Es liegt nahe, daß im wesentlichen die Großmeister selbst ein begründetes Interesse daran haben, daß das Gebiet der Schachpsychologie weitestgehend unberührt bleibt. Schließlich hat jeder Meister der Kunst, der sein Einkommen mit Turnierpreisen bestreitet, hier die meisten Geheimnisse zu verbergen. Die methodische Aufschlüsselung seiner Denkschritte könnte seinen Kontrahenten wichtige Anhaltspunkte liefern, weswegen er sich gern bedeckt hält, wenn er von psychologischer Seite befragt wird nach dem Mechanismus seines Denkens. Die Psychologen wiederum sind zu wenig Schachspieler, um ein tragbares Verstehensgerüst aufzubauen. Die Defizite beider Seiten schütteln sich daher einvernehmlich die Hände, wenn beispielsweise der jugoslawische Meister Vladimir Vukovic die Quintessenz bisheriger Forschung auf den Ratschlag beschränkt: "Der Spieler soll Züge, Zugfolgen und Spielweisen so wählen, daß sie dem Gegner den Denkprozeß möglichst erschweren, den eigenen aber erleichtern oder in den Grenzen eigener Fähigkeiten halten." Außer allgemeingültiges Kauderwelsch nichts Greifbares, aber so liegen die Dinge eben in dieser Zwischenzone. Anders sieht es im heutigen Rätsel der Sphinx aus, wo der Nachziehende jenseits aller plumpen Tips und Nichtigkeiten sehr wohl wußte, wie er die weiße Stellung aus den Angeln reißen konnte, Wanderer.
Nielsen - Kaluchin
Fernpartie 1982
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Wie eine Wunde klaffte die weißfeldrige Schwäche im Lager des
Anziehenden. Für seinen Kontrahenten ein erfreulicher Kriegsumstand,
der nach 1.e4-e5 mit 1...Lg4-f3! 2.Dc5-e3 - es drohte 2...Dd7-h3 mit
unrettbarem Matt - 2...Dd7-f5! 3.De3-f4 - wegen der
Grundreihenschwäche, ein weiteres Leiden der weißen Stellung, war der
schwarze Springer nach wie vor tabu: 3.e5xf6? Th8-e8 - 3...Df5xf4
4.g3xf4 - das Matt konnte verhindert werden, aber der Ruin nicht -
4...Sf6-h5 5.h2-h3 Sh5xf4 6.Kg1-h2 Sf4-g6 7.b2-b3 Sg6xe5 8.Lc1-b2 Lf3-
h5! und Weiß gab auf, da das Endspiel für ihn nach 9.Kh2-h1 Se5-f3
10.Td2-d1 d3-d2 hoffnungslos war.
Erstveröffentlichung am 23. April 2006
22. April 2019
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