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SCHULE/562: Früher Schulbesuch - Jungen aus sozial benachteiligten Elternhäusern profitieren am stärksten (idw)


Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM) am University College London (UCL) - 21.02.2019

Früher Schulbesuch: Jungen aus sozial benachteiligten Elternhäusern profitieren am stärksten


Jungen aus benachteiligten Elternhäusern profitieren besonders stark von einem frühen Schulbesuch, der Bildungsunterschiede zwischen Kindern aus sozial benachteiligten und aus privilegierteren Familien um bis zu 60-80% verringert.
Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Ökonomen Thomas Cornelissen und Christian Dustmann vom Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM) am University College London, die im renommierten American Economic Journal: Economic Policy erscheinen wird.

Die Studie basiert auf regionalen Unterschieden in der Einschulungspraxis in die erste Grundschulklasse in England (reception class). Während in den meisten Kommunen alle Kinder im Alter zwischen vier und fünf Jahren zum Schuljahresbeginn eingeschult werden, wurde in der Vergangenheit in einigen Kommunen die Einschulung der allerjüngsten Kinder einer Kohorte um ein oder zwei Trimester zurückgestellt. Die zum Schuljahresbeginn eingeschulten Kinder besuchen die erste Grundschulklasse daher um einige Monate länger als die zurückgestellten Kinder. In anderen Merkmalen, wie etwa dem Familienhintergrund oder dem Alter der Kinder bei der Erhebung der Testergebnisse, unterscheiden sich die beiden Vergleichsgruppen jedoch nicht.

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Einschulung zum Schuljahresbeginn und der damit einhergehende längere Grundschulbesuch insbesondere für Jungen aus benachteiligten Elternhäusern starke positive Effekte hat. Diese sind bis ins Alter von 11 Jahren nachweisbar und verbessern unter anderem das Verhältnis zu Lehrern und das Interesse an Bildung und verringern die Tendenz zu störendem Verhalten.

Für Jungen aus benachteiligten Elternhäusern verbessert der frühe Schulbesuch außerdem ihre sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten im Alter von 5 Jahren (um 16-20%*), ihre soziale und emotionale Kompetenz im Alter von 5 Jahren (um 5-8%), und ihre sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten im Alter von 7 Jahren (um ca. 10%). Für Jungen aus privilegierteren Familien hatte der frühe Schulbesuch jedoch keine vergleichbaren Effekte.

Prof. Dr. Christian Dustmann, CReAM Direktor am University College London und einer der Autoren der Studie, sagt: "Das wichtigste Ergebnis dieser Studie ist, dass Bildungsunterschiede zwischen Kindern aus benachteiligten und privilegierten Elternhäusern durch einen frühen Schulbesuch teilweise dramatisch verringert werden können."

"Ein Grund für die starken positiven Effekte eines frühen Schulbesuches auf Kinder aus benachteiligten Elternhäusern könnte darin liegen, dass sie wenn sie nicht die Schule besuchen eine Kinderbetreuung von geringerer Qualität erfahren als Kinder aus privilegierten Familien."

"Unsere Ergebnisse für England decken sich mit Befunden aus Deutschland und aus anderen Ländern, die ebenfalls zeigen, dass Kinder aus benachteiligten Familien stärker von frühkindlichen Bildungsangeboten profitieren."

Die durchschnittlichen Effekte für alle Kinder sind ebenfalls positiv. Sie zeigen, dass ein zusätzliches Trimester (4 Monate) des frühen Grundschulbesuches sprachliche und mathematische Fähigkeiten im Alter von 5 Jahren um 6-10% erhöht, und im Alter von 7 Jahren um 2%. Im Alter von 11 Jahren sind diese Effekte auf kognitive Fähigkeiten größtenteils verschwunden.

Jedoch zeigen sich länger anhaltende Effekte auf nichtkognitive Fähigkeiten. Diese umfassen motorische, kreative, soziale und emotionale Fähigkeiten, sowie das Verhältnis zu Lehrern, das Interesse an Bildung, und eine verringerte Tendenz zu störendem Verhalten. Die Studie zeigt, dass ein früher Schulbesuch diese Fähigkeiten im Alter von 5, 7, und 11 Jahren positiv beeinflusst.

Mitautor der Studie Prof. Dr. Thomas Cornelissen, Professor an der Universität York und CReAM Research Fellow, erklärt: "Mit dem Alter von 4-5 Jahren beginnt in Großbritannien die Grundschule im internationalen Vergleich extrem früh. Das wirft die Frage auf, ob ein solch früher Schulbeginn optimal ist. Bislang lagen jedoch kaum wissenschaftliche Befunde zu den Effekten einer solch frühen Einschulung auf die Kindesentwicklung vor."

"Interessanterweise zeigen unsere Forschungserbnisse keine negativen Effekte der frühen Einschulung. Vielmehr erhöht der frühe Schulbesuch verschiedene soziale Fähigkeiten im Alter von 5, 7 und 11 Jahren, und möglicherweise darüber hinaus."

"In Deutschland scheinen viele Eltern eine späte Einschulung zu bevorzugen. Das zeigt sich zumindest in der positiven Resonanz von Eltern zur Berliner Entscheidung, durch eine Anpassung der Stichtagsregelung das Mindestalter bei der Einschulung vom Schuljahr 2017/18 an auf sechs Jahre zu erhöhen. Demgegenüber zeigen unsere Forschungsergebnisse, dass es möglich ist, Kinder schon ab dem Alter von vier Jahren ohne negative Konsequenzen einzuschulen. Allerdings erfordert dies natürlich, dass die Schule für die entsprechende Altersgruppe kindgerecht gestaltet ist, so wie es in Großbritannien der Fall ist."

"Bisweilen wird in Deutschland die Idee mehrerer Einschulungstermine im Laufe eines Schuljahres als Möglichkeit diskutiert, Kindern den Übergang aus der Kita in die Schule zu erleichtern. In unserer Studie haben wir genau solch ein System evaluiert, in dem die jüngsten Kinder einer Schulkohorte die Möglichkeit hatten ein paar Monate später in das erste Schuljahr einzutreten. Unsere Ergebnisse zeigen: Die zurückgestellten Kinder sind dann beim Schuleintritt zwar älter, sie leiden aber gleichzeitig darunter, dass ihr erstes Schuljahr im Vergleich zu ihren früher eingeschulten Klassenkameraden um einige Monate kürzer ist. Unseren Forschungsergebnissen zufolge ist der Gesamteffekt der Rückstellung deshalb negativ. In einem System mit mehreren Einschulungsterminen im Laufe eines Schuljahres muss also sehr viel Wert darauf gelegt werden, dass den später eingeschulten Kindern kein Nachteil entsteht."

Die Analyse basiert auf umfangreichen offiziellen Informationen der britischen National Pupil Database zu den schulischen Leistungen von mehr als 400.000 Schülern der Geburtskohorte 2000/2001 an öffentlichen Schulen in England. Diese wurde mit Umfragedaten von mehr als 7.000 englischen Kindern derselben Geburtskohorte kombiniert, welche an der Längsschnittbefragung der Millennium Cohort Study teilgenommen haben.


(*) Die Studie berichtet standardisierte Effektgrößen für einen Anstieg des frühen Schulbesuches um einen Monat. Um die Interpretation zu vereinfachen, haben die Autoren die in dieser Pressemitteilung berichteten Effektgrößen in relative Effekte (im Verhältnis zum Mittelwert) für einen Anstieg des frühen Schulbesuches um ein Trimester (4 Monate) umgerechnet. Nähere Details teilen die Autoren gerne auf Anfrage mit.


Originalpublikation:
Die wissenschaftliche Studie wurde von Thomas Cornelissen [University of York und Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM)] und Christian Dustmann [Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM) am University College London] erstellt und erscheint als:

Cornelissen, T. und C. Dustmann (2019):
Early School Exposure, Test Scores, and Noncognitive Outcomes,
CReAM Discussion Paper No. 03/19, abrufbar unter:
http://www.cream-migration.org/publ_uploads/CDP_03_19.pdf

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution2331

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Centre for Research and Analysis of Migration (CReAM)
am University College London (UCL), 21.02.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2019

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