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FRAGEN/008: Michael Meuser - »Der neue Vater entpuppt sich erst« (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

»Der neue Vater entpuppt sich erst«

Interview mit Michael Meuser von Birgit Taffertshofer


Gibt es sie wirklich, die modernen Väter, die sich von der Rolle des Familienernährers verabschieden? Geschlechtersoziologe Michael Meuser über die Hartnäckigkeit tradierter Verhaltensmuster und über Möglichkeiten, sie zu überwinden


DJI Impulse: Herr Meuser, wie wichtig ist jungen Vätern heute Gleichberechtigung in der Partnerschaft?

Michael Meuser: Viele junge Männer streben danach, aber beim ersten Kind fallen Väter wie Mütter meist in traditionelle Rollen zurück: Der Vater verdient das Geld, die Mutter erzieht die Kinder. Das hat zunächst mit ökonomischen Abwägungen zu tun: Oft sind Männer bei der Familiengründung älter als Frauen, dadurch beruflich stärker gefestigt, und sie verdienen allein schon wegen der geschlechtsspezifischen Berufswahl häufig besser.


DJI Impulse: Vor allem finanzielle Ursachen zwingen Paare also dazu, nach der Geburt des ersten Kindes ihre Ideale von Gleichberechtigung zu verwerfen?

Meuser: Mindestens genauso entscheidend sind tradierte Rollenmuster. Die Paare sind in jahrhundertealten Vorstellungen verhaftet, was Weiblichkeit und was Männlichkeit ausmacht. Und sie spüren ähnliche Erwartungen in ihrem Lebensumfeld - vonseiten ihrer Eltern, den Schwiegereltern, den Freunden und so weiter. Deshalb können sie auch relativ reibungslos in traditionelle Rollenmuster zurückkehren, selbst wenn sie vorher ein anderes Ideal verfolgt haben.


DJI Impulse: Erzeugt das nicht viel Frust bei den Eltern, wenn Wunsch und Wirklichkeit plötzlich so weit auseinanderklaffen?

Meuser: Häufig finden sie Erklärungen, die ihre eigenen Ansprüche auf Gleichberechtigung nicht infrage stellen. Zum Beispiel betonen Väter, dass sie selbstverständlich bereit gewesen wären, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, wenn die Frau mehr verdienen würde. So wird der Schein der freien Wahl gewahrt, was wiederum zum eigenen Zufriedensein beiträgt.


DJI Impulse: Der verstorbene Soziologe Ulrich Beck attestierte den Männern bereits Mitte der 1980er-Jahre ironisch »verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre«. Im ersten Moment könnte man meinen, es handle sich um eine Zustandsbeschreibung der heutigen Zeit.

Meuser: Tatsächlich existiert noch immer diese große Diskrepanz zwischen Anspruch und Verhalten - aber von Verhaltensstarre kann trotzdem keine Rede sein. Traditionelle männliche Rollen wie das strenge Oberhaupt der Familie, das über Frau und Kind bestimmt, haben sich aufgelöst. Die Männer der 68er-Generation haben hier sicher einen entscheidenden Beitrag geleistet. Aber auch das Bild des abwesenden Vaters trifft heute nicht mehr zu: Während ein Kind vor 30 Jahren seinen Vater oft nur als weggehenden und nur für das Besondere zuständigen Mann erlebte, sind heute viele Väter daheim sehr präsent.


DJI Impulse: Aber den Großteil der Arbeit im Haushalt und in der Familie erledigen immer noch die Frauen.

Meuser: Das stimmt, aus Zeitbudget-Studien ist bekannt, dass Mütter das 1,5-fache an Zeit in die Kinderbetreuung investieren. Das bedeutet aber auch, dass Väter keineswegs nichts tun. Es widerlegt vielmehr das verbreitete Zerrbild vom Vater, der sich in die Berufswelt flüchtet, um dem anstrengenden Familientrubel zu entkommen. An den Wochenenden verbringen Väter inzwischen sogar genauso viel Zeit mit ihren Kindern wie Mütter. Dies hat sich in den vergangenen Jahren sehr gesteigert, wenngleich Frauen unter der Woche immer noch viel mehr für die Familie und den Haushalt leisten. Aus Untersuchungen zu Doppelkarrierepaaren weiß man im Übrigen: Selbst wenn beruflich zwischen beiden Elternteilen vollkommene Egalität herrscht - wer letztendlich dafür sorgt, dass parallel zu den beiden Arbeitsstellen auch noch die Haushalts- und Familienarbeit organisiert wird, ist ganz überwiegend die Frau.


DJI Impulse: Warum akzeptieren Frauen das scheinbar bereitwillig?

Meuser: Im traditionellen Familienmodell besitzt die Frau die Definitionsmacht in der Familie. Noch immer wird ihr die größere Kompetenz in der Kinderbetreuung zugeschrieben. Wenn der Vater sich wirklich ernsthaft an der Kinderbetreuung beteiligen will, kann sie das auch als Bedrohung empfinden.


DJI Impulse: Die Mütter wollen in Wahrheit also gar nicht, dass sich die Väter mehr in Familie und Haushalt einbringen?

Meuser: Doch! Sie schätzen das Engagement ihres Partners. Gleichzeitig aber wollen sie den Rahmen bestimmen, in dem der Mann die Rolle des Vaters ausfüllt. Man muss dieses Phänomen, das »mütterliches Gatekeeping« genannt wird, im Zusammenhang mit über Jahrhunderte eingeschliffenen Routinen und Verhaltensmustern sehen, die sich nicht so schnell überwinden lassen. Das trifft gleichermaßen auf die Männer zu, die sich immer noch hauptsächlich als Ernährer ihrer Familie sehen.


DJI Impulse: Was macht den »neuen Vater« dann überhaupt aus?

Meuser: Das ist schwierig zu definieren. Der neue Vater entpuppt sich erst. Klar ist bislang nur, was er nicht sein soll: Alleinernährer der Familie. Dieses Vaterschaftsverständnis ist gesellschaftlich inzwischen stark abgewertet. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, dass sich die Lebensführung von Frauen verändert hat. Mütter sind heute überwiegend berufstätig. Das schafft andere Bedingungen, die letztlich erfordern, dass Männer sich stärker in Familie und Haushalt engagieren. Dennoch bleibt unklar, welches neue Leitbild für Väter gilt, denn unsere Vorstellungen von Männlichkeit und Vaterschaft werden komplexer. Neue Ansprüche an den Vater werden ergänzt, aber nicht zu einem neuen Leitbild verbunden.


DJI Impulse: Trifft das für alle sozialen Milieus zu?

Meuser: Nein, junge Männer aus prekären Verhältnissen halten oft verstärkt an traditionellen Rollenmustern fest. Doch viele von ihnen werden wegen ihrer schlechten Qualifikationen in Zukunft Schwierigkeiten haben, die Rolle des männlichen Allein- oder Hauptverdieners zu übernehmen. Um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern, reicht hier ein kleiner Zuverdienst der Frau nicht mehr aus. Das hat Konsequenzen für die Position des Vaters. Bei der Untersuchung des Wandels der Vaterrolle darf man sich deshalb nicht auf einzelne soziale Milieus beschränken.


DJI Impulse: Sie meinen, die Forschung konzentriert sich bisher zu sehr auf die Mittelschicht?

Meuser: In der Wissenschaft nahm man lange an, dass Veränderungen der Geschlechterverhältnisse von der gebildeten Mittelschicht ausgehen. Da bin ich skeptisch. Zwar wird dort Gleichberechtigung stark propagiert, aber die Diskrepanz zu den tatsächlichen Alltagspraktiken ist besonders hoch. Im Milieu von Facharbeitern oder von einfachen Angestellten hingegen finden sich Lösungen, die sehr viel pragmatischer und oft auch gleichberechtigter sind - ganz einfach deshalb, weil die Betroffenen gar keine Wahl haben. Das zeigen beispielsweise amerikanische Studien, die Familien untersucht haben, in denen beide Elternteile Schichtarbeit verrichten. Diese Frauen und Männer verstehen sich keineswegs als Pioniere der Geschlechtergleichheit, sondern entwickeln aus den Erfordernissen der Situation heraus Routinen, die einer egalitären Aufteilung der Familien- und Hausarbeit sehr nahe kommen: Wenn die Frau bei der Arbeit ist, übernimmt der Mann die Aufgaben in Familie und Haushalt - und umgekehrt. Diese veränderte Arbeitsteilung wird natürlich an die nächste Generation weitervermittelt.


DJI Impulse: Der Wandel der Vaterrolle vollzieht sich also aus der Not heraus, weil immer öfter beide Elternteile das Familieneinkommen verdienen müssen?

Meuser: In einem gewissen Maße wird das so sein, dass Männer aus reinem Pragmatismus »neue Väter« werden. Aber die Politik kann natürlich zusätzliche Strukturen schaffen, die Anreize für eine egalitäre Arbeitsteilung geben. Das ist zuletzt geschehen durch den Ausbau der Kita-Plätze in Westdeutschland und die Einführung des Elterngelds einschließlich der zusätzlichen zwei Monate, der sogenannten Vätermonate. Auch wenn die meisten Männer momentan nur zwei Monate in Elternzeit gehen, entwickeln sich dadurch neue Selbstverständlichkeiten. Ihre Beteiligung an der Kinderbetreuung wird etwas Normales - übrigens auch für ihre Vorgesetzten und Kollegen in den Unternehmen. Wissenschaftliche Studien weisen zudem darauf hin, dass Männer, die in Elternzeit waren, auch später mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen. Das zeigt, wie die Politik Einfluss nehmen kann.


DJI Impulse: Längere Erziehungspausen oder das Ansinnen von Männern, die Erwerbsarbeit zu reduzieren, stoßen in der Berufswelt aber noch immer hochgradig auf Unverständnis.

Meuser: Viele Arbeitgeber sind nach wie vor nicht bereit, Eltern mehr Flexibilität zu ermöglichen. Zwei gleichwertig beschäftigte Eltern mit kleinen Kindern - dieses Modell ist bislang tatsächlich sehr selten.


DJI Impulse: In Skandinavien richtet sich Familienpolitik seit den 1970er-Jahren auch an Väter. Was könnte man in Deutschland von diesen Ländern lernen?

Meuser: In Schweden gilt Gleichberechtigung inzwischen als hoher Wert und prägt auch die Arbeitskultur. Das bedeutet zum Beispiel, dass Besprechungen nicht mehr nach 17 Uhr angesetzt werden und die Arbeitgeber von ihren Beschäftigten insgesamt weniger Präsenz verlangen. Damit wurden in den vergangenen 40 Jahren Möglichkeiten für Eltern geschaffen, in der Familie präsent zu sein. Es ist aber auch so, dass in Skandinavien das Idealbild männlicher Hegemonie, also der männlichen Dominanz, historisch deutlich weniger stark verankert ist als in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Die historischen Voraussetzungen für eine Gleichberechtigung in der Partnerschaft waren dadurch günstiger.


Zur Person

Prof. Dr. Michael Meuser ist Professor für Soziologie der Geschlechterverhältnisse an der Technischen Universität Dortmund und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Jugendinstituts (DJI). 2004 hat er den Helge-Pross-Preis der Universität Siegen für herausragende Forschungen auf dem Gebiet der Soziologie der Geschlechter erhalten.

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S.
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/6 23 06-140, Fax: 089/6 23 06-265
Internet: www.dji.de, www.dji.de/impulse
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2016

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