Ein bekannter Schachmeister hatte einmal gesagt, daß ein unrochierter König nur dann auf dem Brett sicher stünde, wenn sein Widerpart bereits mattgesetzt wäre. Ansonsten müsse er beständig in der Furcht eines plötzlichen Überfalls leben. Daß es dennoch in zahlreichen Varianten vorkommt, daß die Rochade hinausgezögert wird, um sich Stellungsvorteile zu sichern, gehört zu den Sonderbarkeiten, die jenseits der Vernunft ihre Zelte aufschlagen. Dabei warnt so ziemlich jedes Lehrbuch davor, den König in der Mitte zu lassen. Die Regel besagt, daß die Rochade mindestens bis zum sechsten Zug abgeschlossen sein soll. Doch ohne Ausnahmen wäre auch ein Schachspielerdasein relativ langweilig, und so wird das Risiko bewußt eingegangen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte sich Weiß lange nicht entschließen können, auf welcher Seite er seinen König in Sicherheit bringt. Schließlich waren die Gelegenheiten vertan worden und die weiße Majestät landete auf C1. Für Schwarz ein dankenswertes Feld, Wanderer.
Mormann - Schmidt
Fernpartie 1990
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Prompt hatte sich Schwarz selbst ein Bein gestellt, als er 1...b7-b5?
zog, denn die offensichtliche Mattgefahr durch 2.Dd5-d3! kostete ihm
die wertvolle Qualität. Da 2...Dc6xg2+ 3.Lc1-d2 Se6xg5 4.Lc4-d5 seine
Lage noch mehr verschlechtert hätte, wählte er das kleinere Übel mit
2...Se6xg5 3.Lc4-d5 Dc6-b6 4.Ld5xa8, verlor dann jedoch die Lust zum
Weiterspielen und gab auf. Die verlorene Qualität wurde durch nichts
kompensiert.
Erstveröffentlichung am 19. Februar 2007
11. März 2020
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