Der russische Schachvordenker Michail Tschigorin war ein leidenschaftlicher Königsgambist. Mit heiligem Eifer vertrat er die Ansicht, daß das Suchen nach gewinnträchtigen Kombinationen in keinem anderen Spielsystem auf so gutem Boden fiel wie in dieser klassischen Eröffnung. Sein Faible stieß allerdings bei Wilhelm Steinitz, seinem großen Kontrapart im Westen, auf hellste Empörung. Überhaupt war Tschigorin ein Streiter alter Gambitsysteme. So pflegte er das Evans- Gambit in der Italienischen Partie mit demselben Feuer und Engagement anzuwenden. In der direkten Auseinandersetzung mit Steinitz unterlag Tschigorin jedoch zweimal. Die Hoffnungen des russischen Schriftstellers Tolstoi - "Ich kann den Schachpatriotismus in mir nicht unterdrücken und wünsche, daß ein Russe der beste Schachspieler der Welt ist." - erfüllten sich mit Tschigorin nicht. Erst dessen Landsmann Alexander Aljechin sollte später beweisen, wozu die russische Schachschule, die in Tschigorin ihre geistigen Ziehvater sieht, fähig war. Im heutigen Rätsel der Sphinx soll eine von Tschigorins schönsten Angriffspartien zu Wort kommen. Gespielt wurde sie mit dem Königsgambit, und nachdem sein Kontrahent Dawydow zuletzt mit 1...Sc6-e5? den entscheidenden Fehler beging, floß eine brillante Gewinnkombination aus der kreativen Ader Tschigorins. Also, Wanderer, zwei schöne Pointen stecken im achtzügigen Mattangriff.
Tschigorin - Dawydow
St. Petersburg 1874
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Mit 1.Tf5xc5! hob Steinitz das drohende Abzugsschach auf und
verwertete nach 1...Te8xe1+ 2.Lg3xe1 b6xc5 3.Le1-c3 Kg7-g6 4.Lc3xd4
c5xd4 5.h2-h4 Kg6-f5 6.Kg1-f2 Kf5-e4 7.Kf2-e2 c7-c5 8.b2-b3 Ke4-e5
9.Ke2-d3 Ke5-f4 10.b3-b4 seinen Endspielvorteil. Zukertort hatte ein
Einsehen und kam der langen Agonie durch eine Aufgabe zuvor.
Erstveröffentlichung am 06. Januar 2004
28. Dezember 2016
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