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KLASSIK/350: Vor 100 Jahren wurde Jack Johnson Weltmeister (SB)



Erster schwarzer Champion im Schwergewicht

Vor 100 Jahren, am 26. Dezember 1908, wurde Jack Johnson erster schwarzer Schwergewichtsweltmeister des Profiboxens. Ein halbes Jahrhundert später würdigte ihn Muhammad Ali mit folgenden Worten: "Er kam in einer Zeit, als Schwarze glaubten, sie hätten nichts, auf das sie stolz sein könnten, und er machte sie stolz." Johnson war der Pionier einer neuen Zeit, der Zeit schwarzer Stärke. Nimmt man Dempsey und Marciano aus, so waren alle großen Schwergewichts-Champions des 20. Jahrhunderts Schwarze. "Alle stehen in Johnsons Schuld", urteilte die Londoner "Sunday Times" in einer Sammlung der fünfzig "großen Sportmomente".

Seit die Ära des großartigen James J. Jeffries mit dessen Rücktritt im Jahr 1905 geendet hatte, ging es mit dem Schwergewicht rapide bergab. Marvin Hart, sein Schüler und Nachfolger, war ein ungeliebter Kompromiß. Er unterlag 1906 dem Kanadier Tommy Burns, der gegen Jeffries nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte. Burns trennte sich von Jack O'Brien unentschieden und besiegte ihn bei der Revanche im Mai 1907 wenig überzeugend nach Punkten.

Unterdessen räumte der schwarze Boxer Jack Johnson weiter unter den Konkurrenten auf, so daß sich alles auf die Konfrontation mit Burns zuspitzte. Dem Kanadier wurde jedoch der Boden unter den Füßen zu heiß, worauf es ihn gegen Ende des Jahres 1907 plötzlich in die Ferne zog. Zunächst reiste er nach London, wo sich die Briten immer noch für die wahren Vertreter der "edlen Kunst der Selbstverteidigung" hielten und es nur recht und billig fanden, daß dieser Champion aus der neuen Welt im Mutterland sein Können unter Beweis stellte. Die Probe fiel beschämend für die Heimstatt des Faustkampfs aus, denn der britische Meister Gunnar Moir endete am 2. Dezember 1907 am Boden. Nicht besser erging es seinem Landsmann Jack Palmer, für den am 10. Februar 1908 bereits in der vierten Runde Endstation war.

Was sich für die britischen Boxer wie ein Siegeszug des übermächtigen Weltmeisters ausnehmen mochte, war indessen nichts weiter als dessen schlecht getarnte Flucht vor Jack Johnson, der ihm nachreiste und ihn endlich stellen wollte. So wich Burns von London nach Dublin aus, wo er am 17. März Jem Roche besiegte. Während aber Johnson die Schiffspassage dorthin buchte, war der Kanadier schon nach Paris weitergezogen. In Frankreichs Hauptstadt bezwang er am 18. April Jewey Smith, worauf er eine Reise um die halbe Welt antrat, um im fernen Australien in den Ring zu steigen. Bill Squires war dort am 13. Juni und 24. August sein erstes Opfer, während es Bill Lang am 2. September 1908 nicht besser erging.

Während Weltmeister Tommy Burns so den Eindruck erweckte, er könne es in aller Welt mit jedem Herausforderer aufnehmen, und dabei sogar das Gerücht in Umlauf brachte, er stamme eigentlich aus Australien und habe daher seine Heimat aufgesucht, lief er doch nur Jack Johnson davon und hoffte inständig, daß dieser die Verfolgung aufgeben werde. Es half jedoch alles nichts: Jack Johnson, der Schrecken aller weißen Boxer, war bereit, ihm sogar bis ans Ende der Welt zu folgen.

So schlug am 26. Dezember 1908 auch Burns die Stunde. Umgerechnet rund 120.000 Mark hatte man ihm garantiert, und das Stadion von Rushcutters Bay bei Sydney war mit 20.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt. Keiner wollte sich an diesem denkwürdigen Tag die Sensation entgehen lassen. Um 11 Uhr vormittags ertönte der Gong zur ersten Runde. Nach Monaten der Verfolgungsjagd von Stadt zu Stadt standen sich die ungleichen Rivalen endlich im Ring gegenüber. Hier der Weltmeister, nur 1,70 Meter groß und von gedrungener Gestalt, dort der schwarze Herausforderer, fast einen Kopf größer, schlanker und dennoch muskulös. Der Kampf hatte kaum begonnen, als sich Burns bereits auf dem Boden wiederfand. Der Ringrichter zählte bis neun, ehe sich der Kanadier auf wackligen Beinen wieder erhob. Jedem nüchtern urteilenden Beobachter mußte frühzeitig klar sein, daß das Duell längst zugunsten Johnsons entschieden war.

Doch was nun folgte, war einer der merkwürdigsten Kämpfe, die man je gesehen hatte. Der Herausforderer spielte seine überlegene Technik und Reichweite immer wieder aus, traf fast nach Belieben, doch begnügte er sich damit, seinen Gegner nach Strich und Faden zu verprügeln. Tommy Burns bewies am Ende doch noch Kämpferherz und wehrte sich verzweifelt, doch hätte Johnson ihn sicherlich ins Reich der Träume schicken können, wenn er es nur gewollt hätte. Wohlweislich vermied er jedoch jeden weiteren Niederschlag, um das Publikum nicht vollends gegen sich aufzubringen. Als der Kanadier schließlich nur noch einem lebenden Sandsack glich, sprangen Polizisten in den Ring und machten dem Spektakel ein Ende. Johnson war Weltmeister aller Klassen, doch die Zuschauer wollten um nichts in der Welt einen Schwarzen siegen sehen und forderten lautstark ein Unentschieden. Das Ergebnis aber stand unumstößlich fest: Mit Jack Johnson hatte der Boxsport seinen ersten schwarzen Champion.

Lähmendes Entsetzen erfaßte das weiße Amerika: Fortan gab es nur einen Gedanken: Ein Weißer mußte Johnson den Titel wieder abnehmen! In den Südstaaten hingegen wurde der neue Weltmeister von der schwarzen Bevölkerung wie ein Held gefeiert. "Schlagt die Weißen!", war vielerorts die neue Parole zu hören, und tatsächlich verließen im Jahr 1909 zahlreiche Arbeiter die Baumwollfelder, taten sich zusammen, plünderten Geschäfte und zündeten Häuser an. Es kam zu blutigen Ausschreitungen, die schließlich gewaltsam niedergeschlagen wurden.

Seit 100 Jahren hatten Schwarze gegen Weiße geboxt, doch nie zuvor war einer so vermessen, Weltmeister zu werden. Zwar mußte man nicht einmal Experte sein, um Jack Johnson nicht nur als den weitaus besseren Boxer in Sydney, sondern den führenden Faustkämpfer seiner Zeit zu erkennen, hatte er doch bis dahin keinen Gegner gemieden, während umgekehrt selbst namhafte weiße Boxer bis hin zu seinem Vorgänger Tommy Burns jede Begegnung mit ihm scheuten. Doch nicht nur im Süden der USA stand der Rassismus in voller Blüte, wie die tobende Menschenmenge nach dem Weihnachtsfest des Jahres 1908 in Sydney bewies.

Dieser Weltmeister zog die Massen an, dieser Weltmeister verführte Veranstalter zu finanziellen Abenteuern - doch nicht, weil alle den Champion liebten und verehrten, sondern weil man ihn verlieren sehen wollte. Im weißen Boxgeschäft, geschweige denn in der Presse oder gar unter den vorwiegend weißen Zuschauern, konnte sich kaum jemand zu einer sachgerechten Bewertung durchringen. Dieses Ärgernis mußte beseitigt werden, diese Provokation mußte stürzen, lieber heute als morgen! Da man aber schwerlich übersehen konnte, daß dieser Johnson ein athletischer und überaus zäher Bursche war, der spielend 20 Runden und mehr gehen konnte, sann man auf seltsame Arrangements, um ihm übel mitzuspielen. Wenn er schon in einem Kampf von regulärer Länge nicht zu besiegen war, so doch vielleicht in einem auf wenige Runden beschränkten Gefecht. Doch dieser hinterhältige Plan erwies sich als völlig ungeeignet, den ungeliebten Weltmeister vom Thron zu stoßen.

So trennten sich Jack Johnson und Herausforderer Jack O'Brien am 19. Mai 1909 in Philadelphia nach sechs Runden unentschieden. Am 30. Juni folgte Tony Ross in Pittsburgh bei gleicher Rundenzahl mit demselben Ergebnis. Am 9. September gingen Johnson und Al Kaufmann in San Francisco "ohne Entscheidung" auseinander. Zwar wurde auf diese Weise die Schmach der Niederlage für die weißen Herausforderer verhindert, doch blieb Jack Johnson weiterhin Weltmeister. Zum Verlierer konnte man ihn schwerlich erklären, wenn der Boxsport noch irgendeinen Sinn machen und vor allem ein Geschäft bleiben sollte. Jeder mußte seine Überlegenheit erkennen, wenngleich die wenigsten wahrhaben wollten, daß er selbst bei dieser kurzen Rundenzahl den K.o.-Schlag absichtlich vermied, um die Zuschauer nicht in eine Raserei zu versetzen, die nur zu seinen Lasten gehen konnte.

Das Publikum fing an zu murren und forderte wieder reguläre Kämpfe. So kam es am 16. Oktober 1909 zu einem echten Titelkampf, für den man in Stanley Ketchell den richtigen Mann gefunden zu haben glaubte. Zwar war er gut 60 Pfund leichter als der Champion, doch ein unerhörter Draufgänger, der niemals aufsteckte. Ihm gelang tatsächlich das Kunststück, Jack Johnson einmal niederzuschlagen, doch die tobende Zuschauermenge hatte sich zu früh gefreut. So schnell war der Weltmeister nicht zu besiegen, und da er wußte, daß es mit diesem Gegner kein Unentschieden geben würde, schickte er ihn in der zwölften Runde zur abgrundtiefen Enttäuschung des weißen Publikums ins Reich der Träume. Es blieb dabei: Was immer man auch versuchen mochte, dieser Jack Johnson war einfach nicht zu schlagen.

Für Johnson waren die Jahre des Triumphs zugleich eine Gratwanderung zwischen der Verehrung seiner schwarzen Landsleute und dem Haß des zutiefst getroffenen weißen Amerika. Was ihn vor dem Sturz bewahrte, war ebenso sein überlegenes Können im Ring wie die Gier des Boxgeschäfts, den heißersehnten Fall dieses unerhörten Ärgernisses zu einem überaus lukrativen Dauerbrenner zu strecken. Wann waren die Emotionen je mit einer solchen Intensität entflammt, wann die Menschen von einem Sportgeschehen so tief beeindruckt, wie in der Ära dieses Weltmeisters, der die Nation spaltete!

(Zweiter Teil folgt)

28. Dezember 2008