Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/06036: Schnittpunkt dreier Interessen (SB)


Der Gedanke, einen Weltmeister und König über das Schachvolk zu inthronisieren, ist über 150 Jahre alt, und wie sollte es anders sein, als daß ihn die royalistischen Engländer ins Leben riefen. 1843 trafen sich in Paris zwei Schachmeister, wobei jeder für sich eine nationale Ära widerspiegelte. Für die Franzosen stritt Pierre Charles Fournier Saint-Amant, der nach dem Tode von Louis Charles de Labourdonnais die Fackel des französischen Kaffeehausschachs weitertrug. Gesellig, wie dies Volk an der Seine war, vertrieb es sich die Zeit in Cafés, in einem Umfeld anrüchiger Leichtlebigkeit. Anders der Engländer Howard Staunton, der als Mann von Welt in Clubs zu residieren pflegte. Er unterwarf das Schach einer viel strengeren Logik, als es sein französischer Kontrahent je vermocht hätte. Engländer sind seit jeher Verstandesmenschen und der Pragmatik verpflichtet. Die Gedanken müssen wie ein Stehkragen sitzen. Am Auftreten erkennt man den Engländer, den Franzosen verrät dagegen seine betonte Lässigkeit. In der Pionierphase zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es die Franzosen, die Schachgeschichte schrieben. Das Jungfräuliche war ihr Metier. Der Schwung ihrer Einfälle, die Art, wie sie aus allem das Kurzfristige hervorlockten, verblüffte und irritierte die Engländer zunächst. So gewannen die Franzosen die ersten Begegnungen, ehe das englische Strengmaß nach und nach die Oberhand gewann. So unterlag Saint-Amant in Paris wohl hauptsächlich deshalb, weil er die Dinge mit zuwenig Hartnäckigkeit verfolgte. Er kannte nicht wie Staunton die Wichtigkeit des Details. Mit elf Siegen bei sechs Niederlagen und vier Remisen konnte Staunton dank der Kühle seiner Überlegungen triumphieren. Das sprunghafte und mehr dem Zufälligen verpflichtete Kaffeehausschach blieb in seinen Fehlern stecken, war zu lernresistent. Mit den Engländern begann auch die Ära des Berechenbaren. Sie sollten ihren Anspruch dadurch etablieren, daß sie Staunton nach seinem Pariser Sieg zum "Champion of the World" hochstilisieren. Acht jahre später beim Londoner Turnier von 1851 zeigte sich jedoch, daß der deutsche Geist mit seinem metaphysischen Tiefgang Kombinationen ersinnen konnte, die man kaum für möglich gehalten hatte. In Adolf Anderssen vereinigte sich die Stärke sowohl der Franzosen als auch der Engländer zu einem unerschütterlichen Ganzen. In heutigen Rätsel der Sphinx aus dem Londoner Turnier gewann der Breslauer Meister mit Weiß, indem er die schwarze Stellung dank eines genialen Handstreichs überrannte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06036: Schnittpunkt dreier Interessen (SB)

Anderssen - Wyvill
London 1851

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
1...f7-f6? ermöglichte es Wilhelm Steinitz, mit 2.Sf3-g5! f6xg5 3.Ld3xh7+! Kg8xh7 4.h4xg5+ Kh7-g8 5.Dd1-h5 Sd7xe5 6.f4xe5 Tf8-f5 7.g2- g4 Tf5xe5+ 8.Ke1-d1 Lc5-e3 9.Lc1xe3 Te5xe3 10.Sc3-b5! - der Fluchtweg des schwarzen Königs über d6 wird versperrt - 10...Te3-f3 11.g5-g6 einen unwiderstehlichen Angriff zu starten, und da 11...Kg8-f8 an 12.Dh5-h8+ Kf8-e7 13.Dg8xg7+ nebst Matt scheiterte, gab Schwarz unverzüglich auf.


Erstveröffentlichung am 10. Dezember 2003

01. Dezember 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang