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SCHULE/209: Technik als Bildungsaufgabe (Agora - Uni Eichstätt)


Agora - Ausgabe 1 - 2007
Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Technik als Bildungsaufgabe

Von Michael Köck


"Das Übel kommt nicht von der Technik, sondern von denen, die sie missbrauchen", sagte der Biologe Jacques Cousteau. Nicht nur die Funktion von Technik sondern auch deren kritische Reflexion sollte im Unterricht eine Rolle spielen.


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Selbstverständlich nutzen Millionen von Menschen jeden Tag ihr Handy oder verlassen sich beim Autofahren auf ihren Navigationsassistenten. Beharrlich durchdringt Technik alle Lebensbereiche - auch die von jugendlichen - und übernimmt vor allem in der Welt der Arbeit in fortschreitender Geschwindigkeit menschliche Dispositionen. Lange Zeit war Technik allein in Form von Werkzeugen zunächst als Verstärkung unmittelbarer körperlicher Kräfte behilflich. Noch machten die Maschinen in den Fabriken bis weit in das 20. Jahrhundert freilich jenes kreative Zusammenspiel aus gedanklicher Vorwegnahme und koordinierter Ausführung nicht überflüssig, wie es beispielsweise bei der Führung von Werkstücken entlang formgebender Werkzeuge notwendig ist. Mit dem Siegeszug der Informationstechnologie und ihren konkreten Anwendungen etwa in der Automatisierungstechnik wird nun aber auch diese unmittelbare Wirkung geistiger Arbeit entbehrlich. Andererseits führen die vielfältigen Möglichkeiten des Datenumsatzes zu einem produktiven Wettbewerb geistiger Arbeit, der - folgt man Thomas L. Friedmans These von der flachen Welt - die Reichweite des Individuums an sich erweitert hat.

Je nach Perspektive lässt sich Technik daher als Teil eines entwicklungsgeschichtlich determinierten Programms zur Befreiung des Menschen von Naturzwängen oder aber als bedrohlicher Angriff auf seine Autonomie deuten. In jedem Fall muss die Technik in ihren verschiedenen Erscheiungsformen aber als eine entscheidende Grundlage für die Entwicklung der Menschheit, für die Entwicklung ihrer Lebensbedingungen und immer mehr auch für die Entwicklung ihrer Lebensperspektiven betrachtet werden.

Im Widerspruch zur Dominanz technischer Anwendungen steht jedoch der Mangel um ein tieferes Verständnis von Technik in weiten Teilen der Bevölkerung. Man muss nicht den Pessimismus des Präsidenten des Bundesverbandes für die Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitcom) Willi Berchtold teilen, der Deutschland unlängst auf dem Weg vom Land der Erfinder zum Land der Anwender wähnte. Gleichwohl scheint die Begeisterung, die im letzten Jahrhundert noch viele technische Errungenschaften begleitete und die - wenngleich sie auch die Folgen der Technik in ihrer Beherrschbarkeit zuweilen unterschätzte - doch nach Verständnis strebte, im Sinkflug begriffen. Gewichen ist sie - nimmt man als Indikator beispielsweise die Bereitschaft, persönliche Daten im Internet zu veröffentlichen - einer fatalistischen Sorglosigkeit im Umgang mit Technik genau so wie einem mangelnden Interesse an ihrer Gestaltbarkeit. Letztere Vermutung wird unter anderem genährt durch die geringe Zahl an Studierenden in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Die Suche nach Gründen dafür, warum viele Menschen einerseits jedem Verwertungsversuch technischer Innovationen bereitwillig folgen, sich andererseits aber ein Mangel an Absolventen technischer Fächer und Berufe abzeichnet, muss spekulativ bleiben. Eine Rolle spielt sicher die Komplexität technischer Lösungen, die bei jedem Schritt der Substitution menschlicher Fähigkeiten zunächst durch Werkzeuge, dann Maschinen und heute umfangreiche technische Systeme bzw. Infrastrukturen zunahm. Ein weiterer Grund mag der sein, dass sich das für eine tiefere Auseinandersetzung mit Technik erforderliche kritische Bewusstsein vorrangig an Großprojekten entzündete, also solchen Projekten, die nicht allein aus dem privaten Handeln heraus verantwortet werden können. Unentdeckt bleibt dabei freilich oft, dass auch Kleingeräte Teil großer technischer Infrastrukturen sein können (z.B. Mobiltelefone).

Ob sich ein Land, dessen Wohlstand großteils auf der ökonomischen Verwertung von Technik gründet, eine solche mangelnde Technikaffinität leisten kann, sei an dieser Stelle dahingestellt. Unbestritten ist, dass die Achillesferse des Hightech-Standortes Deutschland das Bildungssystem darstellt. Dort wird die Grundlage für die Technik geschaffen. Hier jedoch - wie es etwa im allgemein bildenden Schulsystem Tradition hat - allein auf die Vermittlung naturwissenschaftlicher Grundlagen zu setzen, greift zu kurz. Während nämlich die naturwissenschaftlichen Gesetze an sich wertneutral sind, stellt ihre Anwendung als Funktionsprinzip technischer Lösungen eine in spezifischer Richtung beabsichtigte Mittel-Zweck-Beziehung her, die - wie sich an der Atom- oder Gentechnik eindrucksvoll zeigen lässt - mitunter weit reichende Implikationen nach sich ziehen kann. Die viel zitierte bildungsrelevante Mit- und Selbstbestimmungsfähigkeit des Individuums kann sich gerade im Hinblick auf die Technik nur dann ausbilden, wenn Menschen dazu fähig sind, eben jene Mittel-Zweck-Beziehung analytisch und systematisch zu durchdringen.

Um mit Technik frei, reflektiert und kreativ umgehen zu können, sind in jedem Fall neben der Kenntnis ihrer naturwissenschaftlichen Grundlagen eine Reihe anderer Kompetenzen essentiell: Die Fähigkeit zur Analyse funktionaler Zusammenhänge technischer Sachsysteme, die Anwendung spezifisch technischer Methoden und Denkweisen und nicht zuletzt die Bewertung von Technik im Hinblick auf ökonomische, ökologische, technologische, geistig-normative sowie politisch-soziale Gesichtspunkte. Eine so verstandene technische Bildung an allgemein bildenden Schulen wird daher einen gesellschaftswissenschaftlichen Zugang zur Technik als elementaren didaktischen Ansatz ebenso integrieren, wie den Rückgriff auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen für den Nachvollzug technischer Funktions- und Wirkprinzipien.

In der Hauptschule übernehmen die Aufgaben der technischen Bildung eine Reihe von Fächern wie PCB (Physik, Chemie, Biologie), das Fach Werken, gewerblich-technischer Bereich sowie das Fach AWT (Arbeit-Wirtschaft-Technik). Im Zuge der Überarbeitung des Lehrplans für Arbeit-Wirtschaft-Technik (AWT) in Bayern wurde 2004 ab Jahrgangsstufe 5 neben der Berufswahlvorbereitung und der Verbrauchererziehung ein curricular aufgebauter Technikstrang integriert. Dabei geht es jedoch nicht primär darum, dem Schüler systematisch naturwissenschaftlich-technologische Grundlagen oder etwa handwerkliche Fertigkeiten zu vermitteln. Der Schwerpunkt hegt hier auf dem human-sozialen Aspekt der Technik in der Welt der Arbeit genau so wie im privaten Bereich. Dies bedeutet allerdings nicht, dass damit gänzlich auf eine Begegnung mit konkreten Technologien verzichtet werden könnte. Aus didaktisch-methodischer Sicht vollzieht sich ein anschaulicher schülerorientierter Unterricht eben am besten entlang konkreter Beispiele, im vorliegenden Kontext unter Umständen dann an einer konkreten technischen Anwendung.

Für das universitäre Fach Didaktik Arbeitslehre bedeutet dies einerseits, dass Studierende, die sich nicht selten selber eher eine geringe Techniknähe bescheinigen, ebenfalls an moderne Technologien herangeführt werden müssen. Eine weitere und nicht minder bedeutsame Aufgabe besteht darin, bei den zukünftigen Lehrern solche fachdidaktische Kompetenzen anzubahnen, die die Voraussetzungen für die Konzeption und Durchführung lernrelevanter Begegnungen des Schülers mit Technik bilden. Die Aufgaben des Didaktikers wie die des Lehrers werden dadurch unterstützt, dass moderne Technologien in Form von experimentier- oder Roboter-Baukästen mit programmierbaren Bausteinen bereits Einzug ins Kinder- und Jugendzimmer gehalten haben. Ober die Kombination verschiedener mechanischer und elektronischer Bauteile, sowie deren Programmierung lassen sich unter anderem auch die immer wichtiger werdenden mechatronischen Systeme konstruieren.

Zwei gegenläufige Erkenntniswege sind hierbei denkbar. Der erste orientiert sich an der Vorgehensweise des Ingenieurs im Rahmen der Konstruktionsphase: Ausgehend von einer abstrakten Funktionsbeschreibung des beabsichtigten Produkts werden für die Umsetzung der Einzelfunktionen geeignete physiklische Prinzipien gesucht. Auch der umgekehrte Weg, der über die Analyse der sichtbaren Baustruktur zur Auffindung funktionstypischer technisch-physikalischer Lösungsprinzipien führen soll, kann beschritten werden.

Beiden Wegen gemeinsam ist sowohl die Förderung der Anwendung technischer Denkweisen, als auch die Schärfung des Blicks für die Gestaltung und den Funktionsvorrat technischer Systeme, die ja nicht nur nutzungsgerechten Aspekten genügen müssen, sondern bei deren Konstruktion auch Anforderungen aus den anderen Produktlebensphasen (Planung, Konstruktion, Fertigung, Vertrieb und Außerbetriebnahme) zu berücksichtigen sind. Erst diese intensive Beschäftigung mit einer konkreten Technologie verspricht die notwendige Basis, von der aus eingeschätzt werden kann, wie Technik die sozialen, ökologischen und ökonomischen Belange des Individuums und der gesamten Gesellschaft determiniert. Den techniknahen Methoden wie Nacherfinden, Experiment, Konstruktions- oder Herstellungsaufgabe sind daher solche Methoden nachzuführen, die einen gesellschaftswissenschaftlichen Zugang zur Technik eröffnen. Dabei handelt es sich um unterrichtliche Verfahren, die technikbezogene gesellschaftliche Probleme aufgreifen und Schüler zu einer eigenständigen Lösungsfindung anregen.

Ein didaktischer Ansatz, der auf ein kritisch-konstruktives Technikverständnis der Gesellschaft abzielt, bedarf in seiner Ausgestaltung einer adäquaten Ausstattung der Schulen ebenso wie einer techniknahen Ausbildung der Lehrer. Anders als beim Ingenieur steht im Unterricht jedoch nicht das fertige Produkt technischen Handelns an sich im Mittelpunkt, sondern die Reflexion darüber. Diese über die Gestaltung geeigneter Lernsituationen anzuregen, gehört mit zur Profession des Lehrers in einem Bildungssystem, das den mit Technik verbundenen Herausforderungen der Gesellschaft wirksam begegnen kann.


Dr. Michael Köck ist Akademischer Oberrat für "Didaktik Arbeitslehre" an der KU. Köck konzipiert unter anderem rechnergestützte Lernprogramme für die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb).


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1/2007, Seite 14+15
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Ruprecht Wimmer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2007