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BERICHT/065: Arbeitslose meiden psychologische Beratung (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - Mittwoch, 30. Juli 2008

Die Angst der Arbeitslosen vor psychologischer Beratung


fzm - Bereits die Sorge um einen Verlust des Arbeitsplatzes macht viele Menschen psychisch krank, doch eine Betreuung nehmen die wenigsten, selbst im Fall einer Arbeitslosigkeit, in Anspruch. Dies zeigt eine Umfrage unter jüngeren Erwachsenen in Sachsen, die jetzt in der Fachzeitschrift "Das Gesundheitswesen" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2008) erschienen ist.

Befragt wurden 387 junge Erwachsene aus Chemnitz und Leipzig, die seit 1987 auf ihrem Weg vom DDR- zum Bundesbürger regelmäßig interviewt werden. Im Sommer 2006 füllten sie einen Fragebogen aus, der sich nach psychischen Problemen und dem Bedürfnis nach psychologischer Beratung oder Betreuung erkundigte. Arbeitslose meldeten siebenmal häufiger einen Bedarf an als Menschen mit einem Beschäftigungsverhältnis, berichtet Dr. Hendrik Berth, Medizinsoziologe an der Technischen Universität Dresden. Auch Menschen, die ihren Arbeitsplatz als unsicher einstufen, äußerten fünfmal häufiger das Bedürfnis nach psychologischem Beistand. Nach Berechnung von Dr. Berth sind 78 Prozent der aktuell Arbeitslosen und 61 Prozent der von Arbeitsplatzverlust bedrohten Menschen als psychisch belastet und betreuungsbedürftig einzustufen.

Den Schritt zur Beratungsstelle machen jedoch die wenigsten. Viele gaben an, sich nicht überwinden zu können, andere wussten nicht, an wen sie sich wenden sollten, einige befürchteten zu hohe Kosten für sich. Der wesentliche Grund liegt, nach Ansicht von Dr. Berth, jedoch in der Angst, als krank abgestempelt zu werden oder Nachteile bei der Suche nach einem Job zu haben. Die Angst vor dem doppelten Stigma "arbeitslos und psychisch krank" erkläre, warum die von den Arbeitsagenturen, aber auch den Krankenkassen angebotenen Betreuungen sehr selten angenommen würden. Besser wäre es, nach Einschätzung von Dr. Berth, wenn entsprechende Gesundheitsförderungsprogramme durch unabhängige Fort- und Weiterbildungsinstitute angeboten würden. Aber auch ihnen werde es schwer fallen, die Personen mit dem höchsten Gesundheitsrisiko zu erreichen. Dies sind, laut Berth, die Langzeitarbeitslosen, die sich zunehmend vom sozialen Leben zurückziehen und deshalb nicht mehr für professionelle Helfer erreichbar sind.


H. Berth et al.:
Arbeitslosigkeitserfahrungen, Arbeitsplatzunsicherheit und der Bedarf an psychosozialer Versorgung.
Das Gesundheitswesen 2008; 70 (5): S. 289-294


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Quelle:
FZMedNews - Mittwoch, 30. Juli 2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2008