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SPLITTER/407: Spekulationen um David Hayes unverhoffte Absage (SB)


Gaben am Ende finanzielle Erwägungen den Ausschlag?


Bekanntlich haben sich die Hoffnungen des britischen Schwergewichtlers David Haye zerschlagen, nach seiner verletzungsbedingten Absage des Kampfs gegen Wladimir Klitschko eine Verschiebung dieses Duells auf den 11. Juli zu erwirken. Wie der Ukrainer inzwischen bestätigt hat, verteidigt er seine Titel am 20. Juni in Gelsenkirchen gegen Ruslan Tschagajew aus dem Hamburger Universum-Boxstall. Es sei bedauerlich, daß David nicht antreten kann, sagte der Ukrainer. Nun freue er sich aber auf Ruslan, der WBA-Weltmeister und ein sehr erfahrener Gegner sei. Auch der Usbeke ist nach der maßlosen Enttäuschung des geplatzten Titelkampfs gegen Nikolai Walujew in Helsinki glücklich über diese unverhoffte Wendung, die ihm fast über Nacht ein Kräftemessen mit dem Wunschgegner der Schwergewichtsszene beschert hat: "Jetzt kämpfe ich vor 60.000 Zuschauern gegen Wladimir Klitschko und freue mich auf diese Kulisse ebenso wie auf die Gürtel, die ich mit nach Hause nehmen werde."

Für David Haye stand die angestrebte Herausforderung Wladimir Klitschkos von Beginn an unter keinem guten Stern. Eigentlich hätte der Kampf bereits im März oder April an der Stamford Bridge über die Bühne gehen können, doch kam es zunächst zu keiner Einigung über die Börse. Schließlich mußte der Brite Klitschko den Löwenanteil der Gelder überlassen und sich mit dem Fernsehpartner Setanta TV zufriedengeben, während der Weltmeister nicht nur die enormen Einkünfte in der Veltins Arena des FC Schalke 04 kassiert, sondern noch mehr beim deutschen Privatsender RTL und HBO in den USA einstreicht.

Wie die renommierte britische Tageszeitung "The Guardian" in ihrer Sonntagsausgabe berichtet hat, kursieren um Hayes überraschende Kampfabsage wegen einer Rückenverletzung Spekulationen, die sich an der angespannten Finanzlage Setantas festmachen. Der Sender schuldet der schottischen Premier League 3 Millionen Pfund und verlangte offenbar von David Haye, weitere Abstriche von seiner ohnehin schmalen Kampfbörse zu akzeptieren.

Jetzt ist der Brite zwar der Notwendigkeit enthoben, den ärztlichen Nachweis seiner Verletzung erbringen zu müssen, um einen Rechtsstreit mit dem Lager Klitschkos zu vermeiden, doch geht er in finanzieller Hinsicht nicht nur leer aus, sondern muß auch die Kosten seines Trainingslagers auf Zypern samt den Aufwendungen für die Betreuer und Sparringspartner bestreiten.

Wie letztere berichten, seien sie aus den Umständen der Kampfabsage nicht recht schlau geworden. David Price, der bei den Olympischen Spielen eine Bronzemedaille im Superschwergewicht gewonnen und danach einen Profivertrag bei David Hayes "Hayemaker Promotions" unterschrieben hat, plauderte gegenüber der Zeitung "Liverpool Echo" aus, er sei hinsichtlich der Verletzung Hayes zum Schweigen verdonnert worden. Da zuvor alles in bester Ordnung gewesen sei, habe ihn die Absage wie eine Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Der Liverpooler Boxer Tony Dodson gab zum besten, er und seine Teamkollegen seien von Haye ferngehalten worden, was er schon als seltsam empfunden habe. Allerdings habe sich David ja auf einen Kampf gegen den Weltmeister vorbereitet, was erklären könnte, warum er allein trainieren wollte. Genaueres wisse auch er nicht zu berichten, wobei er zutiefst davon überzeugt sei, daß David Haye bereit war, Wladimir Klitschko auszuschalten, und das eher früher als später auch tun werde. Hayes Trainer und Manager Adam Booth war für den "Guardian" telephonisch nicht zu erreichten.

Dafür brachte Richard Schaefer von den "Golden Boy Promotions", die Haye in den USA vermarkten, eine Option ins Spiel, die sich für den britischen Schwergewichtler als Glück im Unglück erweisen könnte. Schaefer sprach von einem möglichen Duell mit dem ungeschlagenen Puertoricaner Chris Arreola, der zu den wenigen amerikanischen Hoffnungsträgern in der Königsklasse zählt und in den USA die Kassen klingeln lassen könnte. Das sei ein Kampf nach seinem Geschmack, versicherte Schaefer der Website "BoxingScene", da es sich dabei um das aufregendste Duell in der aktuellen Schwergewichtsszene handle, welches attraktiver als Haye gegen Klitschko sei. Was das US-Geschäft betrifft, dessen Publikum mit europäischen Boxern selten etwas anzufangen weiß, dürfte diese Aussage durchaus zutreffen.

Allerdings ist Arreola zuallererst an einer Herausforderung Vitali Klitschkos interessiert, der als amtierender WBC-Weltmeister die wenig reizvolle Pflichtverteidigung gegen den Kasachen Oleg Maskajew loswerden möchte. Da der Ukrainer bislang beim WBC einen Stein im Brett hatte, ist nicht auszuschließen, daß der Verband einmal mehr dem Duft der Fleischtöpfe den Zuschlag gibt und sich diesbezüglich etwas einfallen läßt, um Klitschko einen finanziell vielversprechenderen Auftritt zu ermöglichen und dabei natürlich kräftig mitzukassieren. Eine Entscheidung des WBC wird in wenigen Tagen erwartet.

Muß Vitali Klitschko gegen Oleg Maskajew antreten, wird Arreola wohl Verhandlungen mit David Haye aufnehmen, zumal die "Golden Boy Promotions" des geschäftstüchtigen Oscar de la Hoya ihrem Namen alle Ehre zu machen und den beteiligten Boxern eine Goldgrube aufzutun pflegen. Lehnt Klitschko jedoch ohne Einvernehmen mit dem Verband einen Kampf gegen Maskajew ab, könnte der WBC-Titel vakant werden, um den dann voraussichtlich Chris Arreola und der Kasache kämpfen würden. Sicher ist also wie so oft im Boxgeschäft noch gar nichts, doch sieht David Haye in der aktuellen Finsternis seiner zerschmetterten Ambitionen immerhin einen Silberstreif am Horizont.

9. Juni 2009