Am König hängt der König halt am meisten. Um die Verwechslung gleich im Vorwege aufzuheben: Unter dem ersten König ist die Majestät in Person gemeint, im zweiten dagegen nur das Pendant auf dem Schachbrett. Jedenfalls litten leibliche Könige sehr darunter, weil sie nicht begreifen konnten, warum adliges Blut, und sei es nur in Schachfiguren erstarrt, so mit minderen Möglichkeiten ausgestattet wurde. Der Läufer flitzt von einem Brettrand zum anderen in nur einem einzigen Zug, und die Dame gar, sie tut, was alle Figuren können, ausgenommen den Springer. Welche Machtfülle in weiblichen Händen! Und der König? Im Grunde steht sein Wert noch unterhalb des Bauern. Der kann wenigstens zu Beginn zwei Felder durchschreiten. Ist denn der König niedriger als der kleinste Bedienstete? mag wohl Karl XII. von Schweden gedacht haben, als er das Regel-Alphabet des Schachspiels erlernte. Und weil es ihm nicht in den Sinn kommen wollte, daß die höchste Figur zugleich die schwächste war, und weil sein Herz eben für diesen König schlug, suchte er ihn vor den Angriffen der gegnerischen Figuren zu verbergen und machte so die meisten Züge aus Sorge um dessen Sicherheit eben mit dieser Figur. Überliefert wurde uns dieses um den Schachregenten überaus besorgte Verhalten des schwedischen Herrschers vom französischen Philosophen und Schriftsteller Voltaire. Vielleicht hätte er seine Majestät darauf aufmerksam machen müssen, daß der Schachkönig erst zum Ende, wenn also die vielen Emporkömmlinge abgetauscht sind, den allerhöchsten Rang genießt. So hielt es auch der ehemalige Weltmeister Smyslow im heutigen Rätsel der Sphinx, als er gegen seinen Kontrahenten Derkatsch die folgende Stellung erhielt. Die beiden Könige hatten sich die besten Positionen ergattert. Im Gegensatz zum schwarzen Läufer war der weiße Springer jedoch nicht gebunden an der Verteidigung von Bauern und konnte daher eine Siegeswanderung unternehmen. Welcher Route folgte er, Wanderer?
Smyslow - Derkatsch
Kiew 1937
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Duchamp machte nicht viel Federlesens, zog 1.Th1-h6+! und nahm
die Siegesgratulation seines französischen Landsmannes Kahn entgegen,
denn 1...Kg6xh6 hätte zwangsläufig zum Matt geführt: 2.De6xf6 Kh6-h5
3.Df6xg5# und 1...Kg6-g7 2.De6xf6+ machte in der Tat keinen
fortsetzungswürdigeren Eindruck.
Erstveröffentlichung am 24. September 2002
04. September 2015
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