Tigran Petrosjan, neunter Weltmeister im Königsbuch der Schachgeschichte, war wegen seiner höchst peniblen Spielführung unter seinen Gegner arg berüchtigt. Grobe Fehler unterliefen ihm praktisch nicht. Man mußte schon mit der Lupe kommen, um ihn Nachlässigkeiten nachzuweisen. Darüber hinaus war er ein Meister des Haargenauen. Selbst in Stellungen, wo er deutlich schlechter stand, gelang es seinem geschärften Positionsblick immer wieder, auch mikroskopische Rettungspotentiale zu entdecken, zu sammeln und schließlich zu einem Remis zu verdichten. So geschah es nicht selten, daß seine Kontrahenten lieber ins Remis einwilligen, als ihren Vorteil in die Schlacht zu tragen. Denn Petrosjan leistete sich selbst in schwierigen Lagen so gut wie nie Patzer, konnte im Gegenzug jedoch viele Gewinnpositionen seiner Gegenspieler zum Kippen bringen. "Manche glauben", erklärte der eiserne Armenier, "daß ich während des Spiels zu vorsichtig bin. Mir scheint, daß es in diesem Falle um etwas anderes geht. Ich bemühe mich, Zufälligkeiten zu vermeiden. Diejenigen, die auf Zufall bauen, sollten Karten oder Roulette spielen." 1969 verlor er dennoch seinen Titel. Er trug die Niederlage jedoch mit Fassung und Witz: "Ich bin lieber Ex-Weltmeister. Dieser Titel bleibt ein Leben lang." Das heutige Rätsel der Sphinx zeigt eine Partie, die Petrosjan als 16jähriger im Halbfinale um den Landestitel spielte. Sein Kontrahent Weressow hatte zuletzt 1...Lb4-d2 gespielt. Seine taktische Scharfsichtigkeit bewies Petrosjan nun damit, daß er 2.Tc1-d1! Se6-c5 3.De4-d4 zog, worauf ihm der Sieg wegen 3...Df6xd4 4.e3xd4 Sc5-e4 5.Td1xd2! Se4xd2 6.d5-d6 nicht mehr zu nehmen war. Ein weniger auf Umsicht bedachter, ruhmgetriebener Schachspieler hätte wahrscheinlich 2.d5xe6? gespielt, was hübsch aussieht, jedoch einen halben Punkt verschenkt. Also, Wanderer, warum spielte Petrosjan besonnener?
Petrosjan - Weressow
UdSSR 1947
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die schwache weiße Grundreihe ausnutzend, spielte Botwinnik 1...b7-b5!
Die Dame wurde auf ein ungünstiges Feld gelockt für einen Tempogewinn
durch 2.Da4xb5 Sc6-d4. Der Springer war tabu wegen des
Grundreihenmatts und so entschied 3.Db5-d3 Sd4-c2+ 4.Ka1-b1 Sc2-b4 die
Partie dank des drohenden Abzugsschachs auf der Diagonalen b1-h7.
Erstveröffentlichung am 06. August 2003
24. Juli 2016
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