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SPLITTER/400: Klitschko hält Nato-Beitritt derzeit für gefährlich (SB)


Ukraine in dieser Frage tief gespalten


Vitali Klitschko hatte im November 2004 die sogenannte Orangene Revolution in der Ukraine unterstützt. Er gehört heute zu den Beratern des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko und sitzt im Stadtrat von Kiew. In diesem Jahr kandidierte er zum zweiten Mal um das Amt des Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt und verlor erneut gegen seinen Konkurrenten Leonid Tschernowitzki.

In einem Interview mit ZEIT ONLINE vom 3.9.2008 äußerte sich Klitschko vor dem Hintergrund des Konflikts im Kaukasus zu der Frage einer möglichen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Er sprach sich gegen diese Option aus, jedoch nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern aus der taktischen Erwägung, daß dieser seines Erachtens opportune Schritt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu gefährlich wäre.

Wie der 37jährige zur Begründung anführte, hätten zu viele seiner Landsleute nach wie vor Propagandabilder des "bösen" Westmilitärs im Kopf, mit denen sie aufgewachsen seien.

"Mir leuchtet ein, was eine Mitgliedschaft in der Nato der Ukraine bringt - aber ich halte sie trotzdem für gefährlich. Die Ukraine ist in dieser Frage tief gespalten. Für die unter 30jJährigen mag ein Nato-Beitritt akzeptabel sein, für die Älteren aber nicht", sagte Klitschko.

Wie er berichtete, habe in seiner Kindheit ein riesiges Propagandaplakat von Nato-Soldaten direkt vor seinem Fenster gehangen. "Er hatte eine schreckliche Fratze, seine Hände waren voll Blut ... Beim Anblick des Plakates bekam ich jedes Mal einen Schrecken ... Unter dem Plakat stand geschrieben: 'Der Nato-Soldat will unsere Freiheit'."

Solche Bilder hätten viele Menschen in der ehemaligen Sowjetunion bis heute in ihren Köpfen, und an die Sowjetunion sei er während der Olympischen Spiele in Peking erinnert worden. "Man spürt die Macht und Stärke des Systems, man spürt aber auch Angst. Die Menschen haben Respekt vor dem Staat, aber dieser Respekt erwächst aus der Furcht. Genauso, wie es in der Sowjetunion war."

Nachdem er neben den Sowjets gleich noch die Chinesen abgewatscht hat, läßt sich Klitschko wenigstens im Zusammenhang mit dem Georgienkrieg nicht dazu hinreißen, hemmungslos ins Horn des Westens zu stoßen. Er warnt vor einer Verteufelung Rußlands und sieht für die Ukraine keine Gefahr einer Auseinandersetzung um die Krim. "Man kann natürlich alles sehr düster sehen und davon ausgehen, daß Rußland als Imperialmacht wiedererstarkt. Sicher ist es bedrohlich, wenn der eigene Nachbar sehr viel mächtiger ist, aber die Situation in der Ukraine ist mit Georgien nicht vergleichbar. Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren."

Daß die Brüder Klitschko auf der orangefarbenen Welle mitschwammen, die vom Westen finanziert und mit einem Engagement der CIA assoziiert wurde, korrespondierte durchaus mit ihrem Werdegang zu prominenten Sportstars, die ja in keiner Phase kritischen Geist oder rebellische Taten erkennen ließen, sondern sich durch opportunistischen Drang zu Paßförmigkeit und medienwirksamer Präsentation auszeichneten. Die Klitschkos gehörten im November 2004 zu den ersten Prominenten, die sich dem damaligen Oppositionschef Viktor Juschtschenko andienten.

Bald mußten die beiden jedoch erkennen, daß vorauseilende Anpassung an den vermeintlichen Trend dazu führen kann, daß man aufs falsche Pferd setzt. Der angebliche Volksaufstand gegen Wahlbetrug und Klüngelwirtschaft erwies sich als eine Reise nach Jerusalem auf der Regierungsbank, bei der die Stühle neu besetzt wurden, ohne daß sich an den Verhältnissen etwas Wesentliches geändert hätte.

In Anbetracht der weitverbreiteten Enttäuschung in der Bevölkerung wollte Klitschko im Wahlkampf 2006 auf Nummer sicher gehen und die Fahnen eines Wahlbündnisses hochhalten, das nicht mit den alten Seilschaften in Verbindung gebracht wurde. In der Konkurrenz um Einfluß und Pfründe wurde jedoch mit harten Bandagen gekämpft, die ihn überforderten.

Wenngleich man durchaus nachvollziehen kann, daß im ukrainischen Volk die Hoffnung auf ein besseres Leben Motor der Sympathie für die Farbe Orange gewesen war, so ließen die führenden Protagonisten dieses Kurswechsels doch keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, daß etwas anderes als ein neues Kapitel staatlicher Administration zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit aufgeschlagen wurde. Die alte Führung zum Teufel zu wünschen, ist eine Sache, doch wenn westliche Regierungen und einheimische Prominenz plötzlich an einem Strang ziehen, um eine Kehrtwende in Richtung Westen als Rettung aus aller Not anzupreisen, sind doch wohl Zweifel angebracht.

7. September 2008