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BERICHT/031: Krieg um die Köpfe - Ducken, warten, Daten sammeln ... (SB)


Resilienz - Chiffre sozialer Kapitulation

Vortrag am 7. März 2015 an der Freien Universität Berlin

"Krieg um die Köpfe - Der Diskurs der Verantwortungsübernahme"
Kongreß der Neuen Gesellschaft für Psychologie vom 5. bis 8. März 2015 in Berlin


"Gelobt sei, was hart macht!" - was Friedrich Nietzsche einst mit der Forderung, jetzt müsse "das Mildeste an dir noch zum Härtesten werden", denn wer "sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen Schonung", zur Maxime erfolgreichen Überlebens erhob, warf schon vor 130 Jahren einen fahlen Lichtschein auf die Verabsolutierung des ökonomischen Nutzens im Neoliberalismus. "Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig - fließt!" hieß es im nächsten Satz dieses Zitats aus dem epochalen Werk "Also sprach Zarathustra", und nichts anderes verkünden die sozialdarwinistischen Vordenker einer Welt, deren knapper werdende Ressourcen durch die Einspeisung in ihren vermeintlich lohnendsten Verwertungszweck zählbar gemacht werden.

Auch wenn es heute niemand mehr so direkt in einer vom NS-Regime kontaminierten Sprache sagen will, ist der Imperativ der Abhärtung allgegenwärtig. Ihm wird beim Eisenstemmen in den Fitness-Studios der Republik ebenso gehuldigt wie bei der Bundeswehr, wo der "archaische Kämpfer" analog zum leistungsoptimierten Wettbewerber auf dem Markt der Lohnarbeit Maß aller erfolgversprechenden Dinge ist. Nicht viel besser sieht es in den Sozialwissenschaften aus, wo das in den 1950er Jahren in die Psychologie eingeführte Konzept der Resilienz Furore macht. Der ursprünglich aus der Physik stammende und aus Lateinisch "resilire" für "Abprallen, Abfedern" entwickelte Begriff bezeichnet im weitesten Sinne die Entwicklung von Fähigkeiten zur Krisenbewältigung aus einer Situation der Belastung heraus, was im besten Fall mit konkreten Lerneffekten einhergehen soll. Dem ursprünglichen Wortsinn gemäß wird auch von der Fähigkeit, eine Störung abzufedern, gesprochen, von einem System flexibler Stabilität, das in der Lage ist, äußeren Einflüssen im Sinne des Eigenerhalts dadurch zu entsprechen, daß die ursprüngliche Ausgangslage wiederhergestellt wird.

Die Ausgangslage als solche wird in diesem Konzept jedoch nicht in Frage gestellt. Welche Defizite und Krisen die Menschen auch immer umtreiben, bei der Entwicklung von Resilienz geht es allein darum, mit diesen Herausforderungen auf optimale Weise zurechtzukommen. Somit handelt es sich um eine zutiefst positivistische und affirmative Strategie, setzt sie doch die grundsätzliche Akzeptanz von Mißständen voraus, anstatt die Frage zu stellen und zu entwickeln, wie zu verhindern wäre, daß Menschen überhaupt erst in eine lebensbedrohliche Schieflage geraten. Zweifellos wirft die unmittelbare Problembewältigung technische Fragen aller Art auf und verlangt nach konkreten Antworten auf diese. Die Verallgemeinerung situativer Analysen und Schlußfolgerungen zu einem abstrakten Konzept sozialstrategischer Ermächtigung trägt jedoch dazu bei, administrative Lösungen zu legitimieren, die die Funktionseliten in Staat und Gesellschaft aus der Verantwortung entlassen, für eine Welt zu kämpfen, in der Solidarität mit Mensch und Natur an die Stelle einer im Kern sozialdarwinistisch bestimmten Resilienz tritt. Letzeres ergibt sich aus der Funktionslogik kapitalistischer Vergesellschaftung, bleibt diese doch stets dem abstrakten Nutzen einer Kapitalverwertung verpflichtet, demgegenüber individuelle Notlagen auf eine Weise rechenschaftspflichtig gemacht werden, die selbst die erstrebenswerte Qualität selbstbestimmten Handelns als "eigenverantwortliches" Kompensieren gesellschaftlicher Mißstände ins Reaktionäre kehrt.


Im Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Thomas Gebauer
Foto: © 2015 by Schattenblick

Eigenverantwortlich unterwerfen ...

Die neoliberale Zurichtung des Menschen auf "Eigenverantwortung" ist auch das Stichwort für den Psychologen Thomas Gebauer, der als Geschäftsführer der sozialmedizinischen Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international über umfassende Kenntnisse in der Praxis staatlichen wie zivilgesellschaftlichen Krisenmanagements verfügt. Auf dem diesjährigen Kongreß der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) zum Thema "Krieg um die Köpfe - Der Diskurs der 'Verantwortungsübernahme'" analysierte Gebauer in seinem Vortrag über "Resilienz im neoliberalen Diskurs der 'Eigenverantwortung' aus der Sicht einer Hilfsorganisation" den Verfall des Prinzips gesellschaftlicher Verantwortung im Sinne ihrer Rückbindung an informelle soziale Strukturen wie Familien oder Nachbarschaften. Da sich an diese keine Rechtsansprüche richten lassen, konstatiert Gebauer die Entwicklung eines völlig neuen Staatsverständnisses, das sich von der gesellschaftlichen Aufgabe, die Menschenrechte zu verwirklichen, immer weiter entferne.

Für den Referenten nimmt sich das Konzept der Resilienz wie ein neuer Stern am Himmel nicht nur der Erziehungswissenschaften und der Psychologie, sondern auch der Organisationsberatung, der Entwicklungszusammenarbeit und sogar der Sicherheitspolitik aus. Wie er anhand der umfassenden Präsenz des Begriffs im Internet darlegt, hat er fast den Charakter eines Allheilmittels für die Bewältigung der Krisen und Probleme in der heutigen Welt angenommen. Nicht von ungefähr sei diese Entwicklung in die neoliberale Hegemonie eingebettet, deren Stoßrichtung, gesellschaftliche Verantwortung in die Sphäre des Privaten abzudrängen, das Konzept Resilienz aufs paßförmigste entspricht. Die Behauptung, die Bundesrepublik müsse mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen, liege auf der gleichen Linie einer zunehmenden Verantwortungslosigkeit im Sozialen und stehe daher nicht im Widerspruch zur Forderung nach mehr Eigenverantwortung, denn beides sei Ausdruck einer Politik, die sich voll und ganz der herrschenden kapitalistischen Ökonomie ausgeliefert hat.

Mit einem Blick auf die humanitäre Krise in Griechenland spricht Gebauer von einem System sozialpolitischer Verantwortungslosigkeit, das sich zu seiner Rechtfertigung mehr und mehr auch des Resilienzkonzepts bediene. Um dies zu dokumentieren, präsentiert der Referent einige Beispiele aus dem großen Angebot an kommerziellen Resilienz-Trainingsprogrammen. Sie versprechen dem einzelnen Menschen oder Berufstätigen etwa, als "persönlicher Schutzschild gegen Streß und Burnout" zu dienen oder "das Geheimnis der sogenannten Stehaufmenschen" zu lüften, "die selbst aus schwierigen Situationen und Niederlagen noch gestärkt hervorgehen".

Was auf dem in Krisenzeiten besonders boomenden Markt der Lebenshilfeangebote wohlfeil ist, ist auch der Politik nicht zu teuer, wie das Erste Resilienz-Forum der EU-Kommission 2014 in Brüssel zeigte. Als vorbildliches Beispiel für die Selbsthilfe, die Menschen in Abwesenheit staatlicher Zuständigkeit ergreifen müßten, wurde dort eine in küstennahen Dörfern Bangladeschs getroffene Maßnahme zur Abwehr von Flutschäden geschildert. Die Bevölkerung habe von der Hühner- auf die Entenzucht umgestellt. Nur weil Enten schwimmen können, müsse das für die von Überflutungen betroffenen Menschen kein Trost sein, so der Referent.

Von besonderem Interesse für die Absicht der NGfP-Konferenz, die Militarisierung der Gesellschaft nicht kritiklos hinzunehmen, ist das seit 2008 laufende Comprehensive Soldier and Family Fitness Program der US Army. Es soll einer Million Soldatinnen und Soldaten dazu verhelfen, traumatische Erlebnisse positiv anzunehmen, um sie für persönliche Reifeprozesse und damit zur Stärkung ihrer Resilienz einzusetzen. Dadurch, daß negative Gefühle affirmativ umgedeutet werden, soll schließlich eine unbezwingbare Armee von immenser Kampfkraft entstehen.

Gebauer vermutet, daß die Übertragung eines Begriffs wie den der Resilienz von einem Bereich der Wissenschaft auf einen anderen die Gefahr in sich birgt, komplexe Zusammenhänge auf unsachgemäße Weise zu vereinfachen. Das könne auch der Grund für die Entuferung der Anwendung dieses Konzepts sein, dessen ursprünglichen Ansatz in Psychotherapie und Pädagogik, die gesunden seelischen Kräfte von Menschen zu stärken, er durchaus für begrüßenswert hält. Problematisch sei allerdings die Reduktion des Begriffs auf eine individuelle Bewältigungskompetenz. Wenn von einer Art immunisierender Persönlichkeitseigenschaft ausgegangen werde, die es lediglich zu wecken und zu trainieren gelte, sei es eben nicht mehr erforderlich, gesellschaftliche Mißstände zu kritisieren, um Menschen vor ihren negativen Auswirkungen zu schützen.

Er begrüße durchaus den Ansatz, das Augenmerk weniger auf Erziehungsdefizite und mehr auf die Ressourcen zu richten, die Menschen für eine gute Entwicklung brauchten. Dies vermeide eine mögliche Stigmatisierung und fördere die Entwicklung von Autonomie, Selbstverantwortung und Kompetenz. Dieses Vorgehen laufe aber gleichzeitig Gefahr, die Beseitigung sozialer Mißstände nicht mehr über die Aufstockung ohnehin überlasteter öffentlicher Budgets zu vollziehen, sondern an die Förderung von Ressourcen zu delegieren, über die der Mensch von Haus aus verfüge. Dabei könnten die Voraussetzungen für positive gesellschaftliche Entwicklungen wie ein gut ausgestattetes Bildungssystem, individuelle Anerkennung und soziale Gleichheit aus dem Blick geraten.

Indem der Resilienzansatz auch anhand vieler Publikationen aus dem Bereich der Lebenshilfe- und Ratgeberliteratur Antworten auf Probleme zu geben scheine, die mit Ängsten und negativen Gefühlen aller Art besetzt sind, adressiere er im Grunde das wachsende Unbehagen an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Ambivalenz des Resilienzkonzepts, so Gebauer, bestehe darin, daß es auf dieses Unbehagen antworte und zugleich die Verhältnisse, die es hervorrufen, nähre. Während die großen Freiheits- und Glücksversprechen der Moderne für eine wachsende Zahl von Menschen notwendig unerfüllt blieben, würden alle, auch die privaten Bereiche des Lebens, einer von Marktwirtschaft und Verwaltung vorgegebenen Zweckrationalität unterworfen. Was Jürgen Habermas als Kolonisierung der Lebenswelt beschrieb, sei seiner Ansicht nach auch der Grund für das wachsende Unbehagen.

Wo sich der Homo sapiens in einen Homo oeconomicus verwandelt, der seine Interessen, seine Beziehungen und sein Verhalten an betriebswirtschaftlichen Überlegungen ausrichtet, wo das unternehmerische Selbst den Menschen auf sein ökonomisches Kalkül reduziere, da verliere er seine emotionale Verankerung. Weder gebe es heute noch jene soziale Sicherheit, aus der heraus sich das eigene Leben angstfrei in die Hand nehmen läßt, noch können die einzelnen die strukturellen Vorgaben der Marktwirtschaft und Verwaltung, innerhalb derer sie als Unternehmer in eigener Sache tätig werden sollen, wirksam beeinflussen.

All das löse Angst aus, die abgewehrt werden müsse und auf Entschädigung dränge. Neben dem rastlosen Konsum fetischisierter Ware verspreche die Suche nach Identität, für die es aber kaum noch feste Bezugspunkte gebe, Entlastung. Aus dieser Suche resultiere ein eher flackerndes Bewußtsein, dessen inneres Gesetz die Unruhe selbst ist. Eben diese Unruhe sei hochgradig systemkonform, so Gebauer. Das Gefühl einer inneren Getriebenheit korrespondiere perfekt mit der Allgewalt eines Marktes, dessen flüchtige Bilderwelt eine ebenso flüchtige, aber permanente Bewegung erfordere. Unter diesen Umständen könne es nicht verwundern, daß sich Erschöpfung und Depression breit machten.

Was geschieht nun in einer Welt, in der die Menschen an der Vergeblichkeit unerreichbarer Ideale scheitern, sich ihre Verlust- und Versagensängste zu einem niederdrückenden Lebensgefühl verdichten und sie sich in narzistische Allmachtsphantasien flüchten? Im Ausschalten von Skrupeln und der Identifikation mit dem gesellschaftlich propagierten Ideal des Siegertyps verortet Gebauer die Schnittstelle zu einem Prototyp von Resilienz, der die Chance zur Selbstfindung auch in noch so traumatischen Erfahrungen erkennen und nutzen kann. Jener Charakterpanzer, dessen therapeutisches Aufbrechen Wilhelm Reich zum Mittel psychischer Gesundung erhob, werde in vielen der heutigen Resilienzprogramme im Gegenteil regelrecht aufgebaut.

Gebauer will dies nicht jeder pädagogischen oder therapeutischen Praxis, die sich auf Resilienz bezieht, unterstellen. Ihm geht es vielmehr darum, deutlich zu machen, wie das Konzept der Resilienz im Kontext der neoliberalen Transformation von Gesellschaftlichkeit mißbraucht wird. Die Idee, man könne traumatischen Erfahrungen über Resilienztraining präventiv begegnen, sei längst der militärischen Ideologie entsprungen und in das allgemeine Leben vorgedrungen. Nicht mehr die Gestaltung menschenwürdiger Existenzvoraussetzungen sei das Ziel vieler Resilienzprogramme, sondern die Anpassung der Menschen an eine mehr und mehr versagende Welt durch Selbstoptimierung und den Aufbau von Schutzschildern. Wer dazu nicht bereit sei, werde zu entsprechenden Lektionen genötigt, erklärt der Referent unter Verweis auf moderne Ansätze im Umgang mit schwer erziehbaren Kindern, aber auch der ganz normalen Pädagogik.

Damit kam Gebauer auf einen entscheidenden Punkt im Diskurs der Eigenverantwortung zu sprechen, nämlich die Bezichtigung des Menschen, an seiner Misere selbst schuld zu sein. In der Boulevardpresse gelten Armut, Bildungsferne, aber auch die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben längst als selbstverschuldet. Die Menschen hätten es schlicht versäumt, sich ihren Möglichkeiten gemäß durchzusetzen. Dieser massenwirksam verbreiteten Ansicht sei allerdings entgegenzuhalten, daß der Appell zur Eigenverantwortung gerade zu einem Zeitpunkt aufkam, als sämtliche Entwicklungschancen dazu systematisch unterhöhlt wurden. Gegen mehr Selbstbestimmung sei aus emanzipatorischer Sicht nichts einzuwenden, so Gebauer in Richtung eines Publikums, das einmal mit der Forderung nach Autonomie auf die Straße gegangen ist. Durch die Kolonisierung der Lebenswelt sei diese Forderung jedoch gegen sich selbst gewandt worden. Die Zurückweisung staatlicher Gängelung habe sozusagen in eine Form repressiver Emanzipation, die für viele Menschen quasi nichts anderes brachte, als vogelfrei zu werden, umgeschlagen.

Resilienz sei mithin zu einer Art Schlüsselwort für die heutigen Verhältnisse geworden, das auch in den globalen Bemühungen um Krisenbewältigung, Katastrophenschutz und Entwicklungszusammenarbeit eine zentrale Rolle spiele. Da Politik kaum noch über ein reaktives Krisenmanagement hinausreiche, gelte Resilienz als zweckmäßigste Waffe gegen die herrschende Krisendynamik. Während Vorsorgemaßnahmen und Nothilfe selbstverständlich geleistet werden müssen, wäre es jedoch absurd, wenn daraus die Legitimation erwachse, nichts mehr gegen die Ursachen von sozialen und ökologischen Krisen tun zu müssen. So blieben die Bedingungen sozialer Katastrophen wie die Zerstörung traditioneller Lebensräume durch global agierende Agrar- und Rohstoffkonzerne unreguliert, um anstelle dessen mit Hilfe des Aufbaus lokaler Bewältigungskapazitäten die Folgen einer ungebremsten Zerstörungspraxis besser abfedern zu können.

Auch in der globalen Finanz- und Wirtschaftspolitik werde stark auf Resilienz gesetzt, weil so unter vermeintlich geringem Einsatz von Geld und Material große Erfolge etwa bei der Armutsbekämpfung erzielt werden könnten. Es sei nur ein wenig Training notwendig, vielleicht hier und da ein paar Ratschläge und Motivationshilfen, so die Ansicht der Funktionäre einer Global Governance, die den Anspruch, Krisenbewältigung im demokratischen Sinne von unten zu vollziehen, längst zugunsten der ihnen vertrauten, unternehmerischem Denken entlehnten Managementprinzipien aufgegeben haben. Wenn dieses Vorgehen immer wieder in sozialen Krisen wie zum Beispiel in Griechenland resultiert, wie Gebauer kritisch anmerkt, dann, so könnte man schlußfolgern, tritt erst recht Handlungsbedarf im Sinne zu erzeugender Resilienz ein.

Schließlich ging der Referent noch auf die Anwendung des Resilienzbegriffs in der Sicherheitspolitik ein. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 sei er fester Bestandteil aller sicherheitspolitischen Strategien geworden. So werde in der National Strategy for Homeland Security in den USA von der kritischen Infrastruktur des Landes, dem Zugang zu Schlüsselressourcen, der Stabilität des politischen Systems bis zu mentalen Einstellungen der Bevölkerung alles unter dem Stichwort der Resilienz diskutiert. Man geht davon aus, daß die heutigen Verhältnisse extrem störanfällig und eigentlich nicht mehr zu kontrollieren seien. Indem sie Krisen fast zwangsläufig produzierten, greife man zur Resilienz als einer Art nachgelagerten Sicherheit. Wenn jedoch alle davon ausgingen, daß die Katastrophe unvermeidbar sei, ob es sich nun um Klimawandel, Terroranschläge, Kriege, Seuchen oder Hunger handle, dann tendiere Resilienz dazu, die Vorstellung, daß es anders sein könnte, als letzte noch verbliebene Sphäre von Freiheit zu kolonisieren.

Für besonders bemerkenswert hält Gebauer die Tatsache, daß im Resilienzdiskurs der Bezug auf staatliche Institutionen durch die Anrufung informeller Gemeinschaften wie Familien, Nachbarschaften oder Kommunen ersetzt werde. Staatliche Institutionen flankierten dann vielleicht noch wirtschafts- oder sicherheitspolitische Interessen, setzten sich aber nicht mehr für die Gewährleistung sozialer Rechtsansprüche ein. Diese würden an gesellschaftliche Subsysteme delegiert, die Menschen zwar hilfreich zur Seite stehen könnten, aber letztlich nicht rechenschaftspflichtig seien. Daher schwinge in der Betonung von Resilienz ein komplett neues Staatsverständnis mit, das sich von der Idee der in öffentlicher Verantwortung zu realisierenden und schützenswerten Menschenrechte immer weiter entferne und letztlich jenen Gesellschaftsvertrag aufkündige, auf den sich die Subjekte moderner Staaten bislang verständigt hätten.

So erweise sich Resilienz als eine Art Knotenpunkt zwischen deregulierter Ökonomie und einem bourgeoisen Staatsverständnis, das nur noch den Rahmen für die Verteidigung von Besitzständen und Privilegien zu sichern habe. Psychologisch gesehen versöhne Resilienz den Menschen mit Verhältnissen, die in ihrer krisenhaften Entwicklung auch zu wachsender sozialer Ungleichheit führen. Das zentrale Problem dieser Konzeption von menschlicher Widerstandskraft bestehe daher darin, daß sie sich zwar an widrigen Verhältnissen entzünde, schlußendlich jedoch zur Stabilisierung ebenjener Verhältnisse beitrage, gegen die man Sturm laufen müßte. An das Publikum, das seinen Vortrag mit langanhaltendem Beifall quittierte, appellierte Thomas Gebauer, einem solchen Widerstandsbegriff zu widerstehen.


Thomas Gebauer - Foto: © 2015 by Schattenblick

Plädoyer für unbescheidenen Widerstand
Foto: © 2015 by Schattenblick

Resilienz vom Kopf auf die Füße stellen

Es ist unschwer nachzuvollziehen, daß die im sozialwissenschaftlichen Konzept der Resilienz propagierte Widerstandsfähigkeit in einem einander ausschließenden Verhältnis zu jeder Form sozialen Widerstands steht, der die Gültigkeit herrschender Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellt. Eben dieser ist das größte Hindernis arbeits- und sozialstrategischer Innovationen, wie derzeit mit dem Schlagwort "Industrie 4.0" beworben. Wo der Zugriff auf noch unerschlossene Reserven mehrwertproduzierender Arbeit immer entschiedener unter Ausschöpfung aller Mittel technisch-wissenschaftlicher Intelligenz vorangetrieben wird, da forciert die Resilienzforschung die Verwandlung des Menschen in Humankapital durch die Adaption seiner Arbeitskraft an ihm fremde und widrige Bedingungen. Längst zerrieben zwischen den Mehrfachanforderungen des Multitasking der digitalisierten Arbeitswelt, von Angst vor dem sozialen Absturz getrieben und seinen persönlichen Beziehungen durch sozialdarwinistische Konkurrenz entfremdet, ist das Marktsubjekt selbst zu einem Schlachtfeld jener Gegensätze verkommen, die sich zwischen der technischen Produktivkraftentwicklung und den immer weniger Schritt haltenden Produktionsverhältnissen auftun.

Die Bruchlinien zu kitten, die den Homo oeconomicus seit Beginn der offen zutage tretenden Krise des Kapitals durchziehen, ist Ausdruck eines Krisenmanagements, das nicht nur vom Verfall des Wertwachstums getrieben wird, sondern den Widerstand gegen die neofeudale Aneignung der Welt ständig in Schach halten muß. Die von Gebauer beschriebene Kolonisierung der Lebenswelt und Zerstörung des Strebens nach der Überwindung herrschender Verhältnisse durchzusetzen gelingt am wirksamsten durch das Schüren einer Überlebenskonkurrenz, die jeden zum Feind des anderen macht. Dazu ist es erforderlich, die in der Resilienzdebatte aufgezeigten Herausforderungen vollständig von ihrer sozialen und gesellschaftlichen Genese zu lösen. Wo der Klimawandel die Lebensvoraussetzungen für Mensch und Natur zerstört, wo die Arbeit dem Interesse an Kapitalakkumulation unterliegt, wo Menschen die Individuation zum Marktsubjekt als optimale Erfüllung ihres Wunsches nach Teilhaberschaft verstehen, besetzt der abstrakte Nutzen des Überlebens den Platz aller anderen Fragen.

Diese dahingehend zu entwickeln, daß die Möglichkeit, nicht allein zu sein und solidarisch zu handeln, jedes Erfolgsstreben und Vorteilsdenken aus dem Feld schlägt, könnte als Antithese zur Ausbildung resilienter Fähigkeiten verstanden werden. Schwäche nicht als Überlebensnachteil zu fürchten und mit aggressiver Härte zu bekämpfen, sondern gerade dafür einzutreten, daß ihr der Vorrang bei der Bewältigung lebensbedrohlicher Katastrophen gegeben wird, bringt eine Handlungsfreiheit hervor, die sich aus gutem Grund nicht in Euro und Cent beziffern läßt. Ihr liegt die Bedingungslosigkeit eines Widerstands zugrunde, der die vollständige Unterwerfung des Menschen unter den abstrakten Nutzen ihm fremder Interessen vielleicht noch verhindern kann.


Fußnote:

[1] http://www.ngfp.de/


Bisherige Beiträge zur NGfP-Konferenz in Berlin im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → REPORT:

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21. April 2015


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