf die Einhaltung des Vertrags, der noch bis Ende 2005 lief, worauf sich Gomez schließlich fügte und in die Hansestadt zurückkehrte.

Trotz verbliebener Steuerschulden von rund 100.000 Euro und laufenden Vertrags setzte sich der mittlerweile 29-jährige Kubaner Anfang Juni 2003 ein drittes Mal in die USA ab, wo er einen millionenschweren Vierjahresvertrag beim Boxstall des früheren Weltmeisters Sugar Ray Leonard unterschreiben wollte und von der 81-jährigen Trainerlegende Angelo Dundee betreut werden sollte. Dieser führte einst Muhammad Ali, George Foreman und Sugar Ray Leonard zur Weltmeisterschaft. Dundee, der Gomez in Florida trainierte, verkündete entzückt: "Der Junge macht mich verrückt. Er ist in 36 Kämpfen ungeschlagen. Ich kann ihn noch besser machen. Ich will den nächsten Champ." Kämpfe wurden geplant, Verträge mit dem führenden Box-Sender HBO ausgehandelt. Leonard, der in seinem "Team Freedom" vor allem auf Exilkubaner setzte, äußerte sich begeistert über die Qualitäten seines neuen Schützlings.

Gomez, der inzwischen mit seiner dritten (oder vierten) Frau Asucena in Miami lebte und zum dritten (oder vierten) Mal Vater wurde, wollte diesmal wirklich nicht mehr nach Hamburg zurückkehren, wo er einen Scherbenhaufen hinterlassen hatte. Er werde endlich die ersehnte Weltkarriere machen, an der man ihn zuvor gehindert habe, erklärte er. Dann riß ihn jedoch die erste Niederlage seiner Karriere aus allen Träumen, als er 2004 seinem kubanischen Landsmann Yanqui Diaz durch Knockout in der ersten Runde unterlag.

Kohl bezahlte unterdessen die Steuerschulden, die Gomez wie so vieles andere unerledigt zurückgelassen hatte, und gab ihm nach der zweiten eine dritte Chance. Der Kubaner kehrte erneut nach Deutschland zurück und besiegte Ex-Weltmeister Oliver McCall in Düsseldorf nach Punkten. Nach diesem Kampf wurde er jedoch positiv auf Kokain getestet, weshalb ihm eine Sperre drohte. Er gab Kohl das Ehrenwort, er habe nie im Leben Kokain genommen, worauf sich der Promoter erneut für ihn einsetzte, bis eine Haarprobe auch diese Finte des Kubaners widerlegte und die endgültige Trennung zur Folge hatte.

Fast hätte man die Uhr danach stellen können, daß der Hamburger Neupromoter Ahmet Öner sich den Kubaner schnappen würde, da der Chef des Arena-Boxstalls mit Gomez die Neigung teilt, nach jedem Abgang die Schuld für das Desaster ganz und gar bei einem seiner Meinung nach mißgünstigen und unfähigen Umfeld zu suchen. So konnte Juan Carlos Gomez nach einjähriger Dopingsperre sein Comeback in der Alsterdorfer Sporthalle feiern.

Heute setzt der Exilkubaner erneut auf sein vermeintliches Patentrezept, alle unbewältigten Probleme andern aufzulasten und begeistert zu neuen Ufern aufzubrechen, wo ihm endlich ein angemessenes Umfeld geboten werde. So ist er vor einiger Zeit zum Islam konvertiert und hingerissen von der Türkei, wo man ihn bei seinem Auftritt in Ankara so herzlich wie nirgendwo sonst aufgenommen habe. Gomez will Türke werden, und der Antrag auf Einbürgerung ist angeblich bereits gestellt.

Es wäre dem Exilkubaner zu wünschen, daß er sich tatsächlich noch einmal auf das Boxen besinnt und seine Talente nicht endgültig auf der ewigen Suche nach dem leichten Leben verschleudert. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, daß Juan Carlos Gomez auch im Schwergewicht den Sprung an die Weltspitze schafft, was ihm im übrigen gar nicht zu mißgönnen wäre. Es geht an dieser Stelle ja nicht um ein Moralurteil oder gar den Versuch, sich zum Richter über das Leben des Kubaners aufzuschwingen. Wesentlich und in gewisser Weise auch lehrreich könnte indessen sein, in seinem Beispiel nicht nur einen weiteren im gelobten Land fetter Börsen verheizten kubanischen Boxer zu sehen, der er zweifellos ist, sondern darüber hinaus im Kontext konkurrierender Gesellschaftsentwürfe der tragischen und zutiefst beteiligten Verstrickung des Exilantentums auf die Schliche zu kommen.

21. August 2007