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SPLITTER/387: Hirnschäden bei Boxern erst im Ansatz erforscht (SB)



Mehr Spekulationen als gesicherte Erkenntnisse

In der Debatte um mögliche Gefahren des Boxens für die Gesundheit der Sportler vermengen sich wissenschaftliche Erkenntnisse, landläufige Meinungen und hartnäckige Vorurteile zu einer zähen Mischung aus wenigen gesicherten Fakten und zahlreichen Mutmaßungen. Im Mittelpunkt der Kontroverse stehen natürlich Verletzungen des Gehirns, da deren langfristige Folgen als gravierendste Schädigungen anzusehen sind. Wenngleich man sicher darin übereinstimmen wird, daß häufige Schläge gegen den Kopf solche Risiken bergen können, ist ein systematischer Zusammenhang zwischen einer Boxerlaufbahn und bestimmten Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz jedoch keineswegs bewiesen.

Daß man auf Seiten des Boxsports dazu neigt, die Gefahren herunterzuspielen und zu ignorieren, liegt auf der Hand, zumal die dabei vertretenen Interessen ja keineswegs homogen sind. Wer selbst nicht den Kopf hinhalten muß, wird die Sache wohl etwas anders einschätzen, als der Boxer im Ring. Doch auch die Warner und Kritiker sind alles andere als frei von sachfremden Absichten und bornierten Kurzschlüssen. So kann die verbreitete Furcht vor körperlichen Auseinandersetzungen und die damit verbundene Überheblichkeit, daß es intelligente Menschen nicht nötig hätten, sich damit zu befassen, leicht zu der herablassenden Meinung führen, Boxer seien ohnehin dumm und prügelten einander auch noch den letzten Rest Verstand aus der Birne.

Nicht selten kommt Ignoranz aber auch im weißen Kittel daher. So wird in Kreisen der Ärzteschaft immer wieder die Forderung nach einem Verbot des Boxens erhoben, da es primitiv und lebensgefährlich sei, einen Sport zu betreiben, der auf die Schädigung des Gegners abzielt. Hier sei die Frage erlaubt, ob das nicht auch für andere Disziplinen gilt und letzten Endes nicht die Wertschätzung des Sports an sich in seinen verschiedenen Aspekten zu hinterfragen sei. Wer lautere Absichten wie die Sorge um das Wohl des andern für sich in Anspruch nimmt, sollte gründlicher nachfassen und konsequenter zu Werke gehen, als sich im administrativen Gefüge als Sachwalter selektiver Verbote anzudienen.

Experten wie der Radiologe Stefan Hähnel von der Universitätsklinik Heidelberg, die sich im Rahmen ihrer Forschung mit Hirnschäden bei Boxern befaßt haben, warnen vor Schnellschüssen und unangemessenen Schlußfolgerungen auf diesem Gebiet, das zwar reich an plausiblen Thesen, doch weit ärmer an Erkenntnissen sei, die man gemessen an gängigen wissenschaftlichen Standards für zutreffend halten kann. So sei beispielsweise die britische Ärztekammer seit Jahren ein Vorreiter eines kompletten Boxverbots im Amateur- und Profibereich. Die Ärztekammer behaupte, daß Boxen schwere Hirnschäden, Blutungen in Gehirn und Augen sowie Ohren- und Nasenverletzungen nach sich ziehe, wobei diese Erkrankungen bei Berufsboxern besonders häufig vorkämen. Woher die britischen Ärzte ihre Gewißheit nehmen, sei indessen keineswegs völlig klar.

Dabei weist Hähnel die Vermutung vieler Mediziner, daß Hirnblutungen Demenz oder die Parkinson-Krankheit auslösen können, nicht von der Hand. Was er jedoch einfordert, ist eine selbstkritische wissenschaftliche Arbeit, die ihre Thesen und Belege präzise ausweist. Diese Vorsicht im Umgang mit den Resultaten der eigenen Forschung läßt er bei der mit seinen Kollegen erstellten "Heidelberger Boxerstudie" walten. In Zusammenarbeit mit der Boxergruppe des Olympiastützpunkts suchte man nach winzigen Blutungen im Gehirn und verglich die Ergebnisse mit denen von Nichtboxern. Mit Hilfe der Kernspintomografie sollten Folgen starker Schläge auf den Kopf, die möglicherweise noch Monate oder Jahre später nachweisbar sind, erforscht werden.

Wie Hähnel erläutert, sei die Grenze zwischen grauer und weißer Hirnsubstanz besonders auffällig, da die beiden Bereiche eine unterschiedliche Dichte aufweisen. Folglich werden diese Substanzen bei schweren Erschütterungen unterschiedlich stark beschleunigt und neigen dazu, sich gegeneinander zu verschieben, was zum Einreißen kleinster Blutgefäße führen kann. Zudem pralle das Gehirn bei starken Schlägen gegen den Schädelknochen und werde dabei gequetscht.

Wie die Untersuchung von 42 Amateurboxern und 37 Nichtboxern ergab, fanden sich bei drei Faustkämpfern winzige Blutungen im Gehirn, die bei den Nichtboxern völlig fehlten. Während der Laie dies für ein eindeutiges Ergebnis halten mag, schränkt Hähnel ein, daß man zwar einen Trend gefunden, jedoch keinen statistisch bedeutsamen Unterschied belegt habe. Erforderlich seien erheblich größere Gruppen von Boxern und Vergleichspersonen. Auch weist der Leiter der Heidelberger Forschungsgruppe darauf hin, wie inhomogen die Gruppe der Boxer war, die dabei zusammengefaßt wurden. So hätten einige erst ein Jahr, andere hingegen bereits seit 25 Jahren geboxt. Manche Kämpfer hätten noch nie einen Knockout erlebt, andere bis zu zwölf. Ungeklärt sei überdies, ob im Profibereich nicht andere bedeutsame Faktoren zu berücksichtigen seien.

Hähnel verweist in diesem Zusammenhang auf eine Reihe weiterer Studien, die sich mit Hirnschäden bei Profisportlern befaßt haben. Untersucht wurden beispielsweise die Diffusionswerte im Gehirn, die Bildung von Narben im Gewebe oder die Gedächtnisleistungen. Dabei führten verfeinerte Untersuchungsmethoden dazu, verschiedene Aspekte von Mikroverletzungen herauszuarbeiten und die Forschung auf diesem Gebiet zu präzisieren. Erfreulicherweise versäumt es Hähnel auch dabei nicht, die Grenzen dieser Forschungsergebnisse zu nennen und vor unzulässigen Schlüssen und Übertragungen zu warnen.

22. Mai 2008