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KIND/105: Sprachkompetenzen für die Schule vermitteln (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2011 - Nr. 96

Sprachkompetenzen für die Schule vermitteln

von Andrea G. Eckhardt und Michaela Hopf


Bereits im Elementarbereich werden Kinder in unterschiedlichem Maße mit Themen und sprachlichen Anforderungen konfrontiert, die sie in der Schule benötigen. Systematische Vorbereitung auf die Schule kann zu späterem Bildungserfolg beitragen.


Der Bildungsauftrag hat für die pädagogischen Angebote von unter sechsjährigen Kindern deutlich an Bedeutung gewonnen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Verabschiedung der Bildungspläne der Bundesländer im Anschluss an die Verabschiedung des »Gemeinsamen Rahmens der Länder für die frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen« (JMK/KMK 2004). Diese sind inzwischen in den Einrichtungen etabliert und dienen als Orientierung für die tägliche pädagogische Arbeit.

Die Unterschiedlichkeit der Bildungspläne zeigt sich jedoch nicht nur in ihrem Umfang, sondern auch in den inhaltlichen Vorgaben. Während einige Pläne, zum Beispiel der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan, sehr konkrete Arbeitshinweise geben, sind andere lediglich als Rahmenplan angelegt. So eröffnen etwa die Grundsätze elementarer Bildung für Kindertageseinrichtungen im Land Brandenburg weitaus größere Spielräume für die inhaltliche Ausgestaltung. Im »Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen « (JMK/KMK 2004) sind sechs umfassende Bildungsbereiche enthalten. Sie können als Curriculum verstanden werden und umfassen beispielsweise die Sprach- und Schriftsprachförderung oder die Vermittlung naturwissenschaftlicher Vorkenntnisse. Dabei wird davon ausgegangen, dass es den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule unterstützt, wenn Kinder bereits mit bestimmten Themen vertraut sind und darin Vorläuferfähigkeiten erwerben (Faust/Götz/Hacker/Roßbach 2004). Das gilt insbesondere für Kinder, die in besonderen Risikolagen leben und von Benachteiligungen betroffen sind.

Bildungsangebote im frühkindlichen Bereich, die der Vermittlung von Vorläuferfähigkeiten im schriftsprachlichen, mathematischen oder naturwissenschaftlichen Bereich dienen, können demnach dazu beitragen, einerseits Kinder mit den in der Schule verwendeten Kommunikationsformen vertraut zu machen und sie andererseits inhaltlich an in der Schule zu behandelnde Themenfelder heranzuführen. Im Gegensatz bedeutet dies jedoch auch, dass Kinder, die keine (oder eine qualitativ unzureichende) Kindertagesbetreuung in Anspruch nehmen, benachteiligt sein können, wenn sie diese Vorläuferfähigkeiten nicht vermittelt bekommen, sondern mit den Anforderungen das erste Mal in der Schule konfrontiert werden. Welchen didaktischen Prinzipien die Vermittlung folgt, soll dabei an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vielmehr geht es nachfolgend um die Frage, über welche sprachlichen und inhaltlichen Kenntnisse Kinder in verschiedenen Themengebieten verfügen, wenn sie eingeschult werden und welche bildungsbiografische Bedeutung diesen Kenntnissen zukommt.


Akademische Sprache und Alltagssprache

Spätestens seit den Ergebnissen der PISA-Studie sind die großen Leistungsunterschiede zwischen Kindern bekannt. Mangelnde Sprachkenntnisse im Deutschen werden insbesondere für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache als Bedingung für geringere Leistungen verantwortlich gemacht. In diesem Kontext wurde im wissenschaftlichen Diskurs eine Argumentation aus dem anglo-amerikanischen Raum aufgegriffen, wonach Kinder mit Migrationshintergrund, die über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund beim Erwerb der akademischen Sprache stärker benachteiligt sind (Cummins 1979; Gogolin 2009). Akademische Sprache ist nach Cummins (1979, 2008) durch einen hohen Grad an Dekontextualisierung gekennzeichnet, wie sie auch in der Schriftsprache verwendet wird, und wird damit von Alltagssprache unterschieden (Ahrenholz 2010). Diese Annahme wurde in Deutschland vor allem für die Sekundarstufe untersucht (Gogolin u. a. 2004), für die die Fachwissenschaften die Unterscheidung verschiedener Sprachformen bestätigen (Leisen 1999; auch Grieshaber 2010). Wenige Untersuchungen liegen dagegen für die Grundschule vor (Ahrenholz 2010).

Auch wenn Unterschiede in den Sprachkompetenzen zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund zu beobachten sind, konnte bisher der Nachweis, dass Kinder mit Migrationshintergrund vergleichsweise stärker beim Erwerb der akademischen Sprache benachteiligt sind als Kinder ohne Migrationshintergrund, noch nicht eindeutig erbracht werden (Eckhardt 2008). Gezeigt werden konnte allerdings, dass alle Kinder größere Schwierigkeiten mit Aspekten der akademischen Sprache haben. Dies kann als Hinweis darauf interpretiert werden, dass schulbezogene und alltagsbezogene Sprachfähigkeiten voneinander verschieden und bereits im Grundschulalter von Bedeutung sind. Unterstützt wird diese These auch von ersten exemplarischen Analysen einer Sachunterrichtsstunde, die Ahrenholz (2010) präsentiert. Vor allem Kinder mit Migrationshintergrund weisen hier »erhebliche Schwierigkeiten« (Ahrenholz 2010, S. 31) auf, die schulbezogenen Inhalte angemessen auszudrücken.


Kinder an Naturwissenschaften heranführen

Vor allem auf dem Gebiet der Naturwissenschaften haben sich eine Reihe von Angeboten etabliert. Sie sollen das Interesse der Kinder an naturwissenschaftlichen Fragestellungen wecken. Zu nennen sind unter anderem das »Haus der kleinen Forscher« (Hecker 2007) oder das Projekt »Natur-wissen schaffen« der Deutschen Telekom Stiftung (Fthenakis u. a. 2009). Gleichzeitig ist es vor allem das naturwissenschaftlich-technische Lernen, das angeführt wird, wenn es um die implizite Förderung von akademischen Sprachfähigkeiten geht (Jampert/Sens/Bertau 2006; Lück 2009; Hopf/Röhner 2011; Röhner/Hövelbrinks/Li 2011). Unterstützt werden sowohl der Erwerb eines Fachwortschatzes als auch pragmatische Sprechhandlungsmuster wie das Beschreiben von Phänomenen oder das Erklären von Zusammenhängen, in denen komplexere syntaktische Strukturen sowohl erfahren als auch ausprobiert werden können (Röhner/Hövelbrinks/Li 2011). Gleichzeitig sind sie notwendig, um gemeinsam Problemlöseprozesse weiterzuentwickeln und sich über Ideen und Vorstellungen austauschen zu können.

Neben strukturellen Aspekten einer akademisch orientierten Sprache ist von Belang, wie diese Sprache vermittelt und von den Kindern aufgenommen wird. Auch wenn der konzeptionelle Schwerpunkt dieser Angebote auf der Vermittlung spezifischer Inhalte liegt, werden ein themenbezogener Wortschatz präsentiert und Zusammenhänge dargestellt, die nur verstanden werden können, wenn entsprechende Sprachkompetenzen vorhanden sind.


Neue Aufgaben für Fachkräfte

Bei der Vermittlung dieser Angebote nehmen die Erzieherinnen und Erzieher eine Schlüsselfunktion ein. Der Gestaltung der Interaktion kommt dabei eine doppelte Funktion zu, indem sowohl die sprachliche als auch eine kognitive Anregung der Kinder gleichermaßen unterstützt werden soll. Zum einen dient das Gespräch den Kindern, um Vorstellungen und Ideen über naturwissenschaftliche Vorgänge zu entwickeln und im Anschluss an das aktive Ausprobieren zu diskutieren. Zum anderen treten die Erzieherinnen und Erzieher im Gespräch als Sprachvorbild auf. Sie vermitteln nicht nur naturwissenschaftliches Fachwissen und Fachbegriffe, sondern auch komplexe sprachliche Strukturen, weshalb ihre Äußerungen variations- und umfangreich sein sollen (Tracy/Ludwig/Ofner 2010). Dahinter steht die Annahme, dass Sprachformen und -strukturen mindestens einmal rezeptiv erfahren worden sein müssen, um in das aktive Sprachrepertoire einfließen zu können (Tracy 2007). Wie und ob diese Vermittlung gelingt, ist bisher im deutschsprachigen Raum kaum untersucht worden.


Die Bedeutung des vorschulischen Bereichs

Durch Bildungspläne und Projektarbeit haben Kindertageseinrichtungen als auf die Schule vorbereitende Institutionen einen neuen Stellenwert erhalten. Dies gilt insbesondere für die Vermittlung von Vorläuferfähigkeiten beziehungsweise die Anregung anschlussfähiger Bildungsprozesse in unterschiedlichen curricularen Bereichen. Damit einher geht die Vermittlung eines fachlich-spezifischen Wortschatzes und elaborierter grammatischer Strukturen, wie sie für Fachsprache typisch sind. Vorläufer akademischer Sprache sind damit bereits im vorschulischen Bereich anzutreffen. Gute Sprachfähigkeiten gelten darüber hinaus als Voraussetzung für schulischen Erfolg. Nicht zuletzt die PISA-Ergebnisse haben wiederholt auf den Zusammenhang zwischen Sprachkenntnissen und schulischem Erfolg hingewiesen. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass Bildungsprogrammen für Kinder vor dem Schuleintritt, dem Spracherwerb und der Sprachförderung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. In (fast) allen Bundesländern werden Sprachstandserhebungen und Sprachförderungen mit dem Ziel eingesetzt, Sprachkompetenzen im Allgemeinen oder spezifische Aspekte von Sprachfähigkeiten zu fördern (Lisker 2010, 2011; Grigic/Eckhardt 2011).

Die Sprachfähigkeiten in der Unterrichtssprache im Allgemeinen und die akademischen Sprachfähigkeiten im Besonderen stellen einen entscheidenden Einflussfaktor für schulischen Erfolg dar (Gogolin 2009). Es gilt, bereits die vorschulische Phase zu nutzen, um die Kinder bei der Entwicklung dieser speziellen sprachlichen Fähigkeiten zu unterstützen. Hierfür ist es grundlegend notwendig, mehr über den Einsatz akademischer Sprachregister in elementarpädagogischen Bildungssettings zu erfahren.


Prof. Dr. phil. Andrea G. Eckhardt war Grundsatzreferentin für Lebenslagen und Entwicklung von Kindern in der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung des Deutschen Jugendinstituts. Sie ist seit Oktober 2011 Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Hochschule Zittau/Görlitz. Ihre Schwerpunkte sind frühkindliche Bildung und Entwicklung sowie Kindheitsforschung.

Michaela Hopf arbeitet seit 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Pädagogik der frühen Kindheit und der Primarstufe an der Bergischen Universität Wuppertal. Sie beschäftigt sich mit Sprache und Interaktion sowie dem naturwissenschaftlichen Lernen im Elementarbereich.
Kontakt: aeckhardt@hs-zigr.de, mhopf@uni-wuppertal.de


LITERATUR

AHRENHOLZ, BERNT (2010): Bildungssprache im Sachunterricht der Grundschule. In: Ahrenholz, Bernt (Hrsg.): Fachunterricht und Deutsch als Zweitsprache. Tübingen, S. 15-36

CUMMINS, JIM (2008): BICS and CALP: Empirical and theoretical status of the distinction. In: Hornberger, Nancy H. (Hrsg.): Encyclopedia of language and education. Boston, S. 71-84

CUMMINS, JIM (1979): Cognitive/academic language proficiency, linguistic interdependence, the optimum age question and some other matters. Working Papers on Bilingualism, Nummer 19, S. 198-205

ECKHARDT, ANDREA G. (2008): Sprache als Barriere für den schulischen Erfolg. Potentielle Schwierigkeiten beim Erwerb schulbezogener Sprache für Kinder mit Migrationshintergrund. Münster

FAUST, GABRIELE / GÖTZ, MARGARETE / HACKER, HARTMUT / ROSSBACH, HANS-GÜNTHER (Hrsg.; 2004): Anschlussfähige Bildungsprozesse im Elementar- und Primarbereich. Bad Heilbrunn/Obb.

FTHENAKIS, WASSILIOS E. / WENDELL, ASTRID / EITEL, ANDREAS / DAUT, MARIKE / SCHMITT, ANNETTE (Hrsg.; 2009): Frühe naturwissenschaftliche Bildung. Troisdorf

GOGOLIN, INGRID (2009): Zweisprachigkeit und die Entwicklung bildungssprachlicher Fähigkeiten. In: Gogolin, Ingrid (Hrsg.): Streitfall Zweisprachigkeit. The bilingualism controversy. Wiesbaden, S. 263-278

GOGOLIN, INGRID / KAISER, GABRIELE / ROTH, HANS-JOACHIM / DESENISS, ASTRID / HAWIGHORST, BRITTA / SCHWARZ, INGA (Hrsg.): (2004): Mathematiklernen im Kontext sprachlich-kultureller Diversität. Hamburg

GRGIC, MARIANA / ECKHARDT, ANDREA G. (2011): Landesweite Sprachstandserhebung und Sprachförderung vor der Einschulung. Kann die Vielfalt vergleichbar werden? Bonn/Berlin

GRIESHABER, WILHELM (2010): (Fach-)Sprache im zweitsprachlichen Fachunterricht. In: Ahrenholz, Bernt (Hrsg.): Fachunterricht und Deutsch als Zweitsprache. Tübingen, S. 37-54

HECKER, JOACHIM (2007): Das Haus der kleinen Forscher. Spannende Experimente zum Selbermachen. Berlin

HOPF, MICHAELA / RÖHNER, CHARLOTTE (2011): Bildungssprache und Weltwissen - zweitsprachliche Förderung in naturwissenschaftlichen Handlungssituationen. In: Baurmann, Jürgen / Neuland, Eva (Hrsg.): Jugendliche als Akteure. Sprachliche und kulturelle Aneignungs- und Ausdrucksformen von Kindern und Jugendlichen. Frankfurt am Main

JAMPERT, KARIN / SENS, ANDREA / BERTAU, MARIE-CÉCILE (Hrsg.; 2006): Sprachliche Förderung der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? Weimar

JUGENDMINISTERKONFERENZ (JMK); Kultusministerkonferenz (KMK) (2004): Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. Hrsg. von der Jugendministerkonferenz und der Kultusministerkonferenz

LEISEN, JOSEF (Hrsg.; 1999): Methoden-Handbuch. Deutschsprachiger Fachunterricht (DFU). Bonn

LISKER, ANDREA (2011): Additive Maßnahmen zur Sprachförderung im Kindergarten - Eine Bestandsaufnahme in den Bundesländern. Expertise im Auftrag des Deutschen Jugendinstitutes. Im Internet verfügbar unter:
http://www.dji.de/bibs/Expertise_Sprachfoerderung_Lisker_2011.pdf
(Zugriff: 13.03.2011)

LISKER, ANDREA (2010): Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung im Kindergarten sowie beim Übergang in die Schule. Expertise im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts. Im Internet verfügbar unter:
http://www.dji.de/bibs/Expertise_Sprachstandserhebung_Lisker_2010.pdf
(Zugriff: 13.03.2011)

LÜCK, GISELA (2009): Handbuch der naturwissenschaftlichen Bildung. Theorie und Praxis für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen. 1. Aufl. der vollständig überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe. Freiburg im Breisgau

RÖHNER, CHARLOTTE / HÖVELBRINKS, BRITTA / LI, MENG (2011): Fachsprachliche Elemente in naturwissenschaftlich-technischen Lernsituationen. In: Apeltauer, Ernst (Hrsg.): Sprachförderung Deutsch als Zweitsprache. Von der Vor- in die Grundschule. Tübingen, S. 43-53

TRACY, ROSEMARIE / LUDWIG, CAROLYN / OFNER, DANIELA (2010): Sprachliche Kompetenzen pädagogischer Fachkräfte. Versuch einer Annäherung an ein schwer fassbares Konstrukt. In: Rost-Roth, Martina (Hrsg.): DaZ-Spracherwerb und Sprachförderung Deutsch als Zweitsprache. Beiträge aus dem 5. Workshop »Kinder mit Migrationshintergrund«. Freiburg im Breisgau, S. 183-204

TRACY, ROSEMARIE (2007): Wie Kinder Sprachen lernen und wie wir sie dabei unterstützen können. Tübingen


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www.dji.de/impulse


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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2011 - Nr. 96, S. 22-24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2012