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SPLITTER/354: Der verlorene Sohn Muhammad Ali kehrt heim (SB)


Rückkehr nach Louisville erhitzt die Gemüter an seinem Geburtsort

Nach vierzig Jahren kehrt Muhammad Ali an seinen Geburtsort Louisville, Kentucky, zurück, wo die Rückkehr des verlorenen Sohns noch immer gemischte Gefühle hervorruft. Kürzlich erst kam es hier zu einer heftigen Kontroverse, als eine Straße nach Martin Luther King benannt werden sollte. Rassistische Ressentiments schlagen auch dem früheren Boxweltmeister entgegen, der einst an diesem Ort den Kriegsdienst verweigerte und damit für eine ganze Generation ein Zeichen setzte. In Veteranenverbänden und ihrem weiten Umfeld bezeichnet man ihn noch heute borniert als Drückeberger und Aufwiegler, wobei man geflissentlich ignoriert, daß der inzwischen 65 Jahre alte dreifache Schwergewichtsweltmeister längst keine feurigen Reden gegen die Rassenunterdrückung mehr hält, sondern allenfalls eine Friedensbotschaft verkündet, soweit das seine fortschreitende Parkinson-Krankheit überhaupt noch zuläßt.

In Louisville scheint sich in den zurückliegenden Jahrzehnten herzlich wenig geändert zu haben. Auch in jüngerer Zeit kam es mehrfach zu Zwischenfällen, bei denen weiße Polizisten auf unbewaffnete Schwarze geschossen haben, und noch immer lebt die weiße Bevölkerung meistenteils unter sich in den besseren Wohngegenden.

Ende 2005 wurde im Stadtzentrum für 80 Millionen Dollar das Muhammad Ali Center eröffnet, das der Lebensgeschichte, sportlichen Laufbahn und Überzeugungsarbeit des wohl berühmtesten Boxers aller Zeiten gewidmet ist. Als Cassius Clay hier seine Kinderzeit und Jugend verbrachte, durften Schwarze in diesem Viertel die meisten Restaurants nicht einmal betreten. Damals war es für sie so gut wie unmöglich, Häuser in weißen Wohngegenden zu bekommen.

Muhammad Ali, seine Frau Lonnie und ihr Sohn wollen eine Villa im East End beziehen, das zu den wohlhabendsten Gegenden Louisvilles gehört und fast ausschließlich von Weißen bewohnt wird. Ali selbst hat sich zu seiner Rückkehr bislang nicht geäußert, und auch sei Umfeld gibt sich sehr zurückhaltend, wohl um einer möglichen Kontroverse keine Munition zu liefern.

Dessen ungeachtet schlägt die Erwartung in Louisville hohe Wellen, wobei man neben entschiedenen Gegnern auch viele Befürworter findet, die sein Vorhaben ausdrücklich begrüßen. Der alte Streit liege so weit zurück, und vieles habe sich seither geändert, betonen nicht nur schwarze Bürger, die nicht zuletzt um den Ruf ihrer Stadt besorgt sind. Es ist kein Geheimnis, daß die Pläne zur Gründung des Museums an diesem Ort vor allem von auswärtigen Kräften unterstützt wurden, während man in Alis Geburtsstadt allenfalls halbherzig zustimmte. Wie der Direktor des Muhammad Ali Centers, Michael J. Fox, berichtet, sei die Akzeptanz mittlerweile jedoch spürbar gewachsen.

Nach dem Gewinn der Goldmedaille im Halbschwergewicht bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom lehnte Cassius Clay es ab, die Rolle des dankbaren und willfährigen schwarzen Sportlers zu spielen. Als er vier Jahre später zur Nation of Islam konvertierte, ging dies selbst vielen schwarzen Bürgern zu weit. Und schließlich machte er sich mit seiner Verweigerung des Kriegsdienstes um so mehr Feinde, zumal zu diesem Zeitpunkt der Mainstream der Bürgerrechtsbewegung noch nicht gegen den Vietnamkrieg Position bezogen hatte.

Halbwegs im Süden und halbwegs im Mittleren Westen gelegen, schien Louisville alle konservativen Strömungen des Landes in sich zu vereinen. Ali war für diese Bürger zwangsläufig ein rotes Tuch, und viele klatschten hier begeistert Beifall, als man ihm das Recht zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründung absprach, ihn seines Weltmeistertitels beraubte und mehrere Jahre vom Boxsport ausschloß. Erst 1971 revidierte der Oberste Gerichtshof das Urteil.

Als die Rassentrennung offiziell aufgehoben wurde, verlagerte sich die Diskriminierung aus dem öffentlichen Sektor in die Privatsphäre, nur um sich dort desto hartnäckiger festzusetzen. Georgia Powers, die einst die erste schwarze Senatorin des Bundesstaats Kentucky war, hält dennoch die Zeit auch in Louisville für gekommen, Muhammad Ali bei seiner Rückkehr willkommenzuheißen. Es sei eben die alte Geschichte vom verlorenen Sohn, meint Powers, deren Familie seinerzeit nur wenige Häuser von dem des jungen Cassius Clay entfernt an der Grand Avenue im West End lebte.

25. März 2007