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SOZIALES/121: Die Deutschen - ein Volk von Neidern? (idw)


Goethe-Universität Frankfurt am Main - 04.09.2009

Die Deutschen - ein Volk von Neidern?


FRANKFURT. Leben die Deutschen in einer Neidgesellschaft? Gehen Menschen in den westlichen Bundesländern anders mit Neid um als in den östlichen Bundesländern? Macht Neid krank? "Seit Jahren geht die neoliberale Transformation der sozialen Marktwirtschaft mit verschiedenen Etiketten einher. Eines davon ist das Etikett der 'Neidgesellschaft', das im politischen Kampf vielfach Verwendung findet - nicht zuletzt im Bundestagswahlkampf", so der Frankfurter Sozialpsychologe Rolf Haubl, der jetzt die Auswertung einer repräsentativen Befragung zum Thema 'Neid und Neidbewältigung in Deutschland' vorstellte.

Er kommt darin zu dem Schluss, dass die Deutschen ihre Gesellschaft durchaus als 'Neidgesellschaft' wahrnehmen, was im doppelten Sinne zu verstehen ist: neidisch sein, weil andere einen neidisch machen. Haubl, Professor für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität sowie Direktor des Sigmund-Freud-Instituts, und Elmar Brähler, Professor für Medizinische Soziologie und Medizinische Psychologie an der Universität Leipzig, befragten im Juli 2008, also noch vor der Finanzkrise, über 2.500 Männer und Frauen in Ost und West. 45 Prozent der Deutschen halten Leistungsgerechtigkeit für das gerechteste Prinzip der Güterverteilung: Wer mehr leistet, soll auch mehr bekommen.

Wer an dieses Prinzip glaubt, erlebt sich vergleichsweise weniger neidisch und ist auch weniger darauf aus, andere neidisch zu machen. Dies sind insbesondere die Deutschen, die eine höhere Bildung haben. "Die gesellschaftliche Wirklichkeit bleibt allerdings hinter den beiden regulativen Prinzipien Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit immer wieder zurück - und das fördert den Neid insbesondere bei Deutschen mit einem geringeren Bildungsstatus, wie unsere Befragung deutlich zeigt", so Haubl. "Privilegierte haben ein Interesse daran, die Forderungen von Unterprivilegierten als Sozialneid darzustellen und auch so zu erleben, während Unterprivilegierte ihre Position als Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit sehen und ebenso empfinden."

Neid wird in den öffentlichen Debatten oft nur als 'feindselig schädigend' bewertet, doch die beiden Wissenschaftler weisen darauf hin, dass Neid ganz unterschiedliche Ausprägungen haben kann - eben auch 'ehrgeizig stimulierend', 'empört rechtend' oder auch 'depressiv lähmend'. "Neid geht immer ein sozialer Vergleich voraus, bei dem diejenigen, die schlechter abschneiden, die Verteilung der Gewinne nicht hinnehmen, sondern zu korrigieren suchen. Und dazu wählen Menschen ganz unterschiedliche Wege." Das ist nicht nur abhängig von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur, sondern auch von den sozialen Verhältnissen, wie der Vergleich von Bürgern in Ost und West deutlich macht: Westdeutsche, die Deutschland als Neidgesellschaft wahrnehmen, meinen damit etwas anderes als Ostdeutsche: Ostdeutsche erleben sich in Anbetracht ungleicher Güterverteilung eher ungerechtfertigt benachteiligt und reagieren häufiger mit empört rechtendem Neid. Westdeutsche fühlen sich dagegen eher ehrgeizig stimuliert, denen nachzueifern, die mehr haben.

Nimmt man an, dass Ostdeutsche aufgrund des bestehenden Wohlstandsgefälles zwischen den alten und neuen Bundesländern tatsächlich mehr Grund haben, neidisch zu sein, dann spiegeln ihre Antworten lediglich eine soziale Ungleichheit, die sich nicht leugnen lässt. "Womöglich ist es für sie dann auch weniger sozial erwünscht, sich als nicht neidisch darzustellen. Liest man die Antworten, als seien sie mit einem gewissen trotzigen Unterton gegeben, dann kann man sie auch als Kritik von Ostdeutschen hören, jetzt im Kapitalismus angekommen zu sein, der ja als Neid erregende Gesellschaftsform gilt", interpretiert der Frankfurter Sozialpsychologe. Aufschlussreich sind auch die Antworten auf die Frage, wie die Befragten die Forderung nach Einführung einer 'Reichensteuer' einschätzen: Während Ostdeutsche dies eher mit einer Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit verbinden, halten Westdeutsche dies eher für einen Ausdruck von Sozialneid.

Auch den Unterschied im Neidverhalten von Männer und Frauen haben die beiden Wissenschaftler untersucht: Männer und Frauen unterscheiden sich nur darin, wie sie auf die Ungleichverteilung von Gütern, die sie neidisch machen könnten, emotional reagieren: Frauen fühlen sich eher traurig, wenn sie weniger haben, Männer ärgern sich eher über sich selbst. Traurig zu sein, ist eine vornehmlich passive Haltung. Es wird - notgedrungen - hingenommen, das begehrte wertvolle Gut nicht zu besitzen. Im Vergleich dazu findet sich jemand, der sich über sich selbst ärgert, etwas nicht zu besitzen, nur schwer damit ab, weil er von sich erwartet hat, es zu besitzen.

Wie wirkt Neid auf die Gesundheit? Bisher gibt es dazu keine umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen. In dieser Studie lassen sich erste Hinweise erkennen, die die These stützen: Je mehr sich jemand als neidisch wahrnimmt, desto geringer ist seine psychische Gesundheit. So konnten Haubl und Brähler beispielsweise messen, dass eine positive Korrelation zwischen der Selbstwahrnehmung, neidisch zu sein, und der Belastung mit depressiven Symptomen besteht.

Informationen: Prof. Rolf Haubl, Institut für die Grundlagen der Gesellschaftswissenschaften, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Campus Bockenheim. Tel: (0177) 6846656, haubl@soz.uni-frankfurt.de Die Langfassung des Ergebnisberichts auf der Homepage des Sigmund-Freud-Instituts:
www.sfi-frankfurt.de

Weitere Informationen unter:
http://www.sfi-frankfurt.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/pages/de/institution131


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ulrike Jaspers, 04.09.2009
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2009