Wer im Schach Zeit gewinnen will, spricht in der Regel vom Tempo. Um es zu erlangen, wird nicht einmal vor größten Opfern zurückgeschreckt. Oft ist ein Tempo nötig, um schneller als sein Kontrahent eine siegreiche Kombination durchzusetzen. Wer das Tempo hat, hat dann auch die Partie in der Tasche. Manchmal jedoch, wie im heutigen Rätsel der Sphinx, erfüllt ein Tempo eine andere Funktion und dient dann dazu, ein drohendes Matt rechtzeitig abzuwenden und so den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und ein Remis zu erzwingen. Mieses hatte in seiner Partie gegen Walbrodt auf einem Turnier in Berlin 1897 eine gewaltige Drohung gegen den weißen König aufgebaut. Nur weil er nicht am Zuge war, konnte er das Spiel nicht sofort mit 1...Sb5-c3+ für sich entscheiden. Dieser Umstand gab Walbrodt allerdings die Möglichkeit, durch eine ausgeklügelte Wendung seine Haut zu retten. Allerdings mußte er sich eingestehen, daß die vernichtende Springerattacke so ohne weiteres nicht aufzuheben war. Er mußte daher einen raffinierten Weg finden, um ein Tempo zu gewinnen und den Zeitvorteil in ein Remis zu wandeln, Wanderer.
Walbrodt - Mieses
Berlin 1897
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Ein Teufel steckte wohl dahinter, als Lamberti nach 1...Lc4-b3! 2.Kd2-
d3 mit 2...Te8-e2!! das Brett entflammte. Der Sperrzug beraubte den
Bauern auf c2 seiner Deckung. Denn obwohl der schwarze Turm auf
dreierlei Weisen geschlagen werden konnte, hätte jede einzelne zum
Verlust der Partie geführt. 3.Dg2xe2 verbot sich wegen des
Läuferschachs 3...Lb3-c4+, und 3.Kd3xe2 ginge durch 3...Da2xc2+ im
Bankrott unter. So zog Taylor das kleinere Übel vor und nahm den
Turm mit 3.Sf4xe2, aber nur, um sich nach 3...Da2xc2+ 4.Kd3-e3 Tf8-e8+
5.Ke3-f4 Te8xe2 6.Dg2-f1 Kg7-h6! in hoffnungsloser Stellung - es
drohte vernichtend 7...Te4-e2+ - mit 7.Td1-e1 Dc2-d2# mattsetzen zu
lassen.
Erstveröffentlichung am 20. Mai 2007
10. Juni 2020
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