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SCHACH-SPHINX/05600: Destillat der Wirklichkeit (SB)


Fade zieht sich das Geschehen hin. Fast tranig die Handbewegungen, starr der Gesichtsausdruck. Hier spielen zwei Meister um die Wette Remis; so geht der Witz, aber niemand lacht. Unwillkürlich fühlt man sich an die Mitbegründerin des "Nouveau roman", Nathalie Sarraute, zurückerinnert, von der der Ausspruch stammt: "Was an sich nichts ist, hinter dem sich aber ein ganzes Leben entwickelt - das interessiert mich." Vielleicht sollte man die begnadete Schriftstellerin, die es fertigbringt, aus dem Destillat der Wirklichkeit, aus unfaßbaren Schatten lebendige Charaktere und Handlungen auferstehen zu lassen, zu einem solchen Turnier einladen. Ein Vergnügen für jede spitze Feder, und nicht immer muß Ironie die Tinte sein. Noch fehlt der zündende Einfall, um die Situation zu entschuldigen. Man nehme nur die letzte, lächerliche Remispartie aus dem Weltmeisterschaftskampf zwischen Garry Kasparow und Viswanathan Anand in New York. Nach etwas mehr als zehn Zügen trennten sich die beiden stärksten Spieler der Welt, ohne auch nur die Andeutung eines Siegeswillens gemacht zu haben. Eine Provinzposse für das Schachvolk? Viel Tinte ist darüber verschwendet worden, um Einsicht in dieses Kasperletheater zu bringen. Ausgewrungenes Thema, öd und leer das Terrain. Droht hier der Untergang der Schachetikette? Wieder schiebt sich eine Erinnerung an Nathalie Sarraute ins Gedächtnis. Schrieb sie nicht ein Theaterstück mit dem Titel "Für nichts und wieder nichts"? Das Stichwort ist gefallen, die Schauspieler verlassen die Bühne. Es bleibt die Gewißheit zurück, daß solche Kinkerlitzchen schlimmere Epigonen auf den Plan rufen werden. Ob ein nostalgischer Blick trösten kann? Nun, im heutigen Rätsel der Sphinx hatte unser Schachfreund Bier das Evans- Gambit gespielt und damit Kampf auf seine Fahne geschrieben. Es sollte sich für ihn lohnen. In der Diagrammstellung lag eine hinreißende Gewinnkombination verborgen. Wecke sie, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/05600: Destillat der Wirklichkeit (SB)

Bier - N.N.
Hamburg 1885

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das Herz des Fernschachlers Schurawlew hüpfte höher, als er den Zug 1.Sc6xb4! fand. Natürlich hielt er sich mit der Möglichkeit 1.Sc6xa5? nicht lange auf. Schließlich hätte sein ferner Kontrahent Prieditis die Partie mit dem simplen 1...Df6-g5+ 2.Kc1-b1 Dg5xd5! noch retten können. So jedoch ging das schwarze Schiff nach 2...Ta8-d8 - natürlich wäre bei 2...a5xb4 sofort Sackgasse gewesen wegen 3.Db5-c6+ - 3.Db5xa5+ Kc7-b7 4.Da5-b5+ Kb7-c7 5.Sb4-a6+! Sc5xa6 6.Db5-c6+ Kc7-b8 7.Dc6-b6+ Kb8-c8 8.Db6xa6+ Kc8-b8 9.Da6-b6+ Kb8-c8 10.Db6-c6+ Kc8-b8 11.Te2-e4 wegen unabwendbaren Matts unter.


Erstveröffentlichung am 06. Oktober 2002

17. September 2015


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