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SPLITTER/363: Nigel Benn stellt sich Geistern der Vergangenheit (SB)


Benefizbankett für Gerald McClellan in London

Vor zwölf Jahren ging Nigel Benn aus einem Boxkampf in London als Sieger hervor, nach dem sein Gegner lange im Koma lag. Gerald McClellan überlebte, doch bleibt er zeitlebens gelähmt und blind. Im Rahmen eines Festbanketts, dessen Erlös dem US-Amerikaner zugutekam, trafen die beiden ehemaligen Boxer erstmals wieder zusammen.

Benn, der heute an der Costa de la Calma auf Mallorca lebt, ist ein anderer Mensch geworden. Er wollte sich vor acht Jahren mit Schlaftabletten das Leben nehmen, wachte jedoch nach zwei Tagen wieder auf und ist seither ein wiedergeborener Christ. Von seinen früheren Einkünften, darunter auch den 700.000 Pfund für den Kampf gegen McClellan, ist nach Begleichung von Steuerschulden immerhin noch ein Teil übriggeblieben, während sein ehemaliger Gegner, der damals 40.000 Pfund erhielt, zum armen Mann wurde, da die Behandlungs- und Pflegekosten längst alle Rücklagen verschlungen haben.

Nigel Benn war seinerzeit ein gefürchteter Champion, der seinem Beinamen "The Dark Destroyer" alle Ehre machte. Er verdiente viel Geld und gab es mit vollen Händen für einen luxuriösen Lebensstil und diverse Eskapaden aus. Heute arbeitet er als Prediger auf Mallorca und will eine Kirche bauen. Lange hatte es gedauert, bis in einem Londoner Nobelhotel die Begegnung mit Gerald McClellan zustandekam. Dessen Schwester Lisa blieb lange skeptisch und wollte zunächst nichts mit Benn zu tun haben. Schließlich reiste der britische Fernsehregisseur Patrick Collerton als Vermittler mit dem Vorschlag in die USA, ein Buch Nigel Benns über den Kampf als Dokumentation zu verfilmen und den Erlös Gerald McClellan zu spenden. Von da an kamen die Gespräche langsam voran, und Lisa McClellan willigte schließlich ein, mit ihrem Bruder an dem Bankett teilzunehmen.

Benn besteht darauf, daß nicht Collerton oder sein Agent Kevin Lueshing die entscheidenden Impulse gegeben hätten. Mit den beiden habe das letztlich nichts zu tun, denn es sei ausschließlich Gottes Wille gewesen. Hätte Gott ihm das nicht eingegeben, wäre es nie dazu gekommen. Wie er weiter berichtet, läge er ohne die Hilfe seiner Frau Carolyne unter der Erde oder befände sich in der Psychiatrie. Inzwischen verstehe er allmählich, was für ein Leben er früher geführt und was er den Menschen in seinem engsten Umfeld damit angetan habe. Er lebte drei Jahre in Miami, achtzehn Monate in Los Angeles und fand schließlich auf Mallorca einen Ort, der ihm für sein Werk geeignet schien. Dabei sei er nie Mitglied einer Kirche gewesen und habe keinerlei Kenntnisse in Glaubensfragen besessen. Doch Gott habe ihm den Auftrag gegeben, und so hörten ihm heute die Menschen zu.

Andere hatten ihre eigenen Gründe und Motive, sich an dem Bankett zu beteiligen oder fernzubleiben. Viele haben seinerzeit am Londoner Kampf mitverdient. Allen voran Promoter Don King, der nicht an der Benefizveranstaltung teilnahm. Anwesend war jedoch der britische Promoter Frank Warren, der damals als Mitveranstalter fungierte. Aus den USA kamen nur die Boxer James Toney und Iran Barkley, wobei Roy Jones, Joe Frazier und Muhammad Ali Geld gespendet hatten. Hingegen nahm beinahe die gesamte Garde überragender britischer und irischer Boxer teil, um mit ihrem Eintrittsgeld von bis zu 150 Pfund etwas zum Hilfsfond für McClellan beizutragen: Chris Eubank, Steve Collins, Frank Bruno, Joe Calzaghe, Junior Witter, Naseem Hamed sowie zahlreiche weitere Boxer, Manager und Journalisten waren zugegen.

Vor fast 16 Jahren war Gerald McClellan erstmals nach London gekommen. Im November 1991 bestritt er einen Kampf in der Royal Albert Hall, schlug John "The Beast" Mugabe in der ersten Runde dreimal nieder und wurde neuer Weltmeister im Mittelgewicht. Vier Jahre später kehrte er in die britische Hauptstadt zurück, besser denn je und zugleich außerordentlich frustriert, da er nicht die Kämpfe bekommen hatte, die ihn reich und berühmt machen würden. Damals saß Mike Tyson im Gefängnis, und viele sahen in McClellan die nächste große Zugnummer der Branche. Er stand bei Don King unter Vertrag, der ihm für den Fall eines Sieges über Nigel Benn einen Kampf gegen Roy Jones versprach, der zu der Zeit als weltbester Boxer aller Gewichtsklassen bezeichnet wurde. Lisa McClellan ist jedoch noch immer fest davon überzeugt, daß Don King ihren Bruder in Wirklichkeit verlieren sehen wollte.

Jedenfalls trug diese Konstellation zu einem Klima extremer Feindseligkeit zwischen den Kontrahenten bei, die zu Werbezwecken hochgespielt wurde, jedoch weit darüber hinausging. Für beide stand so viel Prestige und Karriere auf dem Spiel, daß sie buchstäblich auf Leben und Tod kämpften. Sie prügelten zehn Runden lang gnadenlos aufeinander ein und waren schwer gezeichnet, als McClellan nach einem weiteren verheerenden Treffer schließlich nicht mehr auf die Beine kam, knieend ausgezählt wurde und gleich darauf in seiner Ecke besinnungslos zusammenbrach. Nach dem Kampf lagen die beiden in benachbarten Betten eines Londoner Krankenhauses. Während sich Benn nach einigen Stunden wieder bewegen konnte, kämpften die Ärzte um McClellans Leben. Benn bat seinen Gegner um Verzeihung, der ihn jedoch in tiefer Bewußtlosigkeit nicht hören konnte.

Für Nigel Benn war es ein schwerer Gang, dem Menschen wiederzubegegnen, den er im Ring beinahe totgeschlagen hätte. Beide haben sich seither grundlegend verändert, doch während der Brite ein neues Leben angefangen hat, das ihn erfüllt, lebt Gerald McClellan zurückgezogen in der Kleinstadt Freeport, 80 Meilen von Chicago entfernt. Er sitzt im Rollstuhl, sieht nichts, hört kaum etwas und viele seiner Hirnfunktionen gelten als irreversibel eingeschränkt.

21. Mai 2007