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MELDUNG/032: Forscher rekonstruieren minutengenauen Verlauf von Emotionen am 11. September 2001 (idw)


Johannes Gutenberg-Universität Mainz - 01.09.2010

Trauer, Angst, Wut: Wie die Amerikaner auf die Ereignisse am 11. September 2001 reagierten

Forscher der Universität Mainz rekonstruieren minutengenauen Verlauf von Emotionen am 11. September 2001


Die Ereignisse am 11. September 2001 lösten unter der amerikanischen Bevölkerung weniger Trauer und Angst aus, sondern im Verlauf des Tages zunehmend Ärger und Wut. Dies geht aus einer Studie hervor, für die Psychologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz über 570.000 Texte von US-Funkmeldern analysiert haben. "Die Ergebnisse haben uns sehr überrascht", teilten Mitja Back und Albrecht Küfner von der Abteilung Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik mit. "Wir hatten vermutet, dass sich diese Tragödie in einer massiven Trauer- oder Angstreaktion äußert. Was wir jedoch fanden, war ein kontinuierlicher Anstieg von Ärger und Wut über die Zeit." Mit Hilfe automatischer Textanalysen suchten die Wissenschaftler nach Emotionswörtern wie Traurigkeit, Weinen, Kummer, Angst oder Hass, die in den Meldungen vorkamen. Die Ergebnisse der Studie hat die renommierte Fachzeitschrift Psychological Science nun online veröffentlicht.

Die Autoren Mitja Back, Albrecht Küfner und Boris Egloff konnten für ihre Studie auf Daten zurückgreifen, die am 25. November 2009 auf der Internet-Plattform WikiLeaks anonym und frei zugänglich veröffentlicht wurden. Sie decken 24 Stunden von drei Uhr morgens bis drei Uhr nachts des nächsten Tages ab und umfassen insgesamt 573.000 Datensätze mit 6,4 Millionen Wörtern, die von über 85.000 unterschiedlichen Pagern - in Deutschland auch Funkmelder oder Pieper genannt - in den USA versandt worden sind. Die Daten ergeben einen minutengenauen Verlauf des emotionalen Befindens Tausender US-Bürger.

Die Auswertung zeigt, dass die Menschen nicht in erster Linie mit Trauer auf die Terroranschläge reagierten. Es gab einige Angstausbrüche, die mit dem Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon, dem Einsturz der Türme und den ersten Informationen über den terroristischen Hintergrund der Anschläge einhergingen - sich danach aber schnell wieder abschwächten. "Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Medien weitere Hintergrundinformationen verbreitet haben, die die Unsicherheit und damit die Angst verringerten", so Back.

Das Gefühl von Wut hingegen war von Anfang an, bereits beim Einschlag des ersten Flugzeugs in das World Trade Center, vorhanden und nahm mit den fortlaufenden Informationen über den terroristischen Hintergrund stetig zu. Am Ende des Tages war der Ausdruck von Wut und Ärger fast 10 Mal so hoch wie zu Beginn. Die Studie gibt damit einen ersten Einblick, welche Ursachen zu den weitreichenden Konsequenzen führten, die der 11. September zur Folge hatte - angefangen von vermehrter Diskriminierung über die Konfrontationspolitik der Bush-Ära bis hin zur Beschneidung von Bürgerrechten. "Da Wut und Ärger Empörung und den Wunsch nach Rache hervorrufen, bekommen wir jetzt eine erste Idee davon, was in den Menschen in Amerika unmittelbar nach den Anschlägen vorgegangen ist", ergänzt Küfner.

Veröffentlichung:

Mitja D. Back, Albrecht C.P. Küfner, and Boris Egloff
The Emotional Timeline of September 11, 2001
Psychological Science, 30.08.2010
doi:10.1177/0956797610382124

Weitere Informationen unter: http://psycho.sowi.uni-mainz.de/abteil/pp/back.html (Artikel)

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution218


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Petra Giegerich, 01.09.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010