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SCHULE/248: Islamischer Religionsunterricht? ... (Einblicke - Uni Oldenburg)


Einblicke - Forschungsmagazin der Universität Oldenburg
Nr. 48/Herbst 2008

Islamischer Religionsunterricht? Zwischen Notwendigkeit und Anachronismus

Von Jürgen Heumann


Für alle Unterrichtsfächer in der deutschen Schule gilt das Überwältigungsverbot, d. h. kein Schüler darf in Situationen gebracht werden, in denen er sich psychisch überwältigt fühlt bzw. aus solchem Gefühl heraus zu Handlungen, etwa Gebetshandlungen, gedrängt wird. Der evangelische Religionsunterricht verzichtet demzufolge weithin auf ein "Betenlernen" in der Schule. Eines der Probleme des islamischen Religionsunterrichts ist, dass es bei allen Diskussionen um dieses Fach keine deutliche Aussage gibt, auf eine Überwältigung während des Unterrichts zu verzichten. Ein Fach, das hier nicht klar Position bezieht, ist nicht "schulfähig".


Seit Anfang der sechziger Jahre verfolgt das Problem einer religiösen Bildung für Kinder und Jugendliche aus der islamisch geprägten Welt die bundesrepublikanische Bildungspolitik, die sich über zwei Jahrzehnte der Frage gegenüber ignorant gab. Erst 1984 erkannte die Kultusministerkonferenz das Erfordernis eines islamischen Religionsunterrichts an. Seit Ende der siebziger Jahre gab es in diversen Bundesländern gleichwohl immer wieder Versuche und Modellprojekte bis hin zur Einführung von islamischem Religionsunterricht im Saarland sowie in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Neben lösbar erscheinenden verfassungsrechtlichen Problemen steht ein islamischer Religionsunterricht aber besonders vor curricularen Aufgaben, d.h. vor Problemen der Konzeption, der Verfassungskonformität und pädagogisch verantwortbarer Unterrichtsmethoden. Im höchst sensiblen Feld zwischen den Erziehungs- und Bildungsansprüchen der öffentlichen Schule einerseits und islamischen Erziehungs- und Bildungskonzepten andererseits changiert die Bildungspolitik der Bundesländer, ohne zu einem gemeinsamen Konzept zu kommen.

Dies vollzieht sich auf dem Hintergrund eines großen Bedürfnisses nach einer systematischen und selbstreflexiven religiösen Bildung gerade für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Es kann hier durchaus von einer Benachteiligung dieser Kinder und Jugendlichen gesprochen werden, die kulturell mittel- und langfristig mindestens so problematisch ist wie das Fehlen ausreichender mathematischer, sprachlicher oder wirtschafts- und informationstechnologischer Bildung. Diesen Schülern wird nicht nur ein vertieftes Verstehen ihrer Herkunftskultur und damit bedeutsames Orientierungswissen verweigert, sondern auch die Begegnung bzw. Auseinandersetzung mit anderen Religionen und religiösen Kulturen, insbesondere mit der christlichen. Ob die genannten Ansprüche aber durch einen islamischen Religionsunterricht befriedigt werden können, ist fraglich. Die Vielfalt der Modelle und Unterrichtsversuche bis hin zur Einführung des Schulfaches - z.B. in Nordrhein-Westfalen - lässt bisher dazu keine einheitliche Beurteilung zu.


Die Vorgaben des Grundgesetzes

Es stellt sich in diesem Zusammenhang natürlich die Frage, unter welchen Bedingungen ein islamischer Religionsunterricht in der öffentlichen Schule akzeptabel ist. Verfassungsrechtlich ist das relativ eindeutig. Artikel 7,3 des Grundgesetzes und die Artikel 137,5 und 141 der Weimarer Reichsverfassung (die ins Grundgesetz übernommen wurden, Art. 140 GG) verlangen von einer "Religionsgesellschaft", der ein eigener Religionsunterricht in der öffentlichen Schule zugestanden wird, Verlässlichkeit (hinsichtlich der Dauer ihres Bestehens), ein klares inhaltliches Profil (Grundsätze) sowie Kooperationswillen und -fähigkeit, den grundgesetzlichen Normen zu entsprechen und hinsichtlich dieser Normen mit dem Staat zu kooperieren. Dieser formal-rechtliche Rahmen setzt wiederum inhaltliche Entscheidungen voraus; d.h. der Staat steht den "Religionsgesellschaften" nicht indifferent gegenüber, sondern verlangt Beteiligung an der Verwirklichung freiheitlich-demokratischer Grundrechte. Der Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio formuliert das so: "Neutralität bedeutet ... nicht, dass die Verfassung ... auf jede Wertebindung und jede Nähe zu einem System der Weltdeutung verzichtet. ... Der westliche Kulturkreis glaubt an die Überlegenheit von individueller Freiheit und Gleichheit, an diejenige von Vernunft und Zweckrationalität." Für die Schule bedeutet dies, dass sich in ihr alle Wert- und Religionssysteme mit den verfassungsgemäßen Grundsätzen auseinandersetzen müssen, sie zu respektieren und fortzuentwickeln haben. Das gilt für einen christlichen oder islamischen genauso wie für einen buddhistischen oder religionskundlichen Unterricht. Viele, auch in den öffentlichen Medien diskutierte Berichte haben von islamischem Unterricht, wohl nicht nur aus Böswilligkeit, ein anderes Bild gezeichnet. Deshalb ist es wichtig, sich zu verdeutlichen, welche Formen islamischen Religionsunterrichts es gibt.

Die bisherigen Versuche, einen islamischen Religionsunterricht einzurichten, lassen sich (sehr grob) in zwei Kategorien unterscheiden:

I. In einer ersten Kategorie finden sich muttersprachlich orientierte Modelle mit exklusivem Anspruch. Hierzu würde ich Koranschulen und Korankurse, die Moscheen angegliedert sind, zählen, aber auch den sogenannten muttersprachlichen Konsulatsunterricht, der über Konsularvertretungen der Herkunftsländer mit Zustimmung der deutschen Schulbehörden - allerdings ohne deren Aufsicht - in öffentlichen Schulräumen stattfindet (z.B. Saarland). Auch den muttersprachlichen "Ergänzungsunterricht", für den z.T. unter Beteiligung von deutschen und islamischen Fachleuten Lehrpläne entwickelt wurden, zähle ich hierzu. Trotz eines religionskundlichen Ansatzes bleibt hier der Islam exklusiver Unterrichtsgegenstand, unter Vernachlässigung einer vertieften Beschäftigung mit anderen Religionen (z.B. Bayern, Nordrhein-Westfalen).

II. Eine zweite Kategorie lässt sich mit dem Titel "Erpobungsmodelle islamischer Religionsunterricht" kennzeichnen. Unter Mitwirkung muslimischer Verbände oder Organisationen finden in einigen Bundesländern im muttersprachlichen Unterricht oder darüber hinaus Modellversuche zu einem eigenen islamischen Religionsunterricht statt (z.B. in Nordrhein-Westfalen). In diesen Versuchen und Projekten wird Deutsch gesprochen. Zum Teil liegen, wie auch beim niedersächsischen Versuch, ausgearbeitete Rahmenrichtlinien vor. In Niedersachsen sind bei dem nun schon seit 2003 andauernden Versuch evangelische Religionslehrer an der Planung beteiligt.

In Hamburg gibt es einen von evangelischer Seite verantworteten "Interreligiösen Unterricht für alle", an dem die "Konferenz der Muslime Hamburgs" seit 1995 beteiligt ist.


Die Pädagogik ist gefordert

Die Entwicklung, die sich hier zeigt, macht deutlich, dass es darum geht, islamischen Religionsunterricht über seine Muttersprachlichkeit hinaus in einen regelrechten Religionsunterricht zu überführen, so wie er christlicherseits entsprechend dem Grundgesetz angeboten wird. Das würde dann aber auch eine flächendeckende wissenschaftliche Lehrerausbildung voraussetzen und den Abschied von in islamischen Staaten rekrutierten Lehrkräften bzw. durch Fort- und Weiterbildung gewonnenen Kräften. Die wenigen, erst seit einigen Jahren installierten Lehrstühle für islamische Religionspädagogik (z.B. an den Universitäten Münster und Osnabrück) werden allerdings kaum in der Lage sein, den großen Bedarf an wissenschaftlich ausgebildeten Lehrern und Lehrerinnen befriedigen zu können.

Hinzu kommt das Fehlen einer islamisch-religionspädagogischen Theorie für einen solchen Unterricht, die bis auf wenige Beiträge bisher nicht erkennbar ist. In ihr müsste ja geklärt werden, was Bildung und Erziehung im öffentlichen Kontext der Unterrichtsfächer für Muslime heißt und inwieweit solche Vorstellungen im Unterricht vermittelt werden können: Welchen Stellenwert haben Vernunft, Aufklärung und Kritik? Soll der Religionsunterricht einzig der Identifizierung mit dem Islam dienen oder gewährt der Unterricht Freiheitsspielräume?

Die schwierige Lage der öffentlichen religiösen Bildung in Deutschland, die die Schüler nach Bekenntnissen und Religionen aufteilt, würde aber wohl letztlich durch die flächendeckende Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in Zeiten der Pluralisierung und Globalisierung so verfestigt, dass alternative Bildungsvorstellungen im Bereich Religion weiterhin keine Chancen hätten. Angesichts großer Sehnsucht nach religiöser Sinnstiftung und Orientierung lässt sich das Problem religiöser Bildung in einer pluralen und globalen Welt nicht mehr anachronistisch mit isolierten Unterrichtsfächern lösen, auch nicht nur mit den religiösen Leitvorstellungen von Institutionen oder Verbänden; ohne diese allerdings auch nicht. Vielmehr muss deutlicher von den Aufgaben der öffentlichen Schule selbst her das Feld "Religion" von allen Beteiligten neu bedacht werden, was aber dann auch hieße, dass sich die Pädagogik hier in einem seit Jahrzehnten vernachlässigten Dialog ganz erheblich engagieren müsste.


Der Autor

Prof. Dr. Jürgen Heumann lehrt an der Universität Oldenburg Evangelische Religionspädagogik mit den Arbeitsschwerpunkten Religiöse Sozialisation und Lebenswelt, Religion in Lehr- und Lernprozessen, Didaktik und Methodik des Unterrichtsfaches Ev. Religion. Nach dem Lehramtsstudium in Dortmund war er zunächst als Lehrer tätig und wechselte dann 1977 als Wissenschaftlicher Assistent an die Universität Oldenburg. Danach war er Studienleiter am Institut für Katechetischen Dienst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Nach seiner Habilitation über "Elemente zur Begründung einer Symboldidaktik" wurde er 1993 an die Universität Oldenburg berufen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Religiöse Sozialisation und Religion in Bildung und Kultur.


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Quelle:
Einblicke Nr. 48, 24. Jahrgang, Herbst 2008, Seite 14-15
Herausgeber: Das Präsidium der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2008