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SCHACH-SPHINX/06580: Frühlingserwachen nach der Formkrise? (SB)


Schon mehrmals in der Vergangenheit hatte Anatoli Karpow Phasen echten schöpferischen Einbruchs durchzustehen gehabt, Zeiten, wo jedermann geglaubt hatte, daß er sich nicht wieder aufraffen könnte. Insbesondere nach den Niederlagen in den WM-Kämpfen gegen Garry Kasparow schien seine innere Kraft gebrochen zu sein. So war das Jahr 1990 ein bitterer Tiefpunkt für ihn. Seinen Partien fehlte vom Anfang bis zum Ende der kämpferische Wille, zuweilen verlor er gar in der Eröffnungsphase Figuren wie ein Anfänger. 1992 rappelte er sich dann wieder auf und gewann mehrere hochkarätige Turniere in Folge, so daß man sich fragte, woher er bloß den Biß nahm, gegen alle Widrigkeiten und Schwächen anzugehen und dann wieder emporzuwachsen aus der Formkrise. Den Höhepunkt hatte er 1994 in Linares, wo er in den ersten sechs Partien in glänzender Manier siegte und zuletzt unangefochten Turniergewinner wurde. Dann aber, vier Jahre später, erinnerte kaum noch etwas an Karpows Aufbegehren. Man hatte den Eindruck, als zöge sich der Tiger in seine Höhle zurück. In Frankfurt beim Großmeistertreffen hatte er seine Teilnahme zurückgezogen, als er erfuhr, daß sein Uraltrivale Garry Kasparow ebenfalls dort spielen würde. Flucht? Resignation? Oder nur ein Kräftesammeln? Bei Karpow konnte man nie sicher sein. Eine Kunstpause wirkte manchmal Wunder. Beispiele dafür gibt es genug in der Turniergeschichte, wo Meister aus der Versenkung wie neugeboren wiederauftauchten und enorme Akzente setzten. Karpow kam um die Herausforderung nicht umhin. Irgendwann mußte er wieder seinen FIDE-Titel verteidigen, wenn er nicht in Fischers Fußstapfen treten und dem Zweikampf fernbleiben wollte. In welche Richtung der Zug fuhr, weiß man inzwischen. Im heutigen Rätsel der Sphinx aus dem Turnier in Linares überzeugte Karpow jedenfalls mit Bravour. Sein Kontrahent, der bulgarische Großmeister Topalow, hatte zuletzt 1...Tf8-c8 gespielt, darauf bauend, daß er nach 2.Lg2xc6? Ta8- a7 3.Dd7-d3 Tc8xc6 4.c4xb5 a6xb5 5.Dd3xb5 - 5.Sc3xb5? c5-c4! - 5...Tc6- b6 mindestens Ausgleich erzielen könnte. Nun, Wanderer, welche Überraschung hatte Karpow für ihn parat?



SCHACH-SPHINX/06580: Frühlingserwachen nach der Formkrise? (SB)

Karpow - Topalow
Linares 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Was nun folgte, war eine Aneinanderreihung excellenter Züge und Konter, an deren Ende Weiß als Sieger vom Brett aufstand: 1.Th8-h7! Df7-g8! - da 1...Df7xh7 2.Dg4xe6 Ta7xc7 3.De6xb6 Tc7-c8 4.d4-d5 den weißen Angriff unwiderstehlich macht - 2.Th7xe7+! Lf8xe7 - 2...Ke8xe7? 3.Dg4-g5+ - 3.d4-d5! Ta7xc7 4.Le4xg6+ Ke8-d8 5.d5-d6! Tc7-c5! 6.Dg4- d4! - schwindelerregende Folge - 6...Sb6-d7 7.d6xe7+ Kd8xe7 8.Dd4-d6+ Ke7-d8 9.0-0-0 Tc5-c7 10.Lg6-e4 c4-c3 11.b2xc3 Tc7xc3+ 12.Kc1-b2 Dg8- f7 13.f2-f4 Df7-e7 14.Dd6-b8+ Tc3-c8 15.Db8-b6+ Kd8-e8 16.Le4-c6 und nachdem sich die Gewitterwolken abgeregnet haben, hält Weiß den letzten vernichtenden Blitz in Händen. Schwarz gab auf, da er nach 16...Tc8-d8 17.Db6xa5 Ke8-f8 18.Da5-c7 und Abtausch aller Offiziere ein verlorenes Endspiel vor sich gehabt hätte.


Erstveröffentlichung am 2. Juni 2005

30. Mai 2018


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