Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

SPLITTER/415: Als Monopolisten bringen die Klitschkos ihre Schäfchen ins Trockene (SB)



Restverwerter einer sterbenden Schwergewichtsszene

Nachdem das professionelle Wrestling dem Boxen die Schau gestohlen und die Mixed Martial Arts ihm die Simulation realistischer Kämpfe abgenommen haben, bleibt dem einst zum Inbegriff elementarer Konfrontation verklärten Faustkampf wenig mehr, als sich verzweifelt gegen den Niedergang zu stemmen. Das gilt insbesondere für das desolat zu nennende Schwergewicht, das seinen Rang, den Weltmeister aller Klassen hervorzubringen, schon vor Jahren eingebüßt hat. Lobt man heutzutage den angeblich besten Boxer aller Limits aus, kürt man einen Akteur der leichten oder mittleren Gewichtsklassen, weil dort die hochwertigen, spektakulären und umsatzstarken Duelle ausgetragen werden.

Dominiert wird das Schwergewicht von den Brüdern Klitschko, die drei der vier maßgeblichen Titel besitzen und die Szene in einem Maße beherrschen, daß ihnen die angemessenen Herausforderer ausgegangen sind. Den ursprünglichen Plan, die USA zu erobern, haben die beiden längst aufgegeben. Vitali ist seit seiner Rückkehr in den Ring 2008 nur einmal in Los Angeles angetreten, Wladimir hat lediglich einen seiner acht Auftritte seit 2007 in den USA bestritten. Das hängt mit der grundsätzlichen Ignoranz des dortigen Publikums zusammen, das mit Akteuren aus anderen Kontinenten nichts anzufangen weiß, vor allem aber mit der tiefen Krise des US-amerikanischen Schwergewichtsboxens, das keine Kandidaten hervorbringt, die für das dortige Bezahlfernsehen von Interesse wären.

Die Klitschkos bestellen das europäische Feld und haben Deutschland, wo sie außerordentlich populär sind, zu ihrer Hochburg ausgebaut. Hier füllen sie Stadien mit 50.000 Zuschauern und die größten Hallen bis auf den letzten Platz, während der Privatsender RTL, dessen Engagement im Boxsport sich auf die beiden Publikumslieblinge beschränkt, mit Traumquoten rechnen kann. Gegen wen die Klitschkos antreten, ist demgegenüber nahezu gleichgültig, solange sie nur dafür sorgen, stets aufs neue die Illusion eines gefährlichen Herausforderers aufzublasen, die man ihnen bereitwillig abkauft.

Morgen tritt Vitali Klitschko in der ausverkauften Hamburger Multifunktionsarena an, in Kürze wird Wladimir in Mannheim den Kartenverkauf anheizen. Beide bekommen es mit Herausforderern zu tun, die ihnen das Wasser nicht reichen können. Der jüngere Klitschko nimmt sich am 11. Dezember in Verteidigung seiner Gürtel der Verbände WBO, IBF und IBO den außerhalb Englands bislang nahezu unbekannten Dereck Chisora vor, der als britischer Meister und Commonwealthchampion erst zwölf Profikämpfe bestritten hat. WBC-Champion Vitali setzt sich mit Shannon Briggs in Szene, der fast gleichaltrig, ihm aber hinsichtlich seiner körperlichen Verfassung klar unterlegen ist. Während der Ukrainer mit seinen 39 Jahren nicht zuletzt dank einer zwischenzeitlichen vierjährigen Pause und eines auf seine früheren Gebrechen ausgezeichnet abgestimmten Trainings gute athletische Qualitäten mitbringt, zehrt Briggs in erster Linie von seinem aus ferner Vergangenheit geborgten Ruf.

Der beste Kampf des US-Amerikaners liegt zwölf Jahre zurück. Im März 1998 brachte er den damaligen WBC-Weltmeister Lennox Lewis zunächst in große Schwierigkeiten, verlor jedoch im fünften Durchgang durch Knockout. Durch einen Glückstreffer in letzter Sekunde enthronte er im November 2006 den Weißrussen Sergej Liachowitsch als Champion der WBO, doch unterlag er bereits bei der ersten Titelverteidigung im Juni 2007 Sultan Ibragimow. Daraufhin legte Briggs eine Pause von zweieinhalb Jahren ein, bevor er wieder in den Ring zurückkehrte. Im Dezember 2009 besiegte er Marcus McGee in der ersten Runde, wurde aber positiv auf eine verbotene Substanz getestet. Er willigte ein, den Kampf "ohne Wertung" zu verbuchen, und wurde im Gegenzug von der New Yorker Boxkommission nur kurz suspendiert und mit einer milden Geldstrafe belegt. Darauf folgten zwei Siege gegen wenig bekannte Kontrahenten, wobei er zuletzt am 28. Mai seinem Landsmann Rob Calloway eine frühe Niederlage beibrachte.

Wenngleich man eine Überraschung nie restlos ausschließen kann, drängt sich doch der Eindruck auf, daß Briggs wegen seines Erinnerungen weckenden Namens engagiert wurde und mit einer vergleichsweise geringen Börse als für ihn dennoch attraktives Trostpflaster den Prügelknaben abgibt. Der immer wieder erhobene Vorwurf, die Klitschkos suchten sich "Fallobst" als Gegner aus, ist zumindest in dieser platten Form jedoch nicht haltbar. Sie haben alle geschlagen und das Feld derart abgeräumt, daß sie echte Probleme bekommen, überhaupt noch einen Herausforderer zu finden, der sich dem Publikum als Prüfstein andrehen läßt.

Der britische WBA-Weltmeister David Haye hat sich um seiner Karriere willen zweimal halbwegs elegant gedrückt und demoliert in Kürze seinen Landsmann Audley Harrison. Tomasz Adamek, den man als einzig verbliebenen Kandidaten mit gewissen Chancen bezeichnen könnte, zieht Aufbaukämpfe vor, bevor er sich an die physisch überlegenen Klitschkos wagt. Nikolai Walujew, der sich einer Operation unterzogen hat und erst im Frühjahr 2011 zurückzukehren hofft, ist vorerst außer Gefecht. Sein geplanter Kampf gegen Vitali Klitschko war an den überzogenen Forderungen Don Kings gescheitert, der 2,5 Millionen Euro Gage forderte und keinerlei Optionen unterschreiben wollte, wie Klitschkos Manager Bernd Bönte berichtet hat.

Ob es den Klitschkos gelingt, ihr erklärtes sportliches Ziel zu erreichen und alle vier maßgeblichen Titel im Schwergewicht in Familienbesitz zu nehmen, hängt von David Hayes Bereitschaft ab, sich mit einem von ihnen in den Ring zu wagen. Davon abgesehen bringen sie auch auf anderen Gebieten ihre Schäfchen ins Trockene. Vitali treibt im Nebenlauf seine politische Laufbahn in der Ukraine voran, wo die Klitschkos zudem eine Consulting-Firma zur Beratung von Unternehmen, die dort wirtschaftliche Interessen verfolgen, betreiben. Außerdem unterhalten sie Box-Promotionsgesellschaften in den USA und der Ukraine, wobei man über ihre tatsächlichen finanziellen Verhältnisse natürlich nur mutmaßen kann.

Wie es heißt, wird Wladimirs Vermögen auf 20 Millionen Euro und das seines Bruders Vitali auf 15 Millionen geschätzt, wobei offenbleibt, auf welchen Ausgangswerten diese Rechnung beruht. Jedenfalls scheint es den Klitschkos gelungen zu sein, sich im Haifischbecken der rivalisierenden Promoter erfolgreich selbständig gemacht und der drohenden Abstrafung durch die Platzhirsche zum Trotz ein ansehnliches Segment zur Mehrung ihre Pfründe gesichert zu haben.

15. Oktober 2010