Für gewöhnlich staunt der junge Schachadept beim Betrachten einer Meisterpartie, wenn einer der Spieler plötzlich zu einem Figurenopfer greift, ein zweites, vielleicht sogar drittes folgen läßt und zuletzt die Welt auf den Kopf stellt: Es siegt der Habenichts und Bettler. Im Schach gelten die Erfolgskriterien der Gesellschaft nicht. Wer raubt, wird in der Schachkunst oft zum Verlierer. Und ist es nicht gleicht die Niederlage, so kommt der "Kapitalist" zumal in Leipzig 1980 doch um das Eingeständnis eines Remis nicht umhin. Wir bewundern zwar die Siegespartien, die opferreich verlaufen, bewerten sie auch in der Regel höher als ein Kampfremis. Doch ist der Einfall, so muß man sich fragen, nicht ungleich edler im Ansinnen, der mit vortrefflichem Opfergang aus der Not die Tugend eines Remis erzwingt? Eduard Gufeld hatte in Leipzig gegen den DDR-Meister Lutz Espig mit einem Läuferopfer alles auf die Angriffskarte gesetzt. Doch Espig fand geniale Erwiderungszüge und bald schon schien es, als müßte Gufeld im heutigen Rätsel der Sphinx die Zeche für sein Gelage in vollem Umfang bezahlen. Meister Espig hatte zuletzt 1...Lb7-e4 gespielt und drohte nun, mit Le4-g6 seine Stellung sturmsicher zu machen. Doch da kam Gufeld in der höchsten Verzweiflung der rettende Gedanke. Also, Wanderer, zuletzt besaß Meister Gufeld vier Figuren weniger und war doch glücklich in seiner materiellen Armut!
Gufeld - Espig
Leipzig 1980
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Chandler räumte mit 1.Td1xd7! den Ballast zur Seite, wußte er
doch, daß ihm nach 1...De7xd7 2.Lb3xe6 der Weg zum Sieg offen stand.
Doch auch 1...Kc8xd7 warf nur vorübergehende Hindernisse in seine
Bahn: 2.Lb3xe6+ De7xe6 3.Se4-c5+ und Schwarz gab auf. Kurz und bündig
gespielt vom neuseeländischen Meister. Warum die schwarze Dame den
Läufer überhaupt genommen hatte? Nun, wer sollte nach einem beliebigen
Königszug und 3.Le6xg8 De7xe4 4.Sf4-d3 den weißen g-Bauern aufhalten?
Erstveröffentlichung am 29. Oktober 2003
19. Oktober 2016
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